NAKO-Gesundheitsstudie
„Die Daten werden mit der Zeit immer wertvoller“
Forscher wollen in einer auf Jahrzehnte angelegten Studie den Gesundheitszustand von 200.000 Menschen untersuchen. Sie sind sich sicher, dadurch völlig neue Erkenntnisse über die Entstehung von Volkskrankheiten zu gewinnen. Wir sprachen mit Annette Peters, der Vorstandsvorsitzenden der Studie.
Seit 2014 wurden für die NAKO Gesundheitsstudie 200.000 Bundesbürger zwischen 20 und 69 Jahren zu ihren Lebensumständen und Krankheitsgeschichten befragt und untersucht. Jetzt steht die erste Folgeuntersuchung an. Annette Peters, Direktorin des Institutes für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrums München, ist Vorstandsvorsitzende der NAKO.
Die NAKO ist eine auf bis zu 30 Jahre angelegte Gesundheitsstudie und mit 200.000 zufällig ausgewählten Teilnehmenden außergewöhnlich umfangreich. Diese werden in Abständen untersucht – um was genau herauszufinden?
Wir wollen mit der Studie Aufschluss über die Gründe bekommen, wie sich Krankheiten entwickeln. Vor allem, um daraus ableiten zu können, wie sie sich vermeiden oder behandeln lassen. Dafür sind große Gruppen notwendig, die über einen längeren Zeitraum verfolgt werden: Wer wird krank, wer bleibt gesund? Und woran könnte das liegen? Das Besondere an der Studie ist, dass sie sich nicht auf eine einzelne Krankheit fokussiert, sondern die gesamte Breite der Volkskrankheiten, wie Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Diabetes, Demenz, Infektionen oder Erkrankungen des Immunsystems betrachtet. Welche Krankheiten treten gemeinsam auf? Liegt ihnen eine gemeinsame Ursache zugrunde? Wie lässt sich die beheben?
Wie gehen Sie dabei vor?
Wir haben die 200.000 Frauen und Männer in den letzten vier Jahren ausführlich untersucht, ihre Blutwerte bestimmt und viele weitere Untersuchungen durchgeführt, wie zum Beispiel Lungenfunktionstests, Ultraschallmessungen, wie gut jemand hört, riecht oder sich konzentrieren kann. Und wir haben sie ausführlich nach ihren Lebensgewohnheiten befragt: etwa wie viel Sport sie treiben, ob sie rauchen, wie sie sich ernähren. Bei den Folgeuntersuchungen werden wir sehen, wer eventuell krank geworden ist oder wie sich eine bestehende Krankheit entwickelt hat. Aus den vielen Daten werden wir sicher viele, uns heute noch unbekannte Zusammenhänge erkennen.
Ist die Größenordnung der NAKO weltweit einmalig?
Es gibt noch andere dieser sogenannten Mega-Kohorten. Jede dieser Studien hat ihre Einzigartigkeit. Die der NAKO ist, dass wir alle häufigen Krankheiten durch gezielte Untersuchungen abdecken und Bioproben – darunter Blut, Urin, Speichel und Nasenabstriche – gewinnen. Deren besonders hohe Qualität garantieren wir durch unsere spezielle Vorgehensweise.
Die da wäre?
Wir nehmen sie direkt in den bundesweit 18 Studienzentren ab und gewährleisten eine geschlossene Kühlkette bis hin zur Einlagerung bei -180 Grad. Zudem verwenden wir mit der Magnetresonanztomografie ein bildgebendes Verfahren bei 30.000 der Teilnehmerinnen. Dabei wird der gesamte Körper analysiert; besonders konzentrieren wir uns auf Gehirn, Herz und Fettverteilung. Wir möchten zum einen Frühstadien von Krankheiten entdecken, zum anderen wiederholen wir diese Bilder bei einem Teil der Studienteilnehmer innerhalb von vier Jahren. Dadurch können wir neue diagnostische Verfahren entwickeln, insbesondere durch Digitaltechnik. Wir können aber auch feststellen, welche Veränderungen völlig harmlos sind und keiner weiteren Therapie bedürfen.
Wenn eine Studie über einen derartig langen Zeitraum läuft – macht einen das als Forscher nicht ein bisschen irre? Dass man erst in 20, 30 Jahren wirklich abschließen kann?
Es ist ja noch viel irrer: Seit 2009 wurde am Design und an den Methoden gearbeitet, in den vergangenen viereinhalb Jahren haben wir die Teilnehmenden rekrutiert und untersucht, sodass schon zehn Jahre vergangen sind, bevor wir die ersten Daten analysieren können. Eine solche Studie ist eine klare Investition in die Zukunft. Aber eine lohnende.
Wovon hängt es ab, ob die Studie über 20 oder über 30 Jahre laufen wird?
Bis 2023 ist die Studie durch den Bund, die Länder und die Helmholtz-Gemeinschaft finanziert. Wir beginnen jetzt schon aus wissenschaftlicher Sicht zu diskutieren, wie es sinnvoll weitergehen sollte. Die Daten und die Bioproben werden ja mit der Zeit immer wertvoller, insbesondere, wenn wir wissen, wer krank wird und wer gesund bleibt, In jedem Fall sind die Erhaltung, Aufbereitung, und der Zugang zu den Daten und Bioproben für Deutschland ein klarer Standort-Vorteil.
Dieser Tage wird gefeiert, dass alle 200.000 Teilnehmenden einmal untersucht wurden und der nächste Schritt eingeleitet wird?
Genau. Ein paar Nacharbeiten laufen bis September, aber elf Studienzentren haben bereits mit der zweiten Untersuchungsrunde angefangen.
Lassen sich bereits erste Erkenntnisse ableiten?
Nach der Erstuntersuchung haben wir zunächst geschaut, ob die Daten mit unseren Erwartungen übereinstimmen. So wurde bei 15 Prozent der Studienteilnehmer schon einmal eine Depression diagnostiziert – das entspricht dem Bevölkerungsschnitt. Zugleich zeigt uns diese Zahl, dass wir bei 200.000 Teilnehmenden 30.000 Depressions-Betroffene haben. Diese große Zahl veranschaulicht, dass die NAKO ermöglicht, eine Vielzahl weiterer Forschungsfragen anzuschließen. Wir erwarten, dass wir schon bei der Auswertung der Daten der Erstuntersuchung neue, wichtige Zusammenhänge erkennen werden. So wollen wir im Rahmen eines neuen interdisziplinären Projektes zum Klimawandel die Daten der NAKO nutzen, um Aufschluss zu den gesundheitlichen Auswirkugnen der Hitzewellen zu bekommen. Hier bietet die NAKO Gesundheitsstudie Daten zu neuen, noch nicht betrachteten Geundheitsparametern und eine große räumliche Variabilität, die ländliche Gebiete und Metropolen einschließt.
Wie sieht es bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus?
Zunächst wie erwartet: Herzinfarkte sind bei Männern sehr viel häufiger als bei Frauen. Aber Herzrhythmusstörungen geben Frauen in relativ jungem Alter gleich häufig an wie Männer. Das bestätigt: Frauen können auch Herzkreislauferkrankungen schon im mittleren Alter entwickeln, was aber größtenteils nicht genügend beachtet wird – weder von den Frauen noch von den Medizinern. Hier ist wichtig, zukünftig genauer hinzuschauen.
Wenn diese erste Folgeuntersuchung Ende 2022 abgeschlossen sein wird – geht es dann mit der nächsten Folgeuntersuchung weiter? Oder nimmt man sich Personen heraus, bei denen man sieht: Hier entwickelt sich etwas, das wollen wir uns genauer ansehen und untersucht diese Personen intensiver?
Das ist eine spannende Frage, über die wir gerade aus wissenschaftlicher Sicht diskutieren. Was absolut Vorrang haben muss, ist, die Dateninfrastrukturen weiter zu betreiben und zugleich neue Möglichkeiten zu schaffen. Ich denke da an die neuen Analyseverfahren, die im biomedizinischen Bereich entwickelt werden, etwa die Anwendung von künstlicher Intelligenz. Der zweite Punkt betrifft die Nutzungen der Bioproben. Damit haben wir einen Schatz mit einem gewaltigen Potenzial. Auf der einen Seite planen wir, mit neuen Sequenziertechnologien neue Genveränderungen zu charakterisieren, die für Krankheiten verantwortlich sind. Noch wichtiger wird vermutlich sein, die Regulation der Gene, die Epigenetik, die durch den Lebensstil und der Umwelt bestimmt wird, besser zu verstehen. Die Blutproben werden mit großer Akribie prozessiert und gelagert. Neue Verfahren werden es erlauben, den Stoffwechsel besser zu charakterisieren und Stoffe aus der Nahrung oder der Umwelt aufzuspüren. Ein zukünftiger Schwerpunkt sollte sein, die entsprechenden Messungen in den Bioproben zu finanzieren. Und konkret zu Ihrer Frage: Man kann alle Personen weiter untersuchen, das ist aber teuer. Ich denke eher, dass man gewisse Gruppen heraussuchen oder unterschiedliche Schwerpunktcluster bilden wird. Dann untersucht man nicht immer alle Personen gleichzeitig, sondern arbeitet mit wechselnden Fragestellungen.
Hätten Sie da ein Beispiel?
Aus Sicht des Helmholtz Zentrums München wäre eine Gruppe von Personen mit Prädiabetes sehr spannend, da würden wir genauer nachsehen wollen. Auch Personen, die bei den Untersuchungen für ihr Alter besonders gut abschneiden, wären eine hoch spannende Gruppe, um das Warum zu verstehen.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung?
Eine sehr große. Die wollen wir weiter vorantreiben. Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung hat eine Plattform entwickelt, die es erlaubt, datenschutzkonform Apps zu entwickeln, um weitere Daten zu erheben, etwa zu Infektionen. Das wollen wir verstärkt einsetzen. So lassen sich von den Studienteilnehmern auch in kleineren Abständen Symptome erfassen sowie Daten zu Lebensstil und Umweltexposition sammeln und zu spezielleren Fragestellungen zusätzliche Informationen gewinnen.
Macht Sie als Mitverantwortliche dieser Riesenstudie nicht der Gedanke nervös, irgendeinen Parameter vergessen zu haben, dessen Daten man in 20 Jahren aber enorm interessant finden würde?
Wir haben sicherlich nicht alles abgedeckt. Es wird immer mal vorkommen, dass man gerne Daten hätte, die die Studie aber nicht hergibt. Aber die NAKO ist schon viel umfänglicher als andere Studien, von daher glaube ich, dass wir einen ganz guten Wurf gemacht haben. Das Schöne an einer so großen Kohortenstudie ist doch, dass man gewisse Dinge immer noch hinzufügen kann. Über externe Daten – wie Wohnumfeld, soziales Umfeld – werden sich gänzlich neue Erkenntnisse gewinnen lassen. Und dass wir mit den Bioproben so einen großen Aufwand treiben, hat ja auch seinen Grund: Die Methoden, die in zehn, 20 oder 30 Jahren zur Verfügung stehen, werden zu Erkenntnissen führen, von denen wir noch überhaupt keine Ahnung haben.
Die NAKO-Gesundheitsstudie
Für die größte deutschlandweite Gesundheitsstudie haben sich die Helmholtz-Gemeinschaft, universitäre Partner und bekannte Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen. Die Studie soll die Ursachen von Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Diabetes, Demenz, Infektionen oder Erkrankungen des Immunsystems aufklären. Menschen aus ganz Deutschland werden medizinisch untersucht und nach ihren Lebensgewohnheiten (z.B. körperliche Aktivität, Rauchen, Ernährung, Beruf) befragt. Darüber hinaus werden von allen Studienteilnehmern Blut-, Urin-, Stuhl- und Speichelproben sowie Nasenabstriche gewonnen und für spätere Forschungsprojekte in einer zentralen Bioprobenbank gelagert.
Vier Jahre nach Beginn der Studie werden nun alle Teilnehmer zu einer zweiten Untersuchung und Befragung in die Studienzentren eingeladen. Im Laufe der geplanten Nachbeobachtung von bis zu 20 Jahren werden bei vielen Teilnehmern Erkrankungen auftreten, die dann mit den vor der Erkrankung erhobenen Daten in Verbindung gebracht werden können. Die Studie bietet damit einzigartige Möglichkeiten für eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen für bessere Früherkennung, Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten. Die Studie wird aus öffentlichen Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Helmholtz-Gemeinschaft und der Bundesländer finanziert.
Beteiligte Helmholtz-Zentren:
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)
Helmholtz-Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (HMGU)
Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
Zum Weiterlesen:
„Unser Ziel ist die personalisierte Prävention“ (Interview mit MDC-Forscher und NAKO-Vorstand Tobias Pischon)
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