HELMHOLTZ extrem
Der heißeste Ort
Das Sonnenfeuer auf die Erde holen, nichts weniger als das versuchen Wissenschaftler am IPP in Garching. In der Forschungsanlage herrschen Temperaturen von 100 Millionen Grad Celsius. Damit das Innere der Anlage nicht abkühlt, wird es durch Magnetfelder berührungsfrei in der Schwebe gehalten
Der heißeste Ort im Helmholtz-Universum befindet sich in Garching vor den Toren von München. In der Fusionsanlage des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) werden Temperaturen von 100 Millionen Grad erreicht - zehn Mal mehr als im Inneren der Sonne. Diese extremen Temperaturen sind notwendig, um Atomkerne zum Verschmelzen zu bringen. Es entsteht ein so genanntes Plasma: ein ultra-dünnes Gas, das nicht mehr aus kompletten Atomen besteht, sondern in dem Atomkerne und Elektronen getrennt umherschwirren. In diesem Zustand haben die Atomkerne genug Energie, um zu fusionieren. Das heiße Plasma kann man nicht in materielle Gefäße einschließen. Jeder Kontakt mit der Außenwand würde es abkühlen. Daher halten magnetische Felder das Plasma in der Schwebe.
Kernfusion ist letztendlich die Quelle aller Energieformen, die wir auf der Erde nutzen: In der Sonne verschmelzen Wasserstoffkerne (Protonen) miteinander, wobei Helium-Kerne entstehen. Die Endprodukte sind in der Summe etwas leichter als die Ausgangsprodukte. Die "verschwundene" Masse hat sich nach Einsteins Formel E = mc² in Energie verwandelt. Die Wissenschaftler in Garching versuchen, das Sonnenfeuer auf der Erde nachzustellen und die Energie nutzbar zu machen.
Dabei stoßen sie auf gewaltige Herausforderungen. Besonders schwierig ist es, durch die richtige Anordnung und Konfiguration großer Spulen den "magnetischen Käfig" zu erzeugen, der das Plasma begrenzt und es gegenüber der Außenwelt thermisch isoliert. Ergebnis der Berechnungen und Tüfteleien der Forscher sind die manchmal bizarr anmutenden Formen der Plasmagefäße. Um das Gas im Vakuum auf so hohe Temperaturen zu bringen, werden Wasserstoff-Atome mit hoher Energie in das Reaktorgefäß geschossen und geben ihre Energie durch Zusammenstöße an die Teilchen im Plasma ab. Zusätzlich heizen Mikrowellen das Plasma auf, ähnlich wie eine Pizza in der Mikrowelle.
Ziel der Forschung ist es, ein Fusionskraftwerk zu schaffen. Die Vorteile der Technik liegen auf der Hand: keine klimaschädlichen Emissionen, Brennstoff-Vorräte in unbegrenzter Menge und keine Gefahr von unkontrollierten Kettenreaktionen wie bei der Kernspaltung. Im Sommer nächsten Jahres wird am Greifswalder Teilinstitut des IPP der Aufbau einer neuen Forschungsanlage, Wendelstein 7-X, abgeschlossen. In Südfrankreich entsteht in internationaler Zusammenarbeit die bislang größte Fusionsforschungsanlage. Der Testreaktor mit dem Namen "ITER" soll erstmals zeigen, dass sich per Fusion Energie gewinnen lässt.
Die Frage, was normal und was extrem ist, ist allerdings relativ. Unter irdischen Bedingungen existiert Materie fast nur in festem, flüssigem oder gasförmigem Zustand - je nach Temperatur. Wenn wir in den nächtlichen Sternenhimmel schauen, sehen wir Sterne - also Materie in Form von Fusionsplasmen. Sie machen den größten Teil der sichtbaren Materie im Kosmos aus. So gesehen sind die Zustände in der Fusionsanlage von Garching der Normalfall, und die Zustände, die sonst auf der Erde herrschen, "extrem".
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