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Alzheimer-Medikament

„Der Beginn einer neuen Ära“

Prof. Dr. Gabor Petzold, Direktor der Klinischen Forschung am DZNE und Sektionsleiter Vaskuläre Neurologie am Uniklinikum Bonn. Bild: DZNE

Die europäische Zulassungsbehörde EMA hat nun doch grünes Licht für den Antikörper Lecanemab gegeben. Damit steht der erste kausal wirkende Wirkstoff gegen Alzheimer auch in der EU kurz vor der Zulassung. Wir sprachen mit Gabor Petzold vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen über die Entscheidung.

Die Entscheidung der EMA war schon im Sommer nicht unumstritten. Wir als Forscher:innen des DZNE haben sie sogar deutlich kritisiert. Die Kommission kam damals zunächst zu dem Schluss, dass der individuelle Nutzen des neuen Wirkstoffs zwar da ist, ihm aber potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen gegenüberstehen. Daraufhin hat die Firma, die das Medikament in Europa auf den Markt bringen will, noch einmal Daten aus der Zulassungsstudie vorgelegt. Diese Ergebnisse sind nicht neu, aber der Hersteller hat nun bei seiner Analyse eine Patientengruppe ausgeklammert, bei der die Gefahr von Nebenwirkungen tatsächlich besonders hoch ist. Diese Erkrankten tragen eine bestimmte Genvariante in ihrem Erbgut, die die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen erhöht. Für viele andere zeigt sich aber ein günstigeres Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen. Deshalb hat die EMA entschieden, eine Zulassung doch zu empfehlen. Dabei wurde die Behandlung auf Personen ohne die kritische Genvariante eingeschränkt.

Das ist ein Gamechanger, der Beginn einer neuen Ära! Erstmals steht uns damit in der Therapie ein Medikament zur Verfügung, das nicht nur auf die Symptome der Krankheit zielt, sondern gegen ihre Ursachen wirkt. Lecanemab ist ein Antikörper, der die Plaques bekämpft, die sich bei Alzheimer-Patient:innen im Gehirn bilden. So können wir den Krankheitsverlauf langfristig positiv beeinflussen – das ist wirklich ein medizinischer Durchbruch.

Das stimmt. Der Gedächtnisschwund verlangsamt sich damit um etwa 27 Prozent. Aber wir stehen ja erst am Anfang der Entwicklung. In Zukunft werden neue Präparate mit weiterentwickelten Antikörpern auf den Markt kommen, die noch besser wirken. Zusätzlich entwickeln wir sicher Kombinationstherapien. Denn auch das muss man sehen: Die Zulassung wird auch die Alzheimer-Forschung beflügeln. Wissenschaftler:innen forschen schließlich schon seit vielen Jahrzehnten an den Ursachen von Alzheimer, wir am DZNE seit unserer Gründung vor 15 Jahren. Hinter uns liegt also ein langer Weg mit Genanalysen, Tiermodellen, der Suche nach Biomarkern und vielem mehr, bis schließlich eine der wichtigsten Ursachen von Alzheimer identifiziert wurde: Plaque bildende Amyloid-Proteine. Seit über 20 Jahren versucht die Forschung, gegen sie Medikamente zu entwickeln. Dass dies jetzt gelungen ist, zeigt, dass sich dieses Durchhalten, all die Mühen und die Energie der Wissenschaftler:innen, gelohnt hat. Aber auch, dass die Fördergelder, die jahrzehntelang von Helmholtz, aber auch von vielen anderen Drittmittelgebern in die Alzheimer-Forschung gesteckt wurden, eine gute Investition waren.

Die Therapie mit dem Präparat erfordert einige Voruntersuchungen: Zunächst muss natürlich festgestellt werden, ob die Patien:innen zweifelsfrei an Alzheimer erkrankt sind. Lecanemab eignet sich nur für das Frühstadium dieser Form von Demenz, es wird eingesetzt, wenn im Alltag erste neurologische Gedächtnisdefizite auftauchen. Diese können aber auch andere Ursachen haben, welche wir zunächst ausschließen müssen.

Wir nutzen im ersten Schritt standardisierte Testmethoden mit Papier und Bleistift, im Grunde Fragebögen zum Ankreuzen. In Zukunft wird es aber vermutlich auch digitale Tests über das Mobiltelefon oder den Computer geben, die der Arzt dann remote auswertet kann. An solchen Systemen forscht das DZNE, weil natürlich sichergestellt sein muss, dass diese Tests genauso zuverlässig arbeiten wie die bisher üblichen.

Die Ergebnisse dieser Tests geben einen ersten Hinweis auf Gedächtnisverlust. In einem zweiten Schritt untersuchen wir entweder das Nervenwasser oder das Gehirn der Patient:innen, um zu prüfen, ob sich die Amyloid-Proteine nachweisen lassen, die für Alzheimer verantwortlich sind. Die Verfahren dafür sind relativ aufwendig: Wir entnehmen entweder Nervenwasser durch eine Lumbalpunktion, also durch einen Piks im Bereich der Wirbelsäule. Oder wir fertigen PET-Scans an: Im Scanner werden dabei Ablagerungen im Gehirn mithilfe von radioaktiven Substanzen sichtbar gemacht. Erst wenn beide Untersuchungen auf Alzheimer hinweisen – also der Gedächtnistest und der Test auf Amyloid– wissen wir sicher, dass Erkrankte grundsätzlich für eine Behandlung geeignet sind. Dann aber müssen wir noch immer auf die Nebenwirkungen achten.

Aus Studien wissen wir, dass das Risiko für Nebenwirkungen besonders hoch ist bei Patient:innen, bei denen das Gen ApoE4 doppelt vorliegt. Die EMA hat sie von der Behandlung mit Lecanemab ausgeschlossen. Darauf müssen wir Alzheimer-Erkrankte also testen. Es gibt aber noch weitere Gegenanzeigen: Auch Menschen, die regelmäßig bestimmte Blutverdünner einnehmen, werden von der Therapie ausgeschlossen, denn bei ihnen ist die Gefahr für Hirnblutungen erhöht. Von allen Patient:innen muss zudem eine Kernspintomographie des Kopfes gefertigt werden. So lassen sich bestimmte Mikroblutungen im Hirn nachweisen – die betroffenen Personen bemerken diese nicht einmal. Findet  man auf den Hirn-Scans aber mehr als zwei davon, sollte eine Behandlung mit Lecanemab besser nicht erfolgen, weil die Gefahr von Blutungen dann zu groß ist.

Nein, das können auch größere nicht-universitäre Häuser leisten, Gedächtnisambulanzen oder auch Schwerpunktpraxen. Aber eine gewisse Spezialisierungsgrad und Expertise werden natürlich notwendig sein. Ich denke, die Versorgung wird sich ähnlich entwickeln wie bei einer hochspezialisierten Chemotherapie bei Krebserkrankungen: Die kann auch nicht jede Hausarzt-Praxis anbieten.

Wir werden vermutlich schon im ersten Quartal des neuen Jahres so weit sein, ich denke im Februar. 

Das ist noch unklar, auch der Preis für das Medikament steht noch nicht fest. Dazu müssen jetzt die Verhandlungen im Gemeinsamen Bundesausschuss anlaufen. Zusätzlich entstehen auch Kosten für die doch recht aufwendigen Untersuchungen im Vorfeld, etwa bei den Aufnahmen im MRT. Und auch während der Behandlung mit Lecanemab müssen MRT-Scans gefertigt werden, mindestens vier, um sicher zu gehen, dass keine Hirnblutungen auftreten. Ich gehe aber davon aus, dass die Kassen die Kosten der Behandlung übernehmen.

Wie viele das in der Praxis sind, wird man sehen. Schaut man nur auf die Genetik, also auf die Einschränkung, die die EMA dazu vorgibt, dann eignet sich Lecanemab für rund 80 Prozent aller Alzheimer-Patient:innen im Frühstadium der Erkrankung. Anderen Erkrankten können wir in Zukunft hoffentlich mit weiteren Präparaten und Therapien helfen.

Ich rechne damit, dass in den kommenden Jahren eine ganze Reihe von Wirkstoffen auf den Markt kommt. So hat zum Beispiel bereits ein weiterer Hersteller die Zulassung für einen Antikörper beantragt, der ebenfalls gegen die Amyloid-Proteine wirkt. Auch zu diesem Präparat wird die EMA in nicht allzu ferner Zukunft eine Empfehlung abgeben. Zudem können wir auch die Antikörper-Therapien selbst noch verbessern, also ihre Wirkung verstärken und Nebenwirkungen abschwächen. Geforscht wird zum Beispiel an winzigen Shuttlesystemen: Sie würden die Antikörper viel gezielter ins Gehirn transportieren als das bisher der Fall ist.

Es gibt ein zweites Protein, das Alzheimer auslöst, es nennt sich Tau. Auch zu ihm gab es bereits erste ermutigende Studien, die zeigen, dass bestimmte Medikamente in der Lage sind, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Interessant sind auch Kombinationstherapien: In Zukunft könnten wir vielleicht mit Präparaten arbeiten, die sowohl Antikörper gegen Amyloid als auch gegen Tau enthalten. Oder diese um Medikamente aus ganz anderen Bereichen ergänzen: Die neuen Schlankmacher-Spritzen etwa scheinen eine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf bei Alzheimer-Patient:innen zu haben. Sogar Kombinationen mit nicht-medikamentösen Maßnahmen sind denkbar – auf die spricht die Alzheimer-Demenz schließlich sehr gut an.

Wichtig ist zum Beispiel, dass Betroffene ihr Risiko durch Herzkreislauferkrankungen reduzieren, also zum Beispiel ihren Bluthochdruck einstellen oder ihre Herzrhythmusstörungen behandeln lassen. Außerdem sollten sie sich bei Schwerhörigkeit und Sehstörungen helfen lassen und sich gesund ernähren. Wichtig sind zudem auch psychosoziale Faktoren – Alzheimer-Patient:innen sollten sich nicht isoliert fühlen, sondern noch immer Umgang mit anderen Menschen erleben undsich beschäftigen. Ein Ansatz dazu kann DCM sein, Dementia Care Management. Dieses Versorgungskonzept wird am DZNE vorangetrieben: Speziell qualifizierte Pflegepersonen unterstützen dabei die häusliche Versorgung von Menschen mit Alzheimer. Sie stimmen sich dafür mit allen Beteiligten ab – den Angehörigen, aber auch mit den medizinischen und psychosozialen Therapeut:innen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass DCM wirkt: zwar nicht an der Wurzel der Krankheit. Aber in Kombination mit den neuen Wirkstoffen könnten sich auch da äußerst vielversprechende Therapien ergeben.

Europäische Arzneimittel-Agentur befürwortet Zulassung von neuartigem Alzheimer-Medikament (DZNE)

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