Portrait
Der Experte für die Unterwelt
Mit Helm und Grubenlampe hat Jens Gutzmer etliche Bergwerke auf der ganzen Welt untersucht. Rohstoffe aus der Erde sind das große Thema des Mineralogen, der das Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf leitet.
Mit dem Ritual begann Jens Gutzmer, als er elf Jahre alt war: Daheim im niedersächsischen Damme schwang er sich jeden zweiten Sonntag aufs Rad, im Rucksack Ammoniten, versteinertes Holz und all die anderen Schätze, die er über die zurückliegenden Tage gefunden hatte, und fuhr zu einem älteren Herrn in der Nachbarschaft, der Mineralien sammelte. „Ihm habe ich meine Funde präsentiert“, sagt Jens Gutzmer, der bis heute mit seinem Mentor von damals in Kontakt ist. „93 Jahre alt ist er inzwischen.“
Fast vier Jahrzehnte liegen diese ersten Erkundungen aus Kindertagen zurück, Gutzmer ist heute 50 Jahre alt und einer der renommiertesten Rohstoffforscher des Landes. Dass er nach vielen Forschungsstationen auf der ganzen Welt ausgerechnet im sächsischen Freiberg gelandet ist, wo er das Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie leitet, schien ebenfalls schon in der Jugend vorgezeichnet: „Mein Mentor“, erzählt Jens Gutzmer, „sammelt ausschließlich Mineralien aus dem Erzgebirge“ – also von dort, wo Gutzmer jetzt seit vielen Jahren arbeitet.
Vermutlich muss man so aufwachsen wie er in seinem Heimatort Damme, in 500 Metern Entfernung von einem alten Eisenerz-Bergwerk, um schon früh von einem Studium der Mineralogie zu träumen. In Clausthal-Zellerfeld erfüllte sich Jens Gutzmer nach dem Abitur seinen Traum – es waren die Jahre um die politische Wende. „Schon 1989 habe ich einen Gastwissenschaftler aus Freiberg angesprochen, der bei uns an der Uni war, um ein Semester dort verbringen zu können, aber das ist im Sande verlaufen“, erinnert sich Gutzmer. Er wollte partout ins Erzgebirge, dorthin, wo sein erster Mentor seinen Sammelschwerpunkt hatte und von wo er mit ansteckender Begeisterung erzählte. Kurz nach der Wende hat es dann geklappt, 1991 war er für ein Semester dort – „einfach, um meine Neugier zu befriedigen“, wie er heute bilanziert.
Seine Forschung – und die gesamte Arbeit des Freiberger Instituts – dreht sich um die Frage, wie sich metallhaltige und mineralische Rohstoffe besser gewinnen, verarbeiten und idealerweise durch Recycling zurückgewinnen lassen. Zur Arbeit von Gutzmer gehört es dabei, sich passend anzuziehen. Passend, das heißt für einen Mineralogen: Gummistiefel, eine schwere Bergwerks-Jacke in Sicherheits-Signalfarben, ein stabiler Helm. „Mittlerweile bin ich viel zu oft im Büro“, sagt Jens Gutzmer – aber noch immer lebt er auf, wenn er in ein Bergwerk einfährt. „Was mich dort fasziniert, ist der dreidimensionale Eindruck. Natürlich haben wir an der Oberfläche anstehende Gesteine und auch Bohrkerne der Gesteine im Untergrund, aber das sind eben nur ein- oder zweidimensionale Eindrücke. Richtig einzutauchen in einen Erzkörper – das ist immer wieder großartig.“
Im Studium hat er von seinem südafrikanischen Doktorvater gelernt, das Gestein richtiggehend zu lesen, „es in einem Raum- und Zeitsystem zu denken“, wie er es nennt: Zu wissen, wann und wie beispielsweise eine Erzlagerstätte entstanden ist, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Oft werden in der Rohstoffindustrie nur die Metallkonzentrationen betrachtet: Da ist zum Beispiel ein Erz mit einem Kupfergehalt von einem Prozent. Aber diese einfache Information sagt noch gar nichts darüber aus, ob und wie viel des Kupfers aus diesem Erz letztendlich gewonnen werden kann.“
Diesen umfassenden Blick auf sein Thema gewann Jens Gutzmer unter anderem in Südafrika. 16 Jahre lang war er nach seinem Diplom dort, erst als Doktorand, später als Professor. In allen möglichen Bergwerken und in verschiedenen Ländern war er unterwegs; ein unerschöpflicher Erfahrungsschatz in dieser rohstoffreichen Region. Und: Er erlebte wieder eine Gesellschaft im Umbruch, so wie kurz zuvor im Deutschland der Wiedervereinigungszeit. „Als Abiturient habe ich in Niedersachsen eine Ausstellung unter dem Motto ‚Free Mandela’ mitorganisiert, und später erlebte ich die Abschaffung der Apartheit hautnah mit“, erzählt er im Rückblick. Fast alle Lehrenden und Studierenden waren Weiße, als er 1992 an der Rand Afrikaans University begann – und dann, etwa 15 Jahre später, hat sich dieses Verhältnis fast umgedreht. Geschichte spulte sich so vor seinen Augen im Zeitraffertempo ab.
Als er dann 2008 einen Ruf nach Freiberg annahm, ahnte Jens Gutzmer noch nicht, dass sein Forschungsthema bald darauf zum Politikum werden würde. 2010 kam es zur Seltene-Erde-Krise – einem Handelsstreit zwischen China und Japan, der den Weltmarkt lahmlegte. Seltene Erden sind eine Gruppe chemischer Elemente, die für die Hightech-Industrie elementar sind; in Windkraftanlagen, Elektromotoren und Batterien werden sie ebenso genutzt wie in modernen Bildschirmen. Kurz darauf veröffentlichte die Bundesregierung ihre „Nationale Rohstoffstrategie“ und entschied in diesem Zusammenhang, in Freiberg das Helmholtz-Institut für Ressourcentechnologie zu eröffnen; Jens Gutzmer wurde zum Gründungsdirektor.
Um Deutschland unabhängiger von internationalen Rohstoffmärkten zu machen, setzt sich der Mineraloge besonders dafür ein, heimische Potenziale zu erschließen. „Deutschland ist ein rohstoffreiches Land – es verfügt über erhebliche Rohstoffpotenziale, die wir nicht ignorieren dürfen“, sagt Jens Gutzmer. Bei Recyclingrohstoffen sei das Potenzial weitgehend bekannt, allerdings fehlten oft marktfähige Technologien, um sie besser zu nutzen. Im Bereich der natürlichen Rohstoffe sei die Situation noch dramatischer: „Da ignorieren wir das Potenzial seit Jahrzehnten schlichtweg!“ Gemeinsam mit vielen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft hat das Helmholtz-Institut Freiberg in den vergangenen Jahren einige dieser heimischen Potenziale herausgearbeitet – und damit auch internationales Interesse geweckt.
Sein Hobby aus Kindertagen hat sich Jens Gutzmer bis heute bewahrt: Immer noch sammelt er Gesteins- und Erzproben. Und wenn er Zeit hat, sägt und poliert er sie; eine ganze Sammlung ist inzwischen entstanden, die in seinem Büro lagert und auch in seinem Haus. Protestieren da nicht seine Frau und die Kinder, wenn sich die Sammlung immer weiter ausdehnt? Jens Gutzmer schmunzelt: „Ab und zu muss ich etwas davon verschenken“, räumt er ein. Wer bei ihm promoviert, das ist seither ungeschriebenes Gesetz bei ihm, bekommt am Schluss eine Erzscheibe geschenkt – handpoliert vom Doktorvater.
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