Bestandserhaltung
Der leise Tod der Bücher
In Bibliotheken und Archiven frisst der Säurebefall unaufhörlich wertvolle Bücher. Sie zu erhalten ist aufwändig und teuer. Was ist uns die Erhaltung unseres kulturellen Erbes wert?
Ein Großbrand hat am 30. Januar ein Institut der Akademie der Wissenschaften in Moskau zerstört. In der "Bibliothek für wissenschaftliche Information in den Gesellschaftswissenschaften" sollen 15 Prozent der Bücher beschädigt worden sein. Das Feuer war kaum gelöscht, als schon die ersten Hilfsangebote eintrafen. Ähnlich erging es der Anna Amalia Bibliothek in Weimar und dem Stadtarchiv in Köln. Feuer und Wassereinbrüche zeigen, dass Kulturgut vergänglich ist. Weitaus schlimmer, aber öffentlich fast unbeachtet, droht eine andere Gefahr.
"Materie zerfällt", sagt Ursula Hartwieg. Diese simple Tatsache mache auch vor kostbaren Büchern nicht Halt. "Die Dinge zerbröseln uns in den Händen, wenn wir nichts tun." Hartwieg leitet die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) in Berlin. 2011 wurde die Einrichtung gegründet. Jährlich erhält sie nun 600.000 Euro, unter anderem um Modellprojekte zu fördern und Hilfe zu koordinieren. Der Löwenanteil stammt vom Bund, obwohl Kultur Ländersache ist. Dort fällt die Bestandserhaltung manchmal sogar in den Bereich unterschiedlicher Ministerien.
Bibliotheken und Archive können jede Hilfe gut brauchen. Der Schutz der wertvollen Bestände fängt schon bei den Gebäuden an, bei heilen Dächern und gesicherten Kabeln, der richtigen Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur. Besonders wertvolle Bände müssen gesondert gelagert werden. Gut ausgebildetes Personal muss Risiken erkennen und beschädigte Bücher reparieren können. All das kostet Geld. Von zehn Millionen pro Jahr ist die Rede in einer Denkschrift der Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts von 2009. Um den Verfall aufzuhalten, müssten es noch mehr sein, denn die Probleme sind mit den Jahren gewachsen. "In den Bibliotheken sind Altschäden, die weit zurückreichen", sagt Hartwieg.
Eines der größten Probleme ist der Säurefraß. Er betrifft Gedrucktes ab etwa 1840 und bis 1990. Zu dieser Zeit wurde in Masse gedruckt und das Papier industriell hergestellt. Im Alter wird es spröde und brüchig. Etwa vier Millionen Werke sind in der Bayerischen Staatsbibliothek von dem Säurefraß betroffen. "Die Schadensschätzung ist schwer, wenn der Bestand so groß ist", sagt Tobias Beinert, Referent für Bestandserhaltung an der Bayerischen Staatsbibliothek in München. "Wir sind auf einem guten Weg, aber es ist eine sehr große Aufgabe." Bibliotheken und Archive müssen ihren Bestand in Massen entsäuern lassen. Dabei werden die Bücher in ein Entsäuerungsmittel getaucht, das die Säure neutralisiert. Anschließend wird das Lösungsmittel durch ein Vakuum abgezogen.
Eine aufwändige Prozedur: "Es würde etwa 20 Jahre dauern, um alle als schützenswert erkannten Bücher entsäuern zu lassen", sagt Jürgen Neubacher, an der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg zuständig für Historische Bestände und Bestanderhaltung, Sondersammlungen, Musikhandschriften und -drucke. Und nicht bei jedem Buch ist die Entsäuerung möglich. "Bände mit roter Stempelfarbe oder roten Einbänden kann man nur schwer entsäuern, sagt er.
Die TU Freiberg in Sachsen lässt pro Jahr etwa 500 Kilo Bücher entsäuern. Die Uni-Bibliothek Leipzig sogar jährliche eine Tonne. Sachsen hat, wie auch Bayern und Baden-Württemberg, ein Landesprogramm, dass die Bestandserhaltung fördert. Allein die Entsäuerung der Bestände der Unibibliothek Leipzig kostet 20.000 Euro im Jahr.
Und die nächste Gefahr liegt schon in den Regalen. Die meisten Dissertationen aus der Zeit der DDR sind mit einem Verfahren hergestellt worden, dessen Farbe immer weiter verbleicht. "Wir befürchten, dass sie eines Tages ganz verschwinden könnte - und damit die Wissenschaftsgeschichte eines ganzes Staates", sagt Almuth Märker, wissenschaftliche Bibliothekarin an der Uni Leipzig.
Digitalisierung kann bei der Bestandserhaltung helfen. Sie macht die Bücher besser zugänglich und schützt die Originale, weil sie nicht mehr ausgeliehen werden müssen. Alle Probleme löst sie nicht. Erstens müssen auch die digitalisierten Informationen bewahrt werden: "Ein 100 Jahre altes, säurefreies Buch kann man ohne Probleme öffnen und lesen, ein 15 Jahre altes Word Dokument möglicherweise schon nicht mehr", sagt Beinert. Zweitens müssen die Originale trotzdem erhalten werden. Nicht nur als Referenz, sondern auch, weil Tinte, Papier oder Buchrücken ebenfalls Informationen erhalten, die für die Forschung interessant sind. "Bestandserhaltung ist eine Daueraufgabe", resümiert Ursula Hartwieg von der KEK.
Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes
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