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Portrait

Der Philosoph am Computer

Cas Cremers. Bild: CISPA

Der niederländische Informatiker Cas Cremers forscht in Saarbrücken zur Cyber-Sicherheit – und machte einen Affen zum Maskottchen für sichere Internetverbindungen.

Das Buch steht immer noch in einem Bücherregal von Cas Cremers, so wie schon seit fast vier Jahrzehnten: „Fatherhood“ heißt es, und obwohl er es noch nie gelesen hat, steht es für einen wichtigen Schritt in seiner Karriere. Elf Jahre alt war er damals, ein behüteter Junge aus einem Dorf in den südlichen Niederlanden, und er war elektrisiert von einem Programmierwettbewerb, auf den er damals stieß. „Wir hatten zu Hause keinen Computer“, erinnert er sich, „also habe ich die Aufgaben auf Rechenpapier gelöst.“ Er belegte den ersten Platz, und als Trophäe bekam er das Buch, mit dem er als Schüler herzlich wenig anfangen konnte.

Inzwischen sitzt Casimier Joseph Franciscus Cremers, wie er mit vollem Namen heißt, in einem Büro in Saarbrücken, und neben dem erwähnten Buch hat ihn noch eins bis hierher begleitet: die Begeisterung für Informatik. Nur die Aufgaben, mit denen er sich beschäftigt, sind ungleich schwerer – sie gehören, genau genommen, zu den komplexesten Herausforderungen, die es im Bereich der Informatik gibt: Cremers forscht am CISPA, dem Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit, an der Schnittstelle zwischen Cybersecurity und Kryptographie.

Hinter seinem Schreibtisch hat er einen Plüsch-Affen aufgebaut, so etwas wie sein Wahrzeichen. „Das war ein Geschenk von meinen Studenten in Oxford, als ich dort Professor gewesen bin“, sagt er, „das ist ein Tamarin-Affe.“ Tamarin: So hat er die Software genannt, die er mit entwickelt hat und die, obwohl sie im täglichen Leben von Internet-Nutzern eine tragende Rolle spielt, nur Eingeweihten ein Begriff ist. Der sogenannte Tamarin Prover analysiert, ob die Schritte eines Sicherheitsprotokolls auch wirklich sicher sind – „man kann sich das vorstellen wie ein Ermittler am Tatort, der Spuren prüft. Dazu verwendet er nicht Lupe und Fingerabdruck-Pinsel, sondern mathematische Methoden“, sagt Cas Cremers. Und weil ihm der Tamarin-Affe mit seinen langen weißen Barthaaren so prägnant erschien, machte er ihn kurzerhand zum Logo und zum Namensgeber der Software.

Dass Außenstehende kaum begreifen können, woran er eigentlich forscht, daran hat er sich längst gewöhnt. Er ist ein geduldiger Erklärer. „Bevor wir auch nur ein Bild sehen oder Text lesen, hat unser eigenes Gerät schon Nachrichten mit Rechnern im Internet ausgetauscht und Programmcode ausgeführt“, sagt er dann. „Alles greift wie Zahnräder ineinander. Schon ein kleiner Fehler kann ein ganzes Programm oder einen ganzen Dienst unsicher machen.“ Das ist ein Einfallstor für Hacker und andere Übeltäter. Die Antwort auf die Gefahr heißt formale Verifikation: ein mathematischer Beweis, der jede Programmzeile im Software-Code überprüft. Das Problem ist, dass Programme und Protokolle heute aus hunderttausenden Zeilen Code bestehen. „Man fühlt sich da schnell wie in einem Garten voller Irrgänge und ohne Grenzen“, sagt Cas Cremers. Er arbeitet an Ansätzen wie dem Tamarin Prover, in denen Menschen und Computer ihre Fähigkeiten verbinden, um Fehler zu suchen: der Mensch übernimmt das Um-die-Ecke-Denken, der Computer die abermillionen Rechenschritte. Der Tamarin Prover zum Beispiel überprüft auf diese Art den Transport Layer Security (TLS) mit der Versionsnummer 1.3 – eines der wichtigsten Protokolle, auf denen die Sicherheit im Internet basiert.

Dabei wäre Cas Cremers um ein Haar zum Philosophen geworden. An den Universitäten in Eindhoven und Tilbung belegte er Seminare in Informatik und in Philosophie, bis er sich kurz vor dem Studienabschluss dafür entschied, sich nur auf eines der Fächer zu konzentrieren. Und die Informatik war ihm dann doch näher, schließlich hatte er schon als Gymnasiast eine Software-Firma aufgebaut, die eine ganze Reihe von Computerspielen auf den Markt brachte. Cas Cremers war im Team schon damals unersetzlich: Er programmierte, komponierte die Musik, kümmerte sich um die Graphik und die Dramaturgie, alle Aufgaben probierte er aus. „Vor neuen Aufgaben habe ich keine Berührungsängste“, sagt er lachend: „Ich denke mir immer: Mal schauen, wie weit ich komme!“

Diese Einstellung hilft ihm auch in seinem Job als Forscher, in dem er vor seiner Professur in Saarbrücken auch an der ETH Zürich und in Oxford arbeitete: Viele Aufgaben in der Informatik sind hochkomplex und so gewaltig, dass sie schier erschlagend wirken – erst Recht im Bereich der Informationssicherheit. Angreifer sind den Verteidigern im Zweifelsfall immer einen Schritt voraus, das gilt für das Internet genauso wie in anderen Bereichen des Lebens. „Jemand hat Schwerter gebaut, und wir konstruieren Schilde, die davor schützen“, so umreißt es Cas Cremers – und wenn er darüber spricht, merkt man seinen Hintergrund als Philosoph: Bei einem seiner Spezialgebiete, dem sicheren Informationsaustausch, gehe es häufig um die politische Frage, wie viele Daten seiner Bürger ein Staat bekommen soll – um Verbrechen aufzuklären etwa oder Straftaten zu verhindern. Wie sehr also dürfen Nachrichten verschlüsselt sein? „Ich trete in diesen Debatten meistens für den Schutz der Privatsphäre ein“, sagt Cas Cremers.

Die Leidenschaft für Computerspiele hat Cas Cremers aus seiner Jugend, als er Games programmierte, bis in die Gegenwart herübergerettet. Manchmal nach der Arbeit setzt er sich vor den Monitor, um vom Stress abzuschalten. Nur auf eine Frage hat er noch keine Antwort gefunden: Wie schafft er es, dass seine beiden Kinder ihm die Spielekonsole nicht streitig machen? Bei diesem Problem hilft auch die Philosophie nur wenig.

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