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MOSAiC-Expedition

„Das wichtigste Ziel haben wir erreicht“

Expeditionsleiter Markus Rex. Bild: AWI

Vor fünf Jahren startete die größte Arktisexpdition aller Zeiten. Im Interview spricht Expeditionsleiter Markus Rex über das Projekt und darüber, warum einige der Ergebnisse Mut machen können.

Wir hatten praktisch keine direkten Beobachtungen vieler wichtiger Klimaprozesse in der Zentralarktis im Winter. Die Arktis spielt aber eine zentrale Rolle im Klimasystem. Mangels Beobachtungen müssen wir in unseren Klimamodellen ad-hoc Annahmen darüber machen, wie diese Prozesse genau funktionieren. Man könnte auch sagen, wir müssen raten. Und das ist bei so einer ernsten Frage wie der nach den Auswirkungen des Klimawandels in der Arktis kein guter Zustand. Das wollten wir ändern.

Es ist es uns gelungen, viele Menschen und Institutionen zu mobilisieren. An MOSAiC waren mehr als 80 Institutionen aus 20 Ländern beteiligt. Mehr als 600 Personen, darunter 442 Forschende, waren über die Expedition hinweg im Eis tätig. Und sechs Schiffe – vier russische Eisbrecher und die beiden deutschen Forschungsschiffe Sonne und Maria S. Merian – haben das zentrale Expeditionsschiff Polarstern versorgt und unterstützt. So einen riesigen logistischen Aufwand hat es in der Arktis noch nie gegeben.

Die Polarstern in der Polarnacht. Bild: AWI

Nur so konnten wir mit einem der fähigsten Forschungsschiffe weltweit Zugang zum Winterhalbjahr in der zentralen Arktis bekommen. Denn auch die Polarstern schafft es im Winter nicht, durch das dicke Meereis in die Nordpolregion vorzudringen. Und genau das ist auch das zentrale Alleinstellungsmerkmal der MOSAiC-Expedition. Noch nie in der Geschichte hat ein moderner Forschungseisbrecher im Winter in der zentralen Arktis geforscht. Und das über so lange Zeit eingefroren und driftend im Meereis, mit einem interdisziplinären Team an Bord, das umfassend alle Aspekte des Klimasystems untersucht. Die Helmholtz-Gemeinschaft mit ihrer Fähigkeit, große und teure Forschungsinfrastrukturen wie den AWI-Forschungseisbrecher Polarstern zu betreiben, ist vielleicht die einzige wissenschaftliche Organisation weltweit, die eine Expedition in dieser Größenordnung federführend stemmen konnte.

Wir konnten durch MOSAiC einen enormen und einzigartigen Datenschatz produzieren, den wir so im Winter in der zentralen Arktis weder mit Driftbojen noch mit Satelliten, sondern nur mit einem modernen Forschungsschiff und einem so großen Team direkt vor Ort erheben konnten. Insofern haben wir unser wichtigstes Ziel erreicht.

Die wissenschaftliche Auswertung ist im vollen Gang. Bereits jetzt haben wir etwa 200 begutachtete wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, Dutzende weitere sind bereits eigereicht und im Reviewprozess oder stehen kurz vor der Einreichung. Und die Publikationsrate ist dabei immer weiter angestiegen und hat auch jetzt nach vier Jahren noch nicht begonnen zu sinken – wir haben also den Peak unserer wissenschaftlichen Produktivität noch gar nicht erreicht. Wir sind derzeit dabei, ein ganz neues und viel kompletteres Bild des arktischen Klimasystems zusammenzusetzen, das nach und nach immer schärfere Konturen annimmt.

Zum Beispiel bestätigen unsere Messungen aus der Gefrierphase des Eises im Winter, dass der Schwund des arktischen Meereises anders als etwa das Festlandeis auf Grönland kein Kipppunkt im Klimasystem ist. Es folgt dem Erwärmungstrend der Atmosphäre linear und reagiert sehr direkt auf steigende Temperaturen. Daraus folgt, dass das arktische Meereis, das eine so wichtige Funktion auch im globalen Klima- und Ökosystem spielt, nicht unwiederbringlich verloren ist, sobald die Erwärmung einen bestimmten Schwellenwert überschritten hat. Damit ist auch klar, dass eine wirksame Reduktion des weltweiten Treibhausgasausstoßes direkte und positive Folgen für das Meereis hat. Stoppen wir die Erwärmung, bleibt auch das Meereis. Kühlt sich der Planet wieder ab, breitet sich auch das Meereis wieder aus. Das ist eine extrem wichtige und Mut machende Botschaft von MOSAiC an die Gesellschaft und vor allem an die Politik.

Bild: AWI

Die schönste Erfahrung für mich persönlich war das Arbeiten auf dem Eis in der monatelangen, absoluten Dunkelheit der Polarnacht. Die Atmosphäre lässt sich kaum beschreiben und hinterlässt einen Eindruck, den man nicht mehr vergisst. Völlige Dunkelheit, völlige Stille. Nur das Licht der eigenen Stirnlampe erhellt den Bereich direkt vor der Nase. Man fühlt, dass man in der totalen Schwärze der ewigen Nacht von einer endlosen, lebensfeindlichen und dunklen Weite umgeben ist, einer tief gefrorenen Landschaft, in der Eisbären umherstreifen. Dann blickt man zurück zur beleuchteten Polarstern und sieht unsere 118 Meter lange, warme, helle Oase - unsere sichere Heimat für dieses Jahr. Das sind wirklich große, ehrfürchtige aber eben auch wunderbare Momente.

Viele Situationen auf einer Expedition sind ambivalent, sie faszinieren und sind herausfordernd oder gar gefährlich zugleich. Zu den besonders herausfordernden Momenten gehörten sicher kritische Eisbärannäherungen in der Polarnacht. Eisbären stehen wie kaum eine andere Tierart symbolisch für die Arktis. Es sind beeindruckende aber eben auch sehr gefährliche, große Raubtiere. Wenn ein Eisbär in der Nähe gesichtet wird, besteht für die Forschenden auf dem Eis Lebensgefahr. Dank unseres ausgeklügelten Eisbärensicherheitskonzeptes sind weder Mensch noch Tier zu Schaden gekommen. Am Ende bleibt die Erinnerung an zahlreiche Begegnungen mit diesen faszinierenden Tieren, einige auch dokumentiert durch die beeindruckenden Bilder der AWI-Fotografin Esther Horvath.

Die Expedition war ein voller Erfolg. Erstmals konnten wir im Winter in der Zentralarktis mit einer optimal ausgestatteten Forschungsplattform umfassend arbeiten. Die Arktis ist das Epizentrum des Klimawandels. Keine Region der Erde erwärmt sich schneller, verändert sich drastischer. Und trotzdem zählt die Arktis zu den Regionen, in denen wir den Klimawandel am schlechtesten verstehen. Mit MOSAiC konnten wir erheblich dazu beitragen, dass sich dies ändert. Inzwischen ist aber auch klar, dass auf der anderen Seite des Planeten ebenfalls große und ungelöste Fragen darauf warten, beantwortet zu werden. So wissen wir noch immer nicht genau, warum sich hier – in der Antarktis – bislang nur einige Regionen stark erwärmt haben, während die Erwärmung in anderen Regionen ausgeblieben ist. Genauso wenig wissen wir, warum sich das gerade zu ändern zu scheint, denn wir haben in der jüngsten Vergangenheit auch dort atemberaubende Hitzewellen gesehen. Ist das der Beginn eines Trends oder sind dies Anomalien gewesen?

Wir planen derzeit mit dem AWI als federführende Institution ein in dieser Größenordnung in der Antarktis noch nicht da gewesenes Forschungs- und Messprogramm namens Antarctica InSync. Der Name steht für „Antarctica International Science & Infrastructure for Synchronous Observation“. Zusammen mit zahlreichen Partnern etwa aus den USA, Australien, Neuseeland, Südafrika und vielen weiteren Ländern wollen wir die Antarktis zwischen 2027 und 2030 zu Land zu Wasser und aus der Luft synchron und multidisziplinär beobachten und vermessen, um auch hier die Basis für ein neues und schärferes Bild des Klimasystems in der Antarktis und dem umgebenden südlichen Ozean zu legen.

MOSAiC-Expedition

Es war die größte Arktisexpedition aller Zeiten: MOSAiC (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) unter Federführung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Im September 2019 stach der AWI-Forschungseisbrecher Polarstern vom norwegischen Tromsø aus in See, um ein Jahr lang eingefroren im Eis durch den Arktischen Ozean zu driften und wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse hier im Epizentrum des Klimawandels zu gewinnen.

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