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Wissenschaftsjahr Zukunftsenergie

„Deutschland muss seine ehrgeizigen Ziele im Blick behalten“

Bild: HZB / David Ausserhofer

Das Wissenschaftsjahr 2025 widmet sich dem Thema „Zukunftsenergie“. Ein Gespräch über die Transformation unseres Energiesystems mit Bernd Rech, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums Berlin und Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft für den Forschungsbereich Energie.

In Deutschland verzeichnen wir große Fortschritte bei der Transformation unseres Energiesystems. Unseren Strom etwa beziehen wir mittlerweile zu 60 Prozent aus erneuerbaren Energien, 1990 waren es noch unter fünf Prozent. Mit neuen Technologien arbeiten wir viel effizienter als noch vor wenigen Jahrzehnten. Auch deshalb hat der CO2-Ausstoß sich in Deutschland deutlich reduziert. Deutschlands Treibhausgasemissionen sind seit 1990 um etwa die Hälfte gesunken. Das Wirtschaftswachstum ist vom Energieverbrauch entkoppelt. Der Handlungsdruck ist aber nach wie vor groß, denn der Klimawandel schreitet voran und drei Viertel der globalen CO2-Emissionen werden durch den Energiebedarf verursacht. Von unserem gesamten Primärenergieverbrauch decken Erneuerbare in Deutschland inzwischen 20 Prozent ab. Es gibt also viel zu tun – besonders auch in den Bereichen Transport, Industrie und Wärme.

Forschung schafft unerlässliche Voraussetzungen für die Weiterentwicklung unseres Energiesystems. Einzelne Komponenten werden durch technologische Verbesserungen effizienter und leistungsfähiger – zum Beispiel Windturbinen, Photovoltaikanlagen und Batterien. Hightech-Produkte können mittlerweile in Massenfertigung produziert werden. Entscheidend sind aber nicht nur einzelne Komponenten, sondern die Architektur des Systems. Wie ein transformiertes Energiesystem mit unzähligen dezentralen Quellen funktioniert, wie wir aus Strom Wärme gewinnen, wie wir Energie speichern. Damit das geht, müssen wir die verschiedenen Sektoren des Energiesystems, etwa Industrie und Verkehr, miteinander koppeln – von der Energiegewinnung bis zum Verbrauch, vom Strom bis zur Wärme. Das garantiert Stabilität und lückenlose Energiesicherheit. Hierfür haben wir integrative Szenarien entwickelt, die sozioökonomische Aspekte berücksichtigen und den Weg zeigen, wie man unsere Energieversorgung umbauen kann, sodass diese immer nachhaltiger und CO2-neutral wird. Wasserstoff wird dabei eine Schlüsselrolle einnehmen.

Aus regenerativen Energien hergestellter Wasserstoff ermöglicht es, die CO₂-Emissionen vor allem in Industrie und Verkehr deutlich zu verringern. Das gilt auch überall dort, wo die direkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien nicht möglich ist. Aus Wasserstoff können auch klimaneutrale synthetische Brenn- und Kraftstoffe z.B. für den Flugverkehr erzeugt werden. Im Stromsektor wiederum trägt Wasserstoff als Speicher für Sonnen- und Windkraft zur Sicherheit der Energieversorgung bei.

Beim Ausbau der Wasserstoffwirtschaft treten wir nun in eine neue Phase ein: Erste Pilotprojekte haben gezeigt, wie wir vorankommen können. Jetzt heißt es, diese Technologien groß auszurollen: grünen Wasserstoff im großen Stil herstellen und zugleich die Märkte dafür aufbauen. Dabei stellt sich die Frage, womit nun wer in welcher Reihenfolge die ersten Schritte macht. Da ist langer Atem gefordert.

Einige unerwartete Erfahrungen in den letzten Jahren haben uns gelehrt, krisenfest zu planen: von Lieferengpässen im Zuge der Corona-Pandemie bis hin zum Einbruch der Gasimporte durch den Ukrainekrieg. Wir haben gelernt, dass Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit kreislauffähige neue Materialien und Produkte erfordern.

Helmholtz Energy arbeitet intensiv an der Entwicklung von Innovationen, die die Umsetzung eines nachhaltigen Energiesystems beschleunigen und dazu beitragen, die Energiekosten zu senken und die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Unter anderem forschen wir – von den Grundlagen bis zur Anwendung – an Technologien, die einen wesentlichen Beitrag zum Energiemix leisten, an bezahlbaren und nachhaltigen Speichertechnologien, und an der Digitalisierung der Energieinfrastruktur.

Da sind erstens die systemimmanenten Aspekte. Das heißt vor allem, auf Dunkelflauten vorbereitet zu sein: Mangelt es kurzzeitig an Sonne und Wind müssen Speicher oder Kraftwerkskapazitäten einspringen. Auf der anderen Seite braucht es diese Speicherkapazitäten für Stromüberschüsse. Zweitens sind Störungen von außen ein relevantes Thema: In einem zunehmend digitalisierten System steht Cybersicherheit ganz oben auf der Agenda, mit Backup-Lösungen wie etwa einzeln abstellbaren bzw. einsetzbaren Modulen. Drittens befassen wir uns mit Technologiesouveränität aber auch mit internationalem Austausch: Deutschland wird auch langfristig auf Energieimporte angewiesen bleiben, zum Beispiel in Form von Wasserstoff aus sonnenreichen Regionen wie Afrika. Umgekehrt werden wir Technologien exportieren. Dabei kommt es auf die Stabilität unserer Partnerschaften an. Also auch politische und gesellschaftliche Weitsicht tragen zur Resilienz unserer Energieversorgung über Jahrzehnte bei.

Anlagen, die Sonne und Wind nutzen, zeigen global das größte Wachstum. Und das aus gutem Grund: Die Potenziale sind enorm und diese Quellen lassen sich kostengünstig nutzen. Weniger als ein Prozent der globalen Sonneneinstrahlung könnte die gesamte Energieversorgung der Menschheit abdecken. Einziger Haken dabei: Der Input aus Sonne und Wind fluktuiert. Wasserkraft und die nachhaltige Nutzung von Biomasse sind wichtige Ergänzungen. Das Potenzial der Geothermie ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Dabei gibt es sehr viel zu bedenken, das ist keine Schwarz-Weiß-Entscheidung. Kernspaltung produziert heute rund zehn Prozent der globalen Stromerzeugung. Sie tut dies zwar CO2-neutral, konfrontiert uns aber mit dem ungelösten Problem des radioaktiven Abfalls. Der Bau neuer Kraftwerke ist mit signifikanten Kosten sowie sehr langen Planungs- und Bauzeiten verbunden. Dies zeigen aktuelle Neubauprojekten in Frankreich, England und Finnland. Und neben der Wirtschaftlichkeit gilt es auch die Akzeptanz zu berücksichtigen. Egal zu welchem Ergebnis man langfristig kommt, kurzfristig wird Kernkraft in Deutschland keine Probleme lösen. Was wir aber weiterhin brauchen, ist nukleare Kompetenz – neben der Sicherheit auch mit Blick auf die Endlagerung, die hierzulande Thema bleiben wird.

Energie ist ein Grundbedürfnis der Menschheit – und der globale Bedarf steigt. Kernfusion als praktisch unerschöpfliche Quelle, die risikoarm arbeitet und gleichmäßig liefern kann, ist ein lohnendes Ziel, das aber noch viel Forschung benötigt.  Wichtige Erfolge wurden bereits erzielt. Mit dem Stellerator Wendelstein 7-X etwa sind Max-Planck- und Helmholtz-Forschende beim magnetischen Einschluss mit einem besonders innovativen Konzept weitergekommen. Das internationale Großprojekt ITER macht Fortschritte und mit der Laserfusion ist ein weiteres physikalisches Konzept in der Erprobung. Klar ist dennoch: Größere Kraftwerke dieser Art wird es frühestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts geben. Gut, wenn wir dann mit der Kernfusion ein weiteres wichtiges Werkzeug für die Zukunft haben.

Deutschland muss seine ehrgeizigen Ziele für den Umbau des Energiesystems im Blick behalten und braucht einen strategischen Plan, mit welchen Schritten wir diese Ziele langfristig erreichen. Auf dieser Basis schaffen politische Entscheidungen Sicherheit für anstehende Investitionsentscheidungen. Mit Blick auf den internationalen Wettbewerb ist Agilität angesagt. Wir werden mit Forschung, Erfindergeist und Transfer in Industrie und Gesellschaft dazu beitragen. Nur Innovation hält Deutschland wettbewerbsfähig.

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