Portrait
Die Eisforscherin
Angelika Humbert entlockt dem kalten Element seine Geheimnisse. Dazu forscht sie in der Antarktis, in Grönland und in Bremerhaven. Die Glaziologin will herausfinden, welches Klima in vergangenen Epochen herrschte und wie es in Zukunft aussehen wird.
Polarforscher wird man, weil man in der Jugend ein Buch über Amundsens Expedition zum Südpol gelesen hat. Oder weil die Erdkundelehrerin so faszinierend über die Arktis erzählt hat. Vielleicht gab es auch eine Kindheit am Meer. Ganz anders war es bei Angelika Humbert: Zur Polarforschung kam sie beim Kinderhüten zu Hause in Darmstadt.
„Ich war Mitte zwanzig, das Physik-Diplom hatte ich geschafft und gerade war mein Sohn zur Welt gekommen“, berichtet die heute 45-jährige Wissenschaftlerin. Sie entschloss sich, eine Auszeit zu nehmen, um ihr Kind zu betreuen. In diesen vier Jahren las sich die gelernte Kernphysikerin in die Wissenschaft von der kalten Materie ein. Auf die Fährte gebracht hatte sie gegen Ende ihres Studiums an der Technischen Universität Darmstadt ein Seminar über Strömungsmechanik. Nun, zwischen Babyfüttern und Windelwechseln, dachte die junge Physikerin darüber nach, warum Gletscher eigentlich fließen und was genau passiert, wenn Eisberge kalben: „In der Mutterpause wurde mir klar, dass ich in die Glaziologie wechseln wollte.“ Das hat sie geschafft. Nach Stationen in Münster und Hamburg kam Angelika Humbert vor drei Jahren ans Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz- Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), in Bremerhaven. Dort ist sie von montags bis freitags, die Wochenenden verbringt sie bei ihrer Familie in Darmstadt. Am AWI leitet die Physikerin inzwischen die Abteilung für Glaziologie, wie die Wissenschaft vom Eis in der Fachsprache heißt. Mit der Stelle ist eine Professur an der Universität Bremen verbunden.
Ihre Forschungsergebnisse machen zuweilen weltweit Schlagzeilen. So war es, als Angelika Humbert im vergangenen Sommer einen Rekordrückgang der Eisschilde in Grönland und der Antarktis bekanntgab. Gemeinsam mit Kollegen am AWI hatte sie Satellitendaten ausgewertet und festgestellt, dass die beiden Eispanzer zusammen pro Jahr rund 500 Kubikkilometer Eis verlieren. „Das entspricht einer Eisschicht, die rund 600 Meter dick ist und sich über das gesamte Stadtgebiet Hamburgs erstreckt“, sagt die Eisforscherin. Dass solche Befunde politisch relevant sind, erschreckt sie nicht – im Gegenteil: „Unser Auftrag ist es, Daten zu liefern, die den Politikern sinnvolles Handeln ermöglichen.“ Aber wissenschaftlich korrekt sollten die Argumente schon sein: „Oft heißt es, alle Eisschilde schmelzen weg, aber das ist falsch“, sagt die Glaziologin. „Nur der grönländische Eispanzer schmilzt an der Oberfläche, in weiten Teilen der Antarktis gibt es jedoch keine solche Schmelze.“ Dort schrumpfen vor allem die Gletscher rasant.
Welche Ursachen das im Einzelnen hat und was daraus für das Klima folgt, erkundet Angelika Humbert mit ihrem Team. „Hier kann ich meine Papier-und-Bleistift-Theorien wunderbar mit konkreter Beobachtung verbinden“, sagt sie. So rekonstruieren Forscher in Bremerhaven zum Beispiel das Klima längst vergangener Epochen aus Eiskernen, die bei Bohrungen in Grönland oder in der Antarktis gewonnen wurden. Mit Radarmethoden messen sie die Dicke von Eispanzern. Satellitendaten liefern ihnen Bilder von der Oberfläche und mathematische Modellierungen ermöglichen Prognosen zur künftigen Entwicklung.
Den nötigen Praxisbezug bringen Expeditionen in die Polargebiete. Angelika Humbert freut sich schon auf ihre nächsten großen Feldkampagnen. Die erste führt sie von November bis Januar in die Antarktis. Die zweite Reise ist im Sommer 2016 auf das grönländische Eisschild geplant: Dort sollen neue Bohrungen unser Wissen über die Wechselwirkung zwischen Eis und Ozean erweitern.
Allein unter Männern ist Angelika Humbert weder bei den Feldkampagnen noch am Institut in Bremerhaven: Gerade in der Glaziologie gibt es erstaunlich viele Frauen, auch in leitenden Positionen. „Inzwischen nehmen auch die Männer öfter Elternzeit“, hat Humbert beobachtet – Familie und Beruf zu vereinbaren, sei zum Glück kein rein weibliches Thema mehr.
Sie selbst wird zu Hause von ihren Männern unterstützt: „Für meine Karriere gab es von Anfang an volle Rückendeckung“, erzählt Angelika Humbert. Ihr Ehemann, ebenfalls Physiker, und ihr inzwischen 19-jähriger Sohn regeln den Alltag, am Wochenende ist die Familie zusammen. Dann werden liebgewonnene Rituale gepflegt: der große Einkauf beim Biobauern in der Nähe oder das ausgedehnte Sonntagsfrühstück mit Diskussionen über Gott und die Welt.
Woche für Woche pendelt die Wissenschaftlerin mit dem Zug zwischen Bremerhaven und Darmstadt, pro Fahrt sind das mindestens fünf Stunden. Was viele als Zumutung empfänden, nimmt sie gern in Kauf: „Ein besseres Leben kann ich mir gerade nicht vorstellen.“
„Ich war Mitte zwanzig, das Physik-Diplom hatte ich geschafft und gerade war mein Sohn zur Welt gekommen“, berichtet die heute 45-jährige Wissenschaftlerin. Sie entschloss sich, eine Auszeit zu nehmen, um ihr Kind zu betreuen. In diesen vier Jahren las sich die gelernte Kernphysikerin in die Wissenschaft von der kalten Materie ein. Auf die Fährte gebracht hatte sie gegen Ende ihres Studiums an der Technischen Universität Darmstadt ein Seminar über Strömungsmechanik. Nun, zwischen Babyfüttern und Windelwechseln, dachte die junge Physikerin darüber nach, warum Gletscher eigentlich fließen und was genau passiert, wenn Eisberge kalben: „In der Mutterpause wurde mir klar, dass ich in die Glaziologie wechseln wollte.“ Das hat sie geschafft. Nach Stationen in Münster und Hamburg kam Angelika Humbert vor drei Jahren ans Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz- Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), in Bremerhaven. Dort ist sie von montags bis freitags, die Wochenenden verbringt sie bei ihrer Familie in Darmstadt. Am AWI leitet die Physikerin inzwischen die Abteilung für Glaziologie, wie die Wissenschaft vom Eis in der Fachsprache heißt. Mit der Stelle ist eine Professur an der Universität Bremen verbunden.
Ihre Forschungsergebnisse machen zuweilen weltweit Schlagzeilen. So war es, als Angelika Humbert im vergangenen Sommer einen Rekordrückgang der Eisschilde in Grönland und der Antarktis bekanntgab. Gemeinsam mit Kollegen am AWI hatte sie Satellitendaten ausgewertet und festgestellt, dass die beiden Eispanzer zusammen pro Jahr rund 500 Kubikkilometer Eis verlieren. „Das entspricht einer Eisschicht, die rund 600 Meter dick ist und sich über das gesamte Stadtgebiet Hamburgs erstreckt“, sagt die Eisforscherin. Dass solche Befunde politisch relevant sind, erschreckt sie nicht – im Gegenteil: „Unser Auftrag ist es, Daten zu liefern, die den Politikern sinnvolles Handeln ermöglichen.“ Aber wissenschaftlich korrekt sollten die Argumente schon sein: „Oft heißt es, alle Eisschilde schmelzen weg, aber das ist falsch“, sagt die Glaziologin. „Nur der grönländische Eispanzer schmilzt an der Oberfläche, in weiten Teilen der Antarktis gibt es jedoch keine solche Schmelze.“ Dort schrumpfen vor allem die Gletscher rasant.
Welche Ursachen das im Einzelnen hat und was daraus für das Klima folgt, erkundet Angelika Humbert mit ihrem Team. „Hier kann ich meine Papier-und-Bleistift-Theorien wunderbar mit konkreter Beobachtung verbinden“, sagt sie. So rekonstruieren Forscher in Bremerhaven zum Beispiel das Klima längst vergangener Epochen aus Eiskernen, die bei Bohrungen in Grönland oder in der Antarktis gewonnen wurden. Mit Radarmethoden messen sie die Dicke von Eispanzern. Satellitendaten liefern ihnen Bilder von der Oberfläche und mathematische Modellierungen ermöglichen Prognosen zur künftigen Entwicklung.
Den nötigen Praxisbezug bringen Expeditionen in die Polargebiete. Angelika Humbert freut sich schon auf ihre nächsten großen Feldkampagnen. Die erste führt sie von November bis Januar in die Antarktis. Die zweite Reise ist im Sommer 2016 auf das grönländische Eisschild geplant: Dort sollen neue Bohrungen unser Wissen über die Wechselwirkung zwischen Eis und Ozean erweitern.
Allein unter Männern ist Angelika Humbert weder bei den Feldkampagnen noch am Institut in Bremerhaven: Gerade in der Glaziologie gibt es erstaunlich viele Frauen, auch in leitenden Positionen. „Inzwischen nehmen auch die Männer öfter Elternzeit“, hat Humbert beobachtet – Familie und Beruf zu vereinbaren, sei zum Glück kein rein weibliches Thema mehr.
Sie selbst wird zu Hause von ihren Männern unterstützt: „Für meine Karriere gab es von Anfang an volle Rückendeckung“, erzählt Angelika Humbert. Ihr Ehemann, ebenfalls Physiker, und ihr inzwischen 19-jähriger Sohn regeln den Alltag, am Wochenende ist die Familie zusammen. Dann werden liebgewonnene Rituale gepflegt: der große Einkauf beim Biobauern in der Nähe oder das ausgedehnte Sonntagsfrühstück mit Diskussionen über Gott und die Welt.
Woche für Woche pendelt die Wissenschaftlerin mit dem Zug zwischen Bremerhaven und Darmstadt, pro Fahrt sind das mindestens fünf Stunden. Was viele als Zumutung empfänden, nimmt sie gern in Kauf: „Ein besseres Leben kann ich mir gerade nicht vorstellen.“
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