Standpunkt
„Deutschland und Europa müssen den Mut aufbringen, in der Weltspitze mitzuwirken“
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Bild: Peter Kerkrath
Im globalen Wettlauf um KI-Technologien sind die Spitzenplätze vergeben. Doch mit klugen Strategien könnte Deutschland noch aufholen. Worauf es dabei ankommt, skizziert Michael Backes, CEO des CISPA Helmholtz-Zentrums für Informationssicherheit.
Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit und deren methodische Durchbrüche sind Haupttreiber für Innovation und Wirtschaftswachstum im 21. Jahrhundert. Diese Einsicht führt weltweit zu konzertierten Aktionen wie dem US-amerikanischen Stargate-Projekt mit einem Investitionsvolumen von bis zu 500 Milliarden Dollar. Globale IT-Unternehmen in den USA und zunehmend China sind führend, bisweilen gar enteilt: Während die USA laut OECD im Jahr 2023 rund 54,8 Milliarden Dollar in KI-Start-ups investierten, flossen in China 18,3 Milliarden Dollar und in Deutschland nur 2,2 Milliarden Dollar in diesen Bereich. Deutschland läuft akut Gefahr, diesen entscheidenden Teil der Wertschöpfung langfristig zu verlieren. Der Erhalt und das nachhaltige Wachstum des Wohlstands in Deutschland und Europa hängen entscheidend davon ab, ob es uns gelingen wird, in der Innovationsfähigkeit in diesen Schlüsselthemen international aufzuschließen und eine tragende Rolle zu übernehmen. Die neue Bundesregierung steht damit vor einer großen Herausforderung.
Der entscheidende Faktor zur Konkurrenzfähigkeit werden disruptive Fortschritte in methodischen Grundlagen der vertrauenswürdigen Informationsverarbeitung und deren Translation in neuartige Anwendungen sein. Genau solche Fortschritte revolutionieren unser Leben seit Jahren und entfalten exponentielle Wirkung. Sie gipfeln im Prinzip des „The winner takes it all“: Konzeptionelle Durchbrüche in KI führen zu derart drastischen Verbesserungen in Funktionalität, Performanz und Kosten, dass bislang als unrealistisch angesehene Anwendungen und neuartige Märkte in kürzester Zeit erschaffen werden. Viele bestehende Ansätze werden nahezu augenblicklich nicht mehr konkurrenzfähig. Die Analogie der Transition von Pferdekutschen zum Automobil drängt sich auf. Das in Deutschland bisher von der Politik oft postulierte und in der Praxis gelebte Modell des reinen Technologietransfers greift zu kurz, da es konzeptionellen Fortschritt als maßgeblichen Teil einer langfristig erfolgreichen Innovationskette verkennt. In der Analogie strebt es schnellere Pferde an, statt sich mit aller Kraft der Gestaltung des Automobils und dessen Möglichkeiten zu widmen. Deutschland und Europa müssen den Mut aufbringen, bei KI- und Cybersicherheitsforschung in der Weltspitze mitzuwirken.
Die neue Bundesregierung muss an verschiedenen Punkten ansetzen. Dabei muss die Förderung tiefer Forschung, die nicht nur auf momentane Bedarfe ausgerichtet ist, im Mittelpunkt stehen. Wir brauchen den Mut, Bürokratie radikal zu minimieren und die Finanzierung von Initiativen zu beenden, die internationalen Exzellenzanforderungen nicht gerecht werden. Statt kurzfristiger Transfers etablierter Konzepte sind konzeptionelle Neuerungen und deren Wertschöpfung der Schlüssel.
Wir brauchen außerdem Leuchtturm-Initiativen über Disziplinen hinweg und gelebte Vorbilder für die Wertschöpfung aus Spitzenforschung. Forschende mit höchstem internationalem Anspruch müssen inhaltliche Triebfedern eines sich stetig verbessernden Systems sein, das mit ambitionierten und technologieaffinen Unternehmern und Investoren kooperiert. Beispiel für eine solche Initiative ist die Zusammenarbeit des CISPA mit der European School of Management and Technology. Durch die Bündelung unserer Expertisen streben wir den Aufbau eines führenden europäischen Ökosystems an, das echte technologische Durchbrüche erzielt und effizient in ökonomische Wertschöpfung überführt.
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