Roboter im Blut
Den Krebs an der Wurzel bekämpfen
„Ein großes Problem in der heutigen Krebsmedizin ist die sehr niedrige Effizienz“, sagt Tian Qiu, der die Arbeitsgruppe Smarte Technologien für die Tumortherapie am DKFZ in Dresden leitet. „Bei einer klassischen Chemotherapie kommt nur ein Prozent des Medikaments wirklich am Ort des Krebses an. Die restlichen 99 Prozent verursachen irgendwo anders im Körper Nebenwirkungen.“ Eine Lösung wäre, die Medikamente zielgenau in den Tumor zu bringen. Und genau das versucht er mit seinem Team. „Wir entwickeln winzig kleine Roboter für verschiedene medizinische Anwendungen“, erzählt er. „Und zwar vom Millimeter- über den Mikrometer- bis hin zum Nanometerbereich.“ Diese Miniroboter lassen sich drahtlos steuern, zum Beispiel mithilfe eines Magnetfelds. Oder mit Ultraschall. „Wir können steuern, wohin sie sich bewegen und erkennen, wo sie sich befinden. Und wir können Funktionen auslösen – etwa Medikamente freigeben oder Bilder aufnehmen.“
Dabei ist jede dieser drei Größenskalen für einen anderen medizinischen Zweck prädestiniert. Die kleinsten sind die Nanobots. Mit nur wenigen Hundert Nanometern Größe ähneln sie in ihren Dimensionen vielen Viren. „Damit lassen sich zum Beispiel Medikamente gezielt an eine bestimmte Stelle des Krebses bringen“, sagt der Forscher. „Die Wirkstoffe sind an die Oberfläche der winzigen Partikel gekoppelt. Diese können sich aktiv im Körper bewegen und das Medikament an der richtigen Stelle freisetzen.“ Gut tausendmal größer sind die Mikrobots. Mit einigen Hundert Mikrometer erreichen sie die Dicke eines menschlichen Haars, sind also mit bloßem Auge sichtbar. Und sie können mit Werkzeugen ausgestattet sein. „In dieser Klasse haben wir VIBEBOT entwickelt. Das steht für Vibrational Microrobots in Viscoelastic Biological Tissues. Es ist ein Mikrobot, der zum Beispiel im Gehirn arbeiten kann.“ Die größten Roboter in Tian Qius Repertoire messen wenige Millimeter. Auch sie tragen Werkzeuge. Eine Kanüle etwa. Oder eine Kamera. Oder ein chirurgisches Instrument. „Für heutige medizinische Instrumente wie etwa Endoskope ist es schwierig, an bestimmte Orte im Körper heranzukommen. Zum Beispiel, um einen schwer zugänglichen Tumor zu operieren“, erklärt er. „Unsere Submillimeter-Roboter können beim Transport eines Endoskops helfen; um Bilder des Tumors zu erhalten. Oder sogar, um eine Operation durchzuführen. Und das alles minimal-invasiv.“
Von Spermien inspiriert
Um solche Forschungen voranzutreiben, hat das DKFZ im Jahr 2019 eine Außenstelle in Dresden gegründet. Und im Juni 2023 zog Tian Qiu mit seiner Gruppe von Stuttgart in die sächsische Landeshauptstadt, um seine neue Abteilung aufzubauen. Die winzigen Roboter verfolgen den Forscher bereits seit seinem Studium an der Tsinghua-Universität in Peking. Dort hat er sich mit Mikrofluidik befasst – also der Art und Weise, wie sich Flüssigkeiten in winzigsten Kanälen verhalten. Das hat er vor allem an Spermien untersucht. „Diese können einerseits in Körperflüssigkeit schwimmen“, sagt er. „Noch erstaunlicher ist aber, dass sie den Gradienten der von den Eizellen abgesonderten Chemikalien wahrnehmen können.“ Sie nehmen also die chemische Spur der Eizellen auf und bewegen sich auf diese zu. „Als Ingenieur dachte ich bei mir: Es wäre doch supercool einen künstlichen Roboter zu entwickeln, der im Körper schwimmen kann und eine gewisse Intelligenz hat“, erzählt Tian Qiu. Denn dort, so dachte er weiter, könne die Maschine einem Konzentrationsgefälle bestimmter Chemikalien folgen und am Ziel nützliche biomedizinische Aufgaben erfüllen. „Das hat mich inspiriert. Und deshalb bin ich nach Europa gekommen, habe in Lausanne Bioingenieurwesen studiert und forsche seitdem an kleinen Robotern.“
Eine große Herausforderung liegt darin, die winzigen Roboter im tiefen Gewebe zu lokalisieren. In einigen Versuchen umgingen die Forscher das Problem, indem sie sich für den Glaskörper des Auges entschieden. „Der ist transparent. So können wir unsere Roboter unter dem Lichtmikroskop sehen“, erklärt Tian Qiu. „Aber das andere Gewebe im Körper ist nicht durchsichtig. Und es ist sehr schwierig, sich in Echtzeit ein Bild davon zu machen, was dort vor sich geht.“ Natürlich gibt es fortschrittliche medizinische Bildgebungsverfahren wie zum Beispiel die Magnetresonanztomographie (MRT) oder die Computertomografie (CT). Doch diese sind nicht ideal für Roboter in kleinem Maßstab. Denn beim MRT stören die Magnetfelder. Und beim CT gibt es Strahlung, die die Forscher vermeiden wollen. Außerdem kann mit den Verfahren nicht in Echtzeit gescannt werden. Doch das ist zur Steuerung des Roboters notwendig. „Aus diesem Grund haben wir eine eigene Technologie für die Verfolgung entwickelt“, sagt der Forscher.
Der miniaturisierte Tracker wurde von Tian Qius Doktorand Felix Fischer gebaut und kürzlich in der Zeitschrift npj Robotics veröffentlicht. Es handelt sich um einen kleinen Permanentmagneten, der in Schwingung versetzt wird. Das erzeugt ein magnetisches Signal, das eine Sensoranordnung erfassen kann. „Der Magnet ist kleiner als ein Millimeter und sitzt an der Spitze eines Auslegers“, erklärt Tian Qiu. „Er hat eine Schwingungsfrequenz von 135 Hertz und erzeugt ein kompliziertes Magnetfeld.“ Mit einem Computeralgorithmus passen die Forscher das Magnetfeld so an, dass sie es lokalisieren können. „Wir wissen also, wo dieser kleine Tracker ist. Und zwar in allen sechs Freiheitsgraden.“ Das heißt, sie können nicht nur seine Bewegungen in den drei Dimensionen des Raums erfassen, sondern kennen auch die Drehwinkel um jede dieser Achsen. Die Frequenz haben sie dabei ebenfalls mit Bedacht gewählt. „Unser Stromnetz hier in Deutschland schwingt mit 50 Hertz. Das erzeugt ein magnetisches Rauschen“, erklärt er. „Ähnlich verhält es sich mit dem statischen Erdmagnetfeld. Aber all das spielt keine Rolle, wenn wir mit 135 Hertz arbeiten.“ Das System kann dabei nahezu in Echtzeit melden, wo sich der Roboter im Körper befindet. Es liefert ungefähr fünf Bilder pro Sekunde. Verglichen mit moderner Videotechnik ist das zwar wenig. Aber es ist ausreichend für minimal-invasive chirurgische Instrumente. Denn die werden relativ langsam im Körper bewegt. „Wir können unseren kleinen Tracker also einfach an der Spitze eines Endoskops anbringen“, sagt Tian Qiu. „Dann können wir in Echtzeit verfolgen, wohin sich das Endoskop bewegt. Und das ohne jegliche Strahlung.“
Bewegung in schwierigem Gelände
Bevor die winzigen Maschinen einmal zum medizinischen Standardrepertoire gehören, müssen die Forscher aber noch einige Herausforderungen lösen. Die größte ist für Tian Qiu, die biologische Barriere zu durchdringen. Er startet ein Video von einem winzigen Roboter, der sich elegant durch eine Flüssigkeit bewegt. „Die Mikrobots haben wir in den letzten Jahren entwickelt“, sagt er und betont, dass sie sehr gut in newtonschen Flüssigkeiten funktionieren würden. Das sind Flüssigkeiten wie zum Beispiel Wasser, deren Viskosität unabhängig von wirkenden Kräften ist. Für Körperflüssigkeiten wie Blut trifft das aber nicht zu. „Deshalb haben wir ein Problem, wenn wir die Roboter in echtes biologisches Gewebe injizieren“, fährt Tian Qiu fort. „In so einer biologischen Umgebung stecken sie fest.“ Er startet ein zweites Video. Der winzige Roboter dreht sich jetzt nur noch im Kreis. An ein Vorankommen ist nicht zu denken. „Ein solider Tumor ist weiches Gewebe. Und die Schleimschicht über fast jedem Organ ist nicht nur aus Wasser. Es ist eine viskoelastische biologische Flüssigkeit“, sagt er. „Im Grunde stoßen wir überall dort, wo unsere Roboter etwas Nützliches tun sollen, auf diese Barriere.“ Die Roboter auch in echtem Gewebe bewegbar zu machen, ist für Tian Qiu eine der wichtigsten Aufgaben.
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