Interview
„Die Forschung muss die Emotionen stärker in den Blick nehmen“
Wenn Menschen sich von A nach B bewegen, können sie Musik hören, Gedanken schweifen lassen, einen Status kommunizieren, machmal auch lesen oder arbeiten. Laura Gebhardt vom DLR-Institut für Verkehrsforschung plädiert dafür, diese Bedürfnisse in der Forschung mehr zu berücksichtigen.
Frau Gebhardt, was wünschen sich Menschen von der Mobilität?
Mobilität ist kein Selbstzweck. Sie ermöglicht uns Bedürfnisse zu stillen. Zum Beispiel den Besuch von Freunden oder anderweitig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Je nach Verkehrsmittel kann dann noch ein Zusatznutzen entstehen. Etwa in Form von „Me-time“: Ich kann bei der Fahrt Musik hören, die Gedanken schweifen lassen oder mit meinem Auto einen bestimmten Status kommunizieren. Beim Fahrradfahren kann der Zusatznutzen körperliche Bewegung, frische Luft oder das Stilisieren einer Lebensweise sein. Je nach Nutzergruppe sind die Anforderungen unterschiedlich ausgeprägt. Personen mit eng getaktetem Alltag brauchen ein zuverlässiges, zeiteffizientes Unterwegssein – andere legen mehr Wert auf Komfort und Zeitqualität.
Wie wichtig sind Faktoren wie Me-Time?
Das ist natürlich individuell sehr unterschiedlich. Für viele ist die reine Zeitersparnis wichtig. Ein zuverlässiger und schneller öffentlicher Verkehr kann sie motivieren, ihn zu wählen und dabei zu bleiben. Das mit dem Autofahren verbundene Bedürfnis nach Entspannung und Selbstbestimmung sollte man aber nicht unterschätzen. Das gilt es bei der Konzeption von Mobilitätsangeboten zu berücksichtigen.
Wie zum Beispiel?
Das Bedürfnis nach Me-Time könnte etwa mit Carsharing und Ridepooling-Angeboten adressiert werden. Ridepooling-Fahrzeuge können beispielsweise Shuttels / kleine Busse sein, die die Fahrtwünsche mehrerer Passant:innen bündeln. Also quasi eine moderne Form eines Rufbusses. Diese bieten mitunter bereits Raum für Me-Time, etwa durch viel Platz, Distanz zu Mitfahrenden und Sichtschutz, die dem Bedürfnis nach Privatheit entgegenkommen. Bei personalisiertem Carsharing wären etwa individuelle Einstellungen zu favorisierter Musik oder Sitzpositionen denkbar, die ein ähnliches Fahrerlebnis wie das Privatauto vermitteln.
Was ist entscheidend für die Akzeptanz neuer Konzepte und Fahrzeuge?
Bisher ist die Debatte noch sehr fokussiert auf technische Lösungen und organisatorische Aspekte wie etwa den Antrieb oder die Erreichbarkeit von Verkehrsmitteln. Doch was hilft uns eine neue Technologie, die an den Bedürfnissen vorbei entwickelt wurde? Denken Sie zum Beispiel an ein Zugabteil, das optimal für arbeitende Menschen am Laptop konzipiert wurde, in dem dann aber jemand mit Kindern und viel Gepäck schlecht zurechtkommt. Jüngere Studien weisen darauf hin, dass für eine nachhaltige Transformation der Mobilität mindestens ebenso relevant ist, wie diese Technologien mit bestimmten Praktiken und Emotionen des Menschen verknüpft und in deren Alltagsroutinen eingebettet sind. Das Auto mag als sicher, flexibel und komfortabel wahrgenommen werden – zu einem Nutzen wird dies aber erst dann, wenn Sicherheit, Flexibilität oder Komfort in der individuellen Alltagspraxis der Person von Bedeutung sind. Wer einfach nur schnell von A nach B kommen will, braucht das nicht. Die Forschung muss die Emotion noch viel stärker in den Blick nehmen. Und das tun wir hier am Institut für Verkehrsforschung. Wir forschen interdisziplinär.
Was beeinflusst konkret, ob die Menschen die Lösungen annehmen?
In der Forschung werden drei Arten von Motiven diskutiert: Instrumentelle, symbolische und affektive. Das Instrumentelle meint die Zweckmäßigkeit der Fahrzeugnutzung – also etwa Geschwindigkeit, Flexibilität, Kosten, Sicherheit usw. Das symbolische Motiv meint beispielsweise das Auto als Statussymbol und Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Und affektive Motive beziehen sich eben auf die Emotionen – also etwa die Stimmung, in die mich ein Auto beim Fahren durch sein Design und Fahrverhalten bringt. Wir müssen die Verflechtung dieser Motive beachten: Ein neues Fahrzeug kann technisch perfekt ausgeklügelt und für die Umwelt noch so sinnvoll sein – es muss auch in den Kontext passen und der Nutzen für die Menschen erkennbar sein. Wer ihnen zum Beispiel Fahrräder schmackhaft machen möchte, muss dem Rad im Stadtraum auch Priorität einräumen – es muss Spaß machen, dort Fahrrad zu fahren.
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