Serie: 25 Jahre Mauerfall
„Den Mauerfall erlebten wir in der Antarktis“
Es gab nicht nur zwei deutsche Staaten, sondern auch zwei deutsche Antarktis-Forschungsstationen. Die Kollegen standen im regelmäßigen Funkkontakt. Nach dem 9. November '89 wurden die Funkgespräche nach und nach etwas länger und entspannter
Von Eberhard Kohlberg
Das historische Ereignis des Mauerfalls hatte Auswirkungen bis in die Antarktis. Als wir neun Überwinterer in der Sommersaison 1988/89 unsere Reise in die Antarktis zur Georg-von-Neumayer-Station antraten, gab es nicht nur zwei deutsche Staaten. Es gab auch zwei deutsche Antarktis-Forschungsstationen, die in sogenannter „friedlicher Koexistenz“ nebeneinander bestanden: die Georg-von-Neumayer-Station der BRD und die Georg-Forster-Station der damaligen DDR. Allen Teammitgliedern – zu denen auch zwei Kollegen mit Wurzeln in der damaligen DDR gehörten – war klar, dass sich daran nichts ändern würde.
Im Januar 1989 in der Antarktis angekommen, erlebten wir die „friedliche wissenschaftliche Koexistenz“ der beiden deutschen Forschungsstationen als Abbild der politischen Situation zu Hause. Die wöchentlichen Kontakte zu unseren Kollegen auf der Georg-Forster-Station über Funk waren ausgezeichnet. Doch nie sprachen wir über Politik – bis zu dem Zeitpunkt, als die Demonstrationen im Oktober 1989 eine Veränderung der Verhältnisse in der DDR andeuteten. Von da an hielt der Funkerkollege auf der Georg-Forster-Station die Gespräche, wenn überhaupt, so kurz wie möglich, um nicht in politische Diskussionen verwickelt zu werden. Unser Kenntnisstand beruhte auf den knappen Nachrichten, die wir über die Kurzwelle der Deutschen Welle einmal am Tag empfingen. Gelegentlich versuchte unser Funker, Nachrichten für Seefahrer von Rügen Radio zu empfangen, um auch mal eine Darstellung der anderen Seite zu hören. Dort wurde über die Proteste mit „anderer Färbung“ berichtet. Daraufhin bot unser Funker seinem Kollegen auf der Forster-Station an, ihm einige Frequenzen der Deutschen Welle zu übermitteln, damit sie „besser informiert würden“. Dieses Ansinnen wurde mit der Bemerkung „wir sind gut informiert und wissen, was vorgeht“ im Keime erstickt und verbesserte die zu der Zeit noch bestehenden spärlichen Kontakte nicht unbedingt.
Meine Tagebucheintragungen aus dieser Zeit spiegeln unsere regelmäßigen Diskussionen über die politische Lage und die täglichen Flüchtlingszahlen wider. Über 60.000 Menschen pro Tag sollten über verschiedene Wege in den „Westen“ gelangt sein – das war für uns unvorstellbar. Leider gab es keine Bilder und so blieb vieles nicht nachvollziehbar.Der eigentliche Mauerfall blieb uns zunächst verborgen, da wir Nachrichten nur einmal am Tag um 18 Uhr Ortszeit empfangen konnten. Neue Informationen gab es erst wieder 24 Stunden später. So erfuhren wir vom Mauerfall, der sich in der Nacht des 9. November ereignete, erst, als sich bereits tausende von Trabis über die Grenze gewälzt hatten. Auch die Telefonate mit unseren Familien zu Hause konnten uns nicht richtig vermitteln, was gerade in Deutschland ablief. Der Gedanke an eine Wiedervereinigung kam uns gar nicht. Wir freuten uns nur darüber, dass ein ungehinderter Reise- und Besucherverkehr zwischen Ost und West möglich geworden war – vor allem unsere beiden Kollegen mit „Ost-Wurzeln“.
Die Funkgespräche mit der Forster-Station wurden nach und nach wieder etwas länger und entspannter. Ein Glückwunsch von mir als Stationsleiter zur gewonnenen Reisefreiheit wurde allerdings prompt mit dem Satz erwidert: „Wir lassen uns von euch aber nicht vereinnahmen“. Die Kontakte wurden aber dadurch nicht beeinträchtigt und blieben sehr rege. Sogar so rege, dass schließlich der Funkerkollege von der ostdeutschen Forster-Station unseren Funker fragte: „Sag mal, was verdient eigentlich ein Funker bei euch?“
Beide Überwinterungsteams haben die sehr turbulenten Zeiten für Deutschland in der Abgeschiedenheit der Antarktis erlebt. Leider sind wir uns nie persönlich begegnet.
Das historische Ereignis des Mauerfalls hatte Auswirkungen bis in die Antarktis. Als wir neun Überwinterer in der Sommersaison 1988/89 unsere Reise in die Antarktis zur Georg-von-Neumayer-Station antraten, gab es nicht nur zwei deutsche Staaten. Es gab auch zwei deutsche Antarktis-Forschungsstationen, die in sogenannter „friedlicher Koexistenz“ nebeneinander bestanden: die Georg-von-Neumayer-Station der BRD und die Georg-Forster-Station der damaligen DDR. Allen Teammitgliedern – zu denen auch zwei Kollegen mit Wurzeln in der damaligen DDR gehörten – war klar, dass sich daran nichts ändern würde.
Im Januar 1989 in der Antarktis angekommen, erlebten wir die „friedliche wissenschaftliche Koexistenz“ der beiden deutschen Forschungsstationen als Abbild der politischen Situation zu Hause. Die wöchentlichen Kontakte zu unseren Kollegen auf der Georg-Forster-Station über Funk waren ausgezeichnet. Doch nie sprachen wir über Politik – bis zu dem Zeitpunkt, als die Demonstrationen im Oktober 1989 eine Veränderung der Verhältnisse in der DDR andeuteten. Von da an hielt der Funkerkollege auf der Georg-Forster-Station die Gespräche, wenn überhaupt, so kurz wie möglich, um nicht in politische Diskussionen verwickelt zu werden. Unser Kenntnisstand beruhte auf den knappen Nachrichten, die wir über die Kurzwelle der Deutschen Welle einmal am Tag empfingen. Gelegentlich versuchte unser Funker, Nachrichten für Seefahrer von Rügen Radio zu empfangen, um auch mal eine Darstellung der anderen Seite zu hören. Dort wurde über die Proteste mit „anderer Färbung“ berichtet. Daraufhin bot unser Funker seinem Kollegen auf der Forster-Station an, ihm einige Frequenzen der Deutschen Welle zu übermitteln, damit sie „besser informiert würden“. Dieses Ansinnen wurde mit der Bemerkung „wir sind gut informiert und wissen, was vorgeht“ im Keime erstickt und verbesserte die zu der Zeit noch bestehenden spärlichen Kontakte nicht unbedingt.
Meine Tagebucheintragungen aus dieser Zeit spiegeln unsere regelmäßigen Diskussionen über die politische Lage und die täglichen Flüchtlingszahlen wider. Über 60.000 Menschen pro Tag sollten über verschiedene Wege in den „Westen“ gelangt sein – das war für uns unvorstellbar. Leider gab es keine Bilder und so blieb vieles nicht nachvollziehbar.Der eigentliche Mauerfall blieb uns zunächst verborgen, da wir Nachrichten nur einmal am Tag um 18 Uhr Ortszeit empfangen konnten. Neue Informationen gab es erst wieder 24 Stunden später. So erfuhren wir vom Mauerfall, der sich in der Nacht des 9. November ereignete, erst, als sich bereits tausende von Trabis über die Grenze gewälzt hatten. Auch die Telefonate mit unseren Familien zu Hause konnten uns nicht richtig vermitteln, was gerade in Deutschland ablief. Der Gedanke an eine Wiedervereinigung kam uns gar nicht. Wir freuten uns nur darüber, dass ein ungehinderter Reise- und Besucherverkehr zwischen Ost und West möglich geworden war – vor allem unsere beiden Kollegen mit „Ost-Wurzeln“.
Die Funkgespräche mit der Forster-Station wurden nach und nach wieder etwas länger und entspannter. Ein Glückwunsch von mir als Stationsleiter zur gewonnenen Reisefreiheit wurde allerdings prompt mit dem Satz erwidert: „Wir lassen uns von euch aber nicht vereinnahmen“. Die Kontakte wurden aber dadurch nicht beeinträchtigt und blieben sehr rege. Sogar so rege, dass schließlich der Funkerkollege von der ostdeutschen Forster-Station unseren Funker fragte: „Sag mal, was verdient eigentlich ein Funker bei euch?“
Beide Überwinterungsteams haben die sehr turbulenten Zeiten für Deutschland in der Abgeschiedenheit der Antarktis erlebt. Leider sind wir uns nie persönlich begegnet.
Dr. Eberhard Kohlberg ist als Mediziner in der Logistik-Abteilung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) verantwortlich für die Ausbildung und Betreuung der Überwinterungsteams an der antarktischen Neumayer-Station III. Er hat zweimal selbst überwintert und koordiniert im antarktischen Sommer (von November bis Februar) Stations- und Ladebetrieb vor Ort. Er steht in ständigem Austausch mit Antarktis-Logistikern aus aller Welt, denn Forschung auf dem lebensfeindlichen Kontinent ist nur in enger Kooperation möglich. Gemeinsam mit Kollegen von der Charité und vom DLR erforscht Kohlberg außerdem, wie Menschen auf Isolation reagieren.
Am Mittwoch, dem 5. November erinnert sich der Elementarteilchenphysiker Thomas Naumann, wie er bereits vor dem Mauerfall mit westdeutschen Forschern vom DESY in Hamburg zusammenarbeitete. Trotz widriger poltischer Bedingungen fanden sie einen Weg, gemeinsam zu forschen.
Einen Zusammenfassung aller Erfahrungsberichte finden Sie auf unserer Übersichtsseite www.helmholtz.de/mauerfall
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