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Molekularbiologie

Die Macht der Ringe

Forscher haben entdeckt, dass Nervenzellen eine Menge ringförmiger RNA-Moleküle beherbergen, die ihre Funktion beeinflussen (Bild: MDC)

Unsere Zellen sind voller kleiner, ringförmiger RNA-Moleküle. Forscher haben nun herausgefunden, dass sie unser Denken und Lernen beeinflussen.

Nikolaus Rajewsky und seine Forscherkollegen haben womöglich die Tür in eine neue Welt aufgestoßen. Eine Welt, die Medizinern und Biologen nicht nur ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet - sie könnte auch helfen, das Leben an sich besser zu verstehen und Krankheiten früher zu erkennen und besser zu behandeln. Angefangen hatte es bereits im Jahr 2013. Da hatte Rajewsky, Professor für Systembiologie am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) und an der Charité in Berlin, Tausende ringförmige sogenannte RNA-Moleküle entdeckt. Man spekulierte da schon, ob sie womöglich einen Einfluss auf höhere Hirnfunktionen haben könnten. Genau dies konnte Rajewsky nun in einer in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Arbeit zeigen.

Normalerweise ist RNA nicht ringförmig, sondern liegt als Strang vor. In dieser Form ist das Molekül den Biologen seit langem bekannt. Wird ein Gen im Zellkern abgelesen, so passiert dies mit Hilfe dieser RNA-Moleküle. Sie transportieren die genetische Information aus dem Zellkern hinaus zu den Ribosomen, wo sie in Proteine übersetzt wird. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten wurde den Wissenschaftlern immer klarer, dass sich die Rolle der RNA nicht auf den Informationstransport vom Zellkern zu den Ribosomen beschränkt. Sie entdeckten eine ganze Reihe von nicht kodierenden RNA-Molekülen, deren Funktion erst teilweise bekannt ist.

"Wir haben eine Art neues Universum betreten"

Dass es auch ringförmige RNA gibt, konnten Forscher in den 1970er Jahren schon vereinzelt nachweisen. Die riesige Menge - vor allem im Gehirn - der ringförmigen RNA, kurz circRNA, zeigte aber erst Rajewsky mit seiner Arbeitsgruppe im Jahr 2013. Sofort haben sich Wissenschaftler weltweit auf das Phänomen gestürzt, Hunderte Publikationen zum Thema sind in den vergangenen vier Jahren bereits erschienen. "Vieles sah damals schon danach aus, dass wir eine Art neues Universum betreten haben", sagt Rajewsky. Welche Bedeutung diese Welt der circRNA hat, die im Zellkern jeder Körperzelle vorkommt, deutet jetzt erstmals die neue Arbeit im Magazin Science an.

Darin haben Rajewsky und sein Team bei Mäusen ein bestimmtes ringförmiges RNA-Molekül namens Cdr1as ausgeschaltet. Die Folge: Die Mäuse zeigten deutliche Verhaltensstörungen: Sie verloren die Fähigkeit zur Präimpulskontrolle, die es Mäusen wie Menschen ermöglicht, Geräusche und andere Sinneseindrücke vor einem Hintergrundrauschen richtig einzuordnen. Es zeigte sich, dass die Ursache für die Störungen in einer gestörten Reizübertragung zwischen Nervenzellen lag, die für Lernvorgänge wichtig sind. "Hier konnte zum ersten Mal nahegelegt werden, dass die ringförmige RNA offenbar tatsächlich die höheren Hirnfunktion beeinflusst", sagt Professor Jörg Vogel, Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) an der Universität Würzburg. Der Forschung an der ringförmigen RNA dürfte dies noch mehr Auftrieb geben. "Es ist gut vorstellbar, dass die ringförmige RNA bei grundlegenden Zellmechanismen eine gewisse Rolle spielt und daher langfristig auch als Ansatzpunkt für Behandlungskonzepte und diagnostische Tests dienen kann", sagt Vogel.

Ihre Langlebigkeit macht die circRNA zu einem geeigneten Kandidaten für neue Therapien

Wie aber konnte man die offenbar wichtige Rolle von circRNA in den Zellen so lange übersehen? "Das hat vor allem technische Gründe", sagt Rajewsky. Selbst mit modernsten Mikroskopen kann man diverse Moleküle nicht einfach so sehen. "Wir müssen immer ein Stück weit wissen, wonach wir suchen, dann können wir sie sichtbar machen", sagt Rajewsky. Und nach ringförmigen Molekülen hatte in den letzten Jahrzehnten kaum jemand gesucht. Eine derartige Ignoranz wird es nun nicht mehr geben. Weitere Forschungsergebnisse und identifizierte Zusammenhänge zwischen circRNA und höheren Hirnfunktionen sind bald zu erwarten. Darüber hinaus macht auch eine bestimmte Eigenschaft die circRNA für Wissenschaftler besonders interessant: Wegen ihrer Ringform ist sie besonders langlebig. Im Gegensatz zu linearen Molekülen, die oft schon nach Minuten oder gar Sekunden abgebaut werden, können die Kringel tagelang in den Zellen herumschwimmen. Das macht sie zu geeigneten Kandidaten für neuartige Therapien.

Helmholtz-Institut für RNA-basierte infektionsforschung (HIRI)

Am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg sollen Ribonukleinsäuren (RNA) und ihre Rolle bei Infektionskrankheiten erforscht werden. In dem Institut arbeiten das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) eng zusammen. Die Forscher versprechen sich davon ein großes Potenzial der RNA als Ansatzpunkt für Medikamente sowie als Therapeutika selbst. Gründungsdirektor des HIRI ist Jörg Vogel, der Direktor des Institutes für Molekulare Infektionsforschung an der JMU. Der renommierte RNA-Forscher wurde erst im März 2017 für seine Forschung auf dem Gebiet der Ribonukleinsäure-Biologie mit dem wichtigsten deutschen Forschungspreis, dem Leibniz-Preis, ausgezeichnet.

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