Portrait
Der Schülerflüsterer
Bloß nicht belehren: Matthias Streller erforscht, warum sich Teenager im Schülerlabor plötzlich für Naturwissenschaften interessieren
Bunte Geschenkpäckchen liegen auf den Tischen, sorgsam verpackt in Folie. 15 Schüler schütteln und drehen die Schachteln neugierig hin und her. Es rasselt und klappert. In jedem Päckchen sind Styroporblöcke eingeklebt, durch die sich eine Murmel unsichtbar den Weg bahnt. Die Berufsschüler aus Riesa, die heute zu Besuch im Schülerlabor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf sind, sollen herausfinden, wie es im Inneren der Pakete aussieht. Nur fünf Minuten später zeichnen sie feinsäuberlich die Struktur an die Tafel.
Matthias Streller, Lehrer im Schülerlabor DeltaX, ist zufrieden. Er stützt die Arme in die Hüften und sagt: „Ihr habt gerade selbst geforscht!“ Die Schüler schauen ungläubig. Streller, stechend blaue Augen und dunkelblonde Haare, wirkt zierlich zwischen den Heranwachsenden, von denen manche einen Kopf größer sind als er. Mit kräftiger Stimme spricht er weiter: „Auch Forscher gehen so vor! Sie experimentieren, um der Wahrheit näher zu kommen.“ Dabei, so betont Streller, gebe es nie die eine Wahrheit. Die Schüler, die im Unterricht meist nur starre Fakten vorgepredigt bekommen, staunen.
„Genau deswegen beginne ich den Experimentiertag immer mit diesem Versuch“, sagt Streller schmunzelnd. Er ist 29 Jahre alt und seit der Gründung des Schülerlabors vor vier Jahren dabei. „Mich interessiert die Frage, wie man Schüler motivieren kann, Dinge zu hinterfragen.“ Das ist auch der Grund, weshalb er mehr Freiheit will, als ihm der Lehrplan ließe: Der gebürtige Riesaer ist Mathe- und Physiklehrer, studiert hat er an der Technischen Universität Dresden. „Schon damals habe ich mich besonders für die Fachdidaktik interessiert“, erzählt Matthias Streller und räumt ein: „Als Lehrer der alten Schule habe ich mich eigentlich nie gefühlt.“
Im Schülerlabor DeltaX – einem von 30 Schülerlaboren in der Helmholtz-Gemeinschaft – hingegen hat er genau die Aufgabe gefunden, die ihn fasziniert: Er hat gemerkt, dass es bei jeder der Schülergruppen, die er mit seinen Kollegen täglich betreut, irgendwann den Punkt gibt, an dem die anfängliche Skepsis der Begeisterung weicht – der Begeisterung für die Naturwissenschaften, die in der Schule häufig nicht zu den Lieblingsfächern zählen. „Ich finde diese Verwandlung so spannend, dass ich darüber meine Doktorarbeit schreibe“, sagt Streller. In seiner Promotion will er herausfinden, welche Wirkung ein Experimentiertag bei den Schülern hinterlässt: Kann er eine Art Initialzündung sein, um sie langfristig für naturwissenschaftliche Themen zu interessieren? „Dass es einen Effekt gibt, wissen wir mittlerweile, aber nicht, wie er genau gesteigert werden kann. Außerdem will ich erfahren, inwiefern das geweckte Interesse tatsächlich in die Berufs- und Studienwahl einfließt.“
Um der Sache auf den Grund zu gehen, reiste Matthias Streller für mehr als ein halbes Jahr an eine Pionier-Einrichtung: Das Weizmann-Institut in der Nähe von Tel Aviv in Israel unterhält an zwei Standorten zehn Labore für Schüler – viel Vergleichsmaterial also für Streller. Beeindruckt hat ihn die Vielfalt des israelischen Schulunterrichts: Neben den klassischen Naturwissenschaften gehören Biotechnologie, Umwelttechnologie und Informatik zum festen Fächerkanon. Auch bei deutschen Schülern sei das naturwissenschaftliche Grundverständnis hoch. „Der Stoff könnte in Deutschland aber anwendungsbezogener unterrichtet werden – und vor allem so, dass sich auch mehr Mädchen dafür interessieren.“ Denn die Schülerinnen experimentieren begeistert, das stellt er immer wieder fest: Zwar seien sie anfangs zurückhaltender, entwickelten dann aber viele gute Ideen. Genau darauf kommt es ihm an. „Die Schüler sollen bei uns lernen, selbstständig zu arbeiten und eigene Gedanken zu verfolgen.“ Nicht immer klappt das auf Anhieb. Streller seufzt: „Es kommt vor, dass Lehrer auch hier im Labor ihre Schüler verbessern oder gut gemeinte Ratschläge geben.“ Wenn er das mitbekommt, schreitet er sofort ein – freundlich, aber bestimmt. Nachdenklich ergänzt er: „Das Problem ist, dass Lehrer ihren Schülern oft zu wenig zutrauen.“
Seine Doktorarbeit will Matthias Streller bald abschließen. Um sich nach den langen Tagen abzureagieren, joggt er gelegentlich am Terrassenufer der Dresdner Altstadt und an den Elbwiesen entlang. Über Kopfhörer hört er dabei hebräische Vokabeln – er denkt immer noch häufig an die Zeit in Israel zurück. Prägend sei sie gewesen, sagt er: Er habe viel Herzlichkeit erfahren, neue Freunde gewonnen. Aber er habe auch zum ersten Mal in seinem Leben Grenzen erlebt, unverrückbare Schranken.
„In Israel habe ich die europäische Idee richtig verstanden“, sagt Streller. Dass Forschung ein offener Ort für Menschen aus allen Nationen ist, auch das will er den Schülern mitgeben.
Matthias Streller, Lehrer im Schülerlabor DeltaX, ist zufrieden. Er stützt die Arme in die Hüften und sagt: „Ihr habt gerade selbst geforscht!“ Die Schüler schauen ungläubig. Streller, stechend blaue Augen und dunkelblonde Haare, wirkt zierlich zwischen den Heranwachsenden, von denen manche einen Kopf größer sind als er. Mit kräftiger Stimme spricht er weiter: „Auch Forscher gehen so vor! Sie experimentieren, um der Wahrheit näher zu kommen.“ Dabei, so betont Streller, gebe es nie die eine Wahrheit. Die Schüler, die im Unterricht meist nur starre Fakten vorgepredigt bekommen, staunen.
„Genau deswegen beginne ich den Experimentiertag immer mit diesem Versuch“, sagt Streller schmunzelnd. Er ist 29 Jahre alt und seit der Gründung des Schülerlabors vor vier Jahren dabei. „Mich interessiert die Frage, wie man Schüler motivieren kann, Dinge zu hinterfragen.“ Das ist auch der Grund, weshalb er mehr Freiheit will, als ihm der Lehrplan ließe: Der gebürtige Riesaer ist Mathe- und Physiklehrer, studiert hat er an der Technischen Universität Dresden. „Schon damals habe ich mich besonders für die Fachdidaktik interessiert“, erzählt Matthias Streller und räumt ein: „Als Lehrer der alten Schule habe ich mich eigentlich nie gefühlt.“
Im Schülerlabor DeltaX – einem von 30 Schülerlaboren in der Helmholtz-Gemeinschaft – hingegen hat er genau die Aufgabe gefunden, die ihn fasziniert: Er hat gemerkt, dass es bei jeder der Schülergruppen, die er mit seinen Kollegen täglich betreut, irgendwann den Punkt gibt, an dem die anfängliche Skepsis der Begeisterung weicht – der Begeisterung für die Naturwissenschaften, die in der Schule häufig nicht zu den Lieblingsfächern zählen. „Ich finde diese Verwandlung so spannend, dass ich darüber meine Doktorarbeit schreibe“, sagt Streller. In seiner Promotion will er herausfinden, welche Wirkung ein Experimentiertag bei den Schülern hinterlässt: Kann er eine Art Initialzündung sein, um sie langfristig für naturwissenschaftliche Themen zu interessieren? „Dass es einen Effekt gibt, wissen wir mittlerweile, aber nicht, wie er genau gesteigert werden kann. Außerdem will ich erfahren, inwiefern das geweckte Interesse tatsächlich in die Berufs- und Studienwahl einfließt.“
Um der Sache auf den Grund zu gehen, reiste Matthias Streller für mehr als ein halbes Jahr an eine Pionier-Einrichtung: Das Weizmann-Institut in der Nähe von Tel Aviv in Israel unterhält an zwei Standorten zehn Labore für Schüler – viel Vergleichsmaterial also für Streller. Beeindruckt hat ihn die Vielfalt des israelischen Schulunterrichts: Neben den klassischen Naturwissenschaften gehören Biotechnologie, Umwelttechnologie und Informatik zum festen Fächerkanon. Auch bei deutschen Schülern sei das naturwissenschaftliche Grundverständnis hoch. „Der Stoff könnte in Deutschland aber anwendungsbezogener unterrichtet werden – und vor allem so, dass sich auch mehr Mädchen dafür interessieren.“ Denn die Schülerinnen experimentieren begeistert, das stellt er immer wieder fest: Zwar seien sie anfangs zurückhaltender, entwickelten dann aber viele gute Ideen. Genau darauf kommt es ihm an. „Die Schüler sollen bei uns lernen, selbstständig zu arbeiten und eigene Gedanken zu verfolgen.“ Nicht immer klappt das auf Anhieb. Streller seufzt: „Es kommt vor, dass Lehrer auch hier im Labor ihre Schüler verbessern oder gut gemeinte Ratschläge geben.“ Wenn er das mitbekommt, schreitet er sofort ein – freundlich, aber bestimmt. Nachdenklich ergänzt er: „Das Problem ist, dass Lehrer ihren Schülern oft zu wenig zutrauen.“
Seine Doktorarbeit will Matthias Streller bald abschließen. Um sich nach den langen Tagen abzureagieren, joggt er gelegentlich am Terrassenufer der Dresdner Altstadt und an den Elbwiesen entlang. Über Kopfhörer hört er dabei hebräische Vokabeln – er denkt immer noch häufig an die Zeit in Israel zurück. Prägend sei sie gewesen, sagt er: Er habe viel Herzlichkeit erfahren, neue Freunde gewonnen. Aber er habe auch zum ersten Mal in seinem Leben Grenzen erlebt, unverrückbare Schranken.
„In Israel habe ich die europäische Idee richtig verstanden“, sagt Streller. Dass Forschung ein offener Ort für Menschen aus allen Nationen ist, auch das will er den Schülern mitgeben.
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