Flugzeugentwicklung
Die Daten der Lüfte
Um Flugzeuge zu entwickeln, sind aufwendige und teure Tests nötig. Auch die spätere Instandhaltung kostet die Airlines viel Geld. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) will das ändern - mithilfe von Supercomputern und der Auswertung riesiger Datenmengen.
Die Luftfahrt steht vor einer digitalen Revolution. Schon heute ähneln moderne Jumbos eher fliegenden Computern. Doch bis ein neues Flugzeug erst einmal vom Entwurf zum Einsatz in der Luft kommt, vergehen viele Jahre. In der Regel sind es acht bis zehn. Das liegt unter anderem daran, dass die Konstruktion eine aufwendige Sache ist. Es gibt auch zahlreiche Zulassungsanforderungen, die Flugzeughersteller mit intensiven Tests erfüllen müssen. Doch das könnte sich in Zukunft ändern. Forscher vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wollen einen großen Teil der Tests von Computern erledigen lassen. "Unser Ziel ist es, Flugzeuge nicht nur am Rechner zu entwerfen, sondern auch zu erproben und zu zertifizieren", sagt Prof. Norbert Kroll. Er ist der Leiter des Simulationszentrums C²A²S²E im DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Braunschweig. Die virtuellen Tests, die hier erarbeitet werden, sollen die Entwicklung verkürzen und Kosten reduzieren, aber auch helfen, neue Technologien schneller zu bewerten.
Der Schlüssel dazu heißt Big Data. Kroll spricht allerdings lieber von Data Science. Denn Big Data steht für ihn stark in Verbindung mit dem, was Internetriesen wie Google und Facebook machen: Nutzer-Daten zu sammeln, um personalisierte Inhalte präsentieren zu können. "Das sind große Datenmengen, aber auch sehr einfache Daten", sagt Kroll. "In unserem Bereich haben wir dagegen etwas geringere Datenmengen, dafür aber sehr komplexe, heterogene Datensätze."
Um ein Flugzeug zu charakterisieren, bedarf es etwa einer Million Datensätze mit mehreren zusammenhängenden Informationen. Dazu gehören beispielsweise Drücke und Geschwindigkeiten der Luftströmung in verschiedensten Flugsimulationen. Um die Vision der virtuellen Zulassung voranzutreiben, fließen zudem Daten aus der aktuellen Flugerprobung sowie aus früheren Flugzeugtests und Windkanalversuchen mit ein. Dafür arbeitet das DLR auch eng mit industriellen Partnern wie Airbus zusammen.
Für die Verarbeitung der riesigen Datensätze sind leistungsstarke Rechner nötig. Im C²A²S²E in Braunschweig gibt es dafür einen Supercomputer, mit dem man durch Parallelverteilung der Rechenarbeit auf eine Vielzahl von Prozessoren gekoppelte Simulationen von Aerodynamik und Strukturwechselwirkung innerhalb von Stunden oder Tagen durchführen kann. "Die Zunahme der Rechenleistung erlaubt uns, neue Wege zu gehen, die früher aufgrund ihres Aufwands kein Thema waren", sagt Kroll.
Das eröffnet nicht nur der Flugzeugentwicklung und -zulassung neue Perspektiven, sondern auch der Instandhaltung der im Alltag stark beanspruchten Triebwerke. "Der größte Einfluss von Big Data ist, dass Instandhaltung, Reparatur und Überholung auf eine vorausschauende Ebene gehoben werden", sagt Uwe Zachau, Head of Industrial Engineering bei MTU Maintenance.
Schon lange sammeln und analysieren Airlines und Instandhalter diverse Triebwerksdaten, etwa Öldrücke, Treibstoffverbrauch und Abgastemperaturen. Dadurch können frühzeitig Probleme bei einzelnen Komponenten erkannt und behoben werden. Durch die Kombination mit weiteren Daten aus dem Betrieb einer ganzen Flugzeugflotte, beispielsweise Einsatzgebiete, Flughöhen und -geschwindigkeiten, könnten künftig Gesetzmäßigkeiten identifiziert werden, die bislang unbekannt waren. So würden Vorhersagen darüber möglich, wie lange ein bestimmtes Triebwerk noch einsatzbereit ist. Instandhaltungsmaßnahmen und Ersatzteillogistik könnten noch besser geplant werden
"Big Data ist in der Instandhaltungsbranche derzeit in aller Munde", sagt Zachau. Die nötigen Technologien und Programme seien aber noch in der Entwicklung. "Die größte Herausforderung ist die Zusammenführung der entsprechenden Informationen, um daraus genügend Datenpunkte zu generieren. Erst dadurch können wir bestimmte Muster über verschiedene Triebwerke, Regionen und Betriebszustände hinweg bestimmen", sagt Zachau.
Ob Zulassung am Computer oder vorausschauende Instandhaltung: Beides wird noch einige Zeit brauchen, um im Alltag anzukommen. Doch DLR-Forscher Kroll ist sich sicher: "Data Science in Verbindung mit Höchstleistungsrechnern wird die Welt bezüglich der Produktentwicklung in der Luftfahrt noch einmal revolutionieren."
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