Standpunkt
„Deutschland verdient ein Bundesministerium mit neuem Zuschnitt“
Helmholtz-Präsident Otmar D. Wiestler fordert im Vorfeld der Bundestagswahl 2025, künftig einen noch stärkeren Schulterschluss von Wissenschaft und Wirtschaft zu suchen: Dafür müsste unter anderem Forschung und Innovation in einem Bundesministerium strategisch zusammenlaufen.
Wenn die Trump-Regierung nur einen Tag nach der Amtseinführung die Gründung eines 500 Milliarden Dollar schweren KI-Projekts verkündet, dann ist es wie vieles in diesen Tagen eine Inszenierung. Dahinter stecken jedoch eine ernstzunehmende Richtungsentscheidung und ein deutliches Signal an Europa und China. Das chinesische KI-Start-up DeepSeek wiederum überrascht mit einem Sprachmodell, das mit einem Bruchteil der Ressourcen trainiert worden ist und anderen Modellen dennoch ebenbürtig zu sein scheint. Mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl sollten wir spätestens diese Entwicklungen als Weckruf verstehen, uns auf einen Innovationswettbewerb vorzubereiten, wie wir ihn nie zuvor gesehen haben.
In nahezu allen Lebensbereichen stehen uns enorme Transformationen bevor, die unsere Zukunft prägen werden: die dringend erforderliche Energiewende, der Umgang mit dem sich zuspitzenden Klimawandel, die Mobilitätswende oder eine innovative Gesundheitsversorgung. In jedem dieser Bereiche wird Künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle spielen. Doch im Wettbewerb mit den USA und China dürfen wir deren Strategien nicht einfach kopieren, sondern müssen unsere eigenen Stärken ausspielen – insbesondere die hohe Qualität von Forschungsdaten oder die Erfahrung mit KI-Grundlagenmodellen. Unser Erfolg in der Helmholtz-Gemeinschaft beruht auf einer strategischen Verknüpfung der Forschungsbereiche mit Datenwissenschaften.
Für echte Innovationserfolge benötigen wir künftig einen noch stärkeren Schulterschluss von Wissenschaft und Wirtschaft. Gemeinsam müssen wir an völlig neuen Technologien arbeiten und einen globalen Spitzenplatz im Innovationswettbewerb einnehmen. Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, über die Automobilindustrie, dem heute noch bedeutendsten Industriesektor, hinaus zu denken und neue Zukunftsmärke zu erschließen – unter anderem im Medizinsektor, wie ich es vor einigen Wochen gemeinsam mit Michael Kaschke vom Stifterverband dargelegt habe.
Mit einer Reihe von regionalen und thematischen Innovationsclustern hätten wir das Potenzial für Entwicklungsschübe auf kritischen Zukunftsfeldern. Dafür müssen wir aber auch neue Konstellationen der Zusammenarbeit und neue Finanzierungsmodelle erproben, wie beispielsweise mutigere Kombinationen von öffentlichen und privaten Mitteln oder steuerliche Anreize für private Forschungs- und Innovationsförderung. Selbstverständlich sind wir auf Investitionen in moderne Ausbildungszweige und Talente aus der ganzen Welt angewiesen. Gemeinsam müssen wir an einer stärkeren Willkommenskultur arbeiten und die Hürden für das internationale Recruiting abbauen.
Um diese Ziele zu erreichen, müssen Forschung und Innovation in der kommenden Legislaturperiode einen prominenten Stellenwert in der Agenda der neuen Bundesregierung erhalten. Deutschland verdient ein Bundesministerium mit einem neuen Zuschnitt und einer hoch kompetenten Leitung, in dem diese beiden Bereiche strategisch zusammenlaufen. Heute stehen wir vor dem Problem, dass unsere Forschung in verschiedenen Ressorts verankert ist und die derzeitigen Zuschnitte teils wenig innovationsfreundlich sind. Die Energietransformation zum Beispiel wird erschwert, wenn sie grundsätzlich über das BMWK läuft, die Zukunftstechnologien allerdings im BMBF verhandelt werden. Der von einigen Akteuren eingebrachte Vorschlag eines Digitalministeriums erscheint mir hingegen zu kurz gedacht. Digitalisierung sollte sich auf keinen Fall in einem Haus bündeln, sondern muss sich zwingend durch alle Bereiche ziehen – von Gesundheit über Energiesysteme, Klima, Mobilität bis zu Bildung und Finanzen.
Letztendlich muss das neue Ministerium auch konsequent auf Bürokratieabbau setzen, um das Silicon Valley of Bureaucracy in unserem Land endlich aufzubrechen. Bürokratieabbau ließe sich nach der Wahl in einem Sofortprogramm für den Forschungsstandort Deutschland binnen weniger Wochen realisieren – wohlgemerkt ohne Kosten zu verursachen. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wer sie ignoriert, gefährdet unsere Zukunftsfähigkeit.
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