Interview
Der Klang der Quanten
Anja Metelmann ist Expertin für Quantencomputing und pendelt als Brückenprofessorin zwischen Karlsruhe und Straßburg. Wir sprachen mit ihr über künstliche Atome, Quantenverstärker und wie sie ihre Forschung erlebbar macht.
Anja Metelmann ist Physikerin und Expertin für Quantencomputing. Sie lehrt und forscht als erste Brückenprofessorin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und an der Universität Straßburg. Brückenprofessuren sind grenzüberschreitende Professuren am European Campus – dem Verbund der Universitäten in Basel, Freiburg, Mülhausen und Straßburg sowie des KIT – und in dieser Form europaweit einzigartig. Am Institut für Theorie der Kondensierten Materie des KIT erforscht Metelmann künstliche Quantensysteme, in Straßburg arbeitet sie am neu gegründeten Europäischen Quantenzentrum.
Frau Metelmann, als Brückenprofessorin lehren und forschen sie an zwei verschiedenen Standorten: am KIT in Karlsruhe und an der Universität Straßburg. Ist dieser ständige Wechsel zwischen zwei Ländern eine große Umstellung für Sie?
Nicht wirklich, denn Wissenschaft funktioniert ja generell nur grenzüberschreitend. Und gerade mein Forschungszweig, die Quantenphysik, ist sehr international aufgestellt: Ich tausche mich seit Jahren mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt aus, habe in den USA und Kanada geforscht, treffe Fachleute auf Konferenzen oder für Forschungsprojekte. Trotzdem ist diese intensive Zusammenarbeit mit Straßburg etwas Besonderes.
Warum?
Weil dort im Oktober 2023 das Europäische Quantenzentrum eröffnet hat, wo zu den Quantenwissenschaften gelehrt und geforscht wird. Internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten dort eng zusammen, und verfolgen neue und aufregende Forschungsrichtungen im Feld der Quantenphysik. Ich selbst versuche, mindestens einen Tag pro Woche dort zu sein. Dieser Ideenaustausch ist sehr inspirierend für meine Forschung – auch weil die Kolleginnen und Kollegen in Straßburg an einem anderen vielversprechenden Quantensystem forschen als wir in Karlsruhe: Sie nutzen natürliche Atome als Plattform für die Verarbeitung von Quanteninformationen.
Was bedeutet das?
Die Basiseinheit der Quanteninformation ist das Qubit, also die quantenmechanische Variante des klassischen Bits. Zur Realisierung solcher Qubits kann man die Energieniveaus von Atomen nutzten – interessant sind hier die Rydberg-Atome,die sich als relativ stabil und langlebig erweisen. Deshalb könnten sie einen vielversprechenden Ansatz für die Entwicklung von Quantencomputern bieten, also Computer für extrem komplexe Berechnungen. Ob sich die Rydberg-Atome im Quantencomputing aber tatsächlich durchsetzen, können wir jetzt noch nicht sagen, dafür kommen verschiedene Konzepte in Frage.
Am KIT forschen sie zum Beispiel an künstlichen Atomen.
Ja, genau. Aus physikalischer Sicht sind das keine Atome, sondern geschickt zusammengesetzte, supraleitende Schaltkreise, die aus sehr vielen Atomen bestehen. Bei sehr niedrigen Temperaturen verhalten sich diese aber ganz ähnlich wie Atome, deshalb nennen wir sie mitunter „künstliche Atome“. Als Theoretikerin entwerfe ich Konzepte und Protokolle, wie man sie zu Quantensystemen zusammensetzen könnte – auch diese lassen sich vergleichsweise gut kontrollieren. Durch die Brückenprofessur habe ich also Einblick in zwei unterschiedliche, vielversprechende Systeme und kann prüfen, welche Modelle übertragbar sind. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Auslese und Signalverarbeitung von solchen Quantensystemen, beispielsweise wollen wir extrem rauscharme Verstärker entwickeln: Dazu leite ich auch ein neues Forschungsprojekt, das die EU fördert.
Was leisten Verstärker in der Quantentechnologie?
Sie lesen Qubits mithilfe eines Mikrowellensignals aus, das extrem schwach ist, um die Rückwirkung auf das Quantensystem so minimal wie möglich zu halten. Derzeitige Realisierungen von hierfür genutzten Verstärkern erreichen jedoch noch nicht alle benötigten technischen Merkmale. Hier wollen wir eine neue Generation von Quantenverstärkern entwerfen, zusammen mit Forschenden aus Frankreich, Schweden und Österreich. Mit rauscharmen Mikrowellenverstärker arbeiten auch viele andere Forschungszweige: Einige Teams suchen damit nach Dunkler Materie, andere wollen sie in der Medizin einsetzen. Hier leisten wir also wichtige Grundlagenforschung, die in Zukunft unseren Alltag verbessern könnte – sei es durch schnelleres Internet, exaktere medizinische Diagnosen oder abhörsichere Kommunikation.
Für die meisten Menschen klingen die Themen der Quantenphysik trotzdem sehr abstrakt.
Das stimmt. Deshalb bemühen wir uns, sie zumindest erlebbar zu machen: Bei der Berlin Science Week haben wir in Kollaboration mit Klangkünstlern und Klangkünstlerinnen eine Performance realisiert, die über elektronische Musik die Konzepte der Quantenphysik dem allgemeinen Publikum näherbringen sollte.
Ein Konzert über Quantenforschung?
Ja, tatsächlich. Die aufgeführten Kompositionen waren inspiriert von den Klängen der Quantenlabore, von experimentellen Daten, die in Klang umgewandelt wurden, und von quantenphysikalischen Konzepten. Beispielsweise wurden Quantensprungdaten und die Geräusche von Kühlschrank-Ventilen in Töne verwandelt, oder der Klang der Kreide eingefangen, mit der ich meine Konzepte bei Vorlesungen an die Tafel schreibe.
Klingt verrückt! Wie hat das Publikum reagiert?
Die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer waren fasziniert, auch wenn sie sonst vielleicht keinerlei Berührung mit dem Thema haben. Auch nach dem Konzert können sie wahrscheinlich nicht genau erklären, wie Quantenforschung funktioniert. Aber sie haben eine Idee davon bekommen, welche Aspekte dabei wichtig sind, welche Arbeit und Denkweise dahintersteckt. Das zu erleben, war sehr bereichernd für mich.
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