Portrait
Der Sportler im Laborkittel
Steve Albrecht stand als Schüler vor der Entscheidung, Leistungsturner zu werden – und entschied sich für die Wissenschaft. Der sportliche Ehrgeiz begleitet ihn aber auch in seiner Forschung.
Die Handwerker sind gerade im Haus, endlich wird der alte Wasserschaden repariert. Steve Albrecht läuft zwischen dem Badezimmer, dem klingelndem Telefon und seinem Schreibtisch hin und her, bald muss er ohnehin aufbrechen zu seinem Büro, aber Hektik bricht darüber nicht aus: Wenn es jemand gewöhnt ist, mit vielen Bällen gleichzeitig zu jonglieren, dann ist er es. 35 Jahre ist er alt, in dieser Zeit hat er es zu einer Juniorprofessor an der TU Berlin geschafft, einer eigenen Nachwuchsgruppe am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB), einer beachtlichen sportlichen Karriere und außerdem zu einem zwölfjährigen Sohn und einer neunjährigen Tochter. „Die Bauarbeiter kommen derzeit öfters wegen des Wasserschadens“, sagt er schulterzuckend, „aber bald ist die Sache hoffentlich erledigt.“
In Werder wohnt Steve Albrecht mit seiner Familie, unweit von Potsdam, wo er aufwuchs. Auf Achse ist er eigentlich immer: Mal zur TU in Charlottenburg, aber meistens nach Adlershof zu seiner Arbeitsgruppe. „Neulich habe ich mir eine solarbetriebene Tankstelle für Elektroautos bei uns am HZB in Adlershof gewünscht“, sagt er und schmunzelt: Sein Gesprächspartner war der regierende Bürgermeister Michael Müller, der hatte Albrecht gerade den renommierten Berliner Wissenschaftspreis in der Nachwuchskategorie verliehen, und Steve Albrecht durfte auf offener Bühne einen Wunsch an die Politik formulieren. „Mal sehen, ob sich da jetzt was tut!“ Ob sein Wunsch mitgeholfen hat oder nicht: Inzwischen ist klar, dass am HZB im Frühling vier Ladesäulen aufgebaut werden. Das passt gut, denn erstens kann Steve Albrecht dann endlich mit einem Elektroauto zur Arbeit fahren, und zweitens ist er als Solar-Forscher natürlich geradezu prädestiniert für die Nutzung von Sonnenenergie.
Ein neuer Weltrekord für Solarzellen
Hinter seinen Labortüren in Adlershof arbeitet er gemeinsam mit den Kollegen aus seiner Arbeitsgruppe daran, Solarzellen immer effizienter zu machen – in dieser Hinsicht ist er derzeit sogar doppelter Weltrekordinhaber. „Halbjährlich erscheint im Journal ‚Progress in Photovoltaics’ ein sogenanntes ‚efficiency paper’, in dem die neuesten Werte von den verschiedenen Forschern aus aller Welt veröffentlicht werden“, erläutert er. Bei 23,3 Prozent liegt der aktuell höchste Wirkungsgrad von Solarzellen, die aus einer Kombination von Perowskit und sogenannten CIGS-Halbleitern bestehen (ein Kürzel für Kupfer, Indium, Gallium und Selen) – sowohl mit Perowskit als auch mit CIGS lässt sich ein anderer Spektralbereich des Sonnenlichts auffangen, deshalb ist die Ausbeute besonders hoch. Und bei Solarzellen, die Perowskite mit klassischem Silizium verbinden, liegt der höchste Wirkungsgrad von Albrechts Arbeitsgruppe bei derzeit 29,15 Prozent – auch das ist neuer Spitzenwert, der jüngst in die Rekordliste des amerikanischen National Renewable Energy Laboratory aufgenommen wurde. Das ist eine Art „wall of fame“ der Solarzellenrekorde, geführt seit 1976 – „es war schon immer mein Traum, einmal in diese Liste aufgenommen zu werden“, sagt Steve Albrecht.
Aber Weltrekord hin, Weltrekord her: „Das Anspornende bei diesem Wettrennen ist das gleiche wie beim Sport“, sagt er. „Wenn sich jemand vornimmt, einen Marathon unter drei Stunden zu laufen, dann lange dafür trainiert und es schließlich in 2 Stunden 50 Minuten schafft – dann ist das ungemein befriedigend. So ist das bei uns auch.“ Das mittelfristige Ziel von Steve Albrecht und seinen Kollegen ist es, die 30-Prozent-Marke zu knacken – damit würde er in einen Bereich vorstoßen, von dem Theoretiker aufgrund ihrer Vorausberechnungen schon prognostiziert haben, dass er technisch erreichbar sei.
Aber mindestens so sehr wie der sportliche Ehrgeiz sei es das Handwerkliche, was ihn antreibe: Steve Albrecht schloss sich regelmäßig im Labor ein, umgeben von allen denkbaren Chemikalien, und bastelte drauflos. Er rührte Lösungen an, stieß chemische Reaktionen an, und schließlich schichtete er mit einer Pipette rund 15 verschiedene Lagen unterschiedlicher Materialien zu einer monolithischen Platte zusammen – zur Solarzelle. Früher machte er das noch selbst, inzwischen übernimmt das sein Team. Die optoelektronische Qualität des Ergebnisses, aber auch etliche weitere Faktoren entscheiden darüber, ob aus der Bastelei ein großer Wurf wird. „Man freut sich wie ein kleines Kind, wenn man dann zum ersten Mal die Leistung der neuen Solarzelle misst“, sagt Steve Albrecht. „Wir messen unter sogenannten Sonnensimulatoren, also unter künstlichem Licht – und in 90 Prozent der Fälle ist das Ergebnis ernüchternd.“ Die übrigen zehn Prozent aber, in denen sich ein kleinerer oder auch größerer Fortschritt erreichen lässt, entschädigten für alle die Fehlschläge beim Experimentieren. Und abseits von allem sportlichen Ehrgeiz geht die Arbeit nach Erreichen eines neuen Weltrekords erst richtig los: Die Forscher versuchen in einem nächsten Schritt, die erfolgreiche Rezeptur von einem fingernagelgroßen Stück zu übertragen auf größere Panels, die dann tatsächlich praxistauglich sein könnten – und sie müssen dafür sorgen, dass diese lange Lebensdauern von bis zu 25 Jahren erreichen, damit sie marktfähig werden. Das sind Schritte, die auf längere Frist angelegt sind und an denen Albrecht auch mit anderen Kollegen innerhalb und außerhalb des HZB im Rahmen des Helmholtz Innovation Lab HySPRINT zusammenarbeitet.
Die Forschung an den Solarzellen der Zukunft ist ein Fachgebiet, in dem gerade Goldgräberstimmung herrscht. Als Hoffnungsträger schlechthin gilt das halborganische Metall-Halogenid Perowskit – jene Verbindung, mit der auch Steve Albrecht arbeitet. „Sie wurde zwar schon in den 1970er Jahren mit ihren halbleitenden Eigenschaften beschrieben“, erläutert er, „aber dann fand über mehrere Jahrzehnte hinweg keine Forschung zur Anwendung in Solarzellen statt.“ Als zu wenig hoffnungsvoll stuften es die Wissenschaftler damals ein – und irrten gewaltig. „Sogar als ich mich um das Jahr 2012 herum erstmals damit beschäftigte, wurde Perowskit noch belächelt“, erinnert er sich. Wirkungsgrade von um die zehn Prozent wurden damals erreicht, aber mit einem Mal stiegen sie dann raketenartig an, höher und immer höher. Es war diese Aufbruchstimmung, in der Steve Albrecht auch seine wissenschaftliche Karriere begann.
Dabei stand es keineswegs fest, dass er Physik studieren würde: Schon in der Grundschulzeit war er einer der brandenburgischen Hoffnungsträger im Turnen. Oft hatte er zum morgendlichen Schulbeginn schon die erste Trainingseinheit in der Turnhalle hinter sich, aber statt für eines der Sportförderungs-Internate in Cottbus oder Berlin entschied er sich schließlich für ein naturwissenschaftliches Gymnasium. Die Kniffe und das Training aus seiner Sportlerzeit kommen ihm heute zumindest noch bei seinem Hobby zugute: Er arbeitet als Stuntman bei Filmproduktionen mit – selbst bei Hollywood-Filmen stand er in Babelsberg schon vor der Kamera. In einer seiner liebsten Stunt-Szenen stürzte er sich anstelle des Schauspielers aus einem Verhörraum durch ein Fenster in die Tiefe, gefesselt auf einen Holzstuhl. Steve Albrecht lacht, wenn er daran denkt. Ja, auch heute noch würde er zusagen, wenn wieder einmal eine Anfrage für einen Job als Stuntman käme – „nur die ganz gefährlichen Sachen, die mache ich definitiv nicht mehr!“
Einerseits will er wegen seiner Familie keine überflüssigen Risiken eingehen – und andererseits natürlich auch, um sein großes sportliches Ziel als Forscher nicht zu gefährden: die 30-Prozent-Marke bei der Effizienz von Solarzellen zu knacken.
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