Digital Leader Award
„Das macht uns wirklich stolz“
In dem Projekt Digital Earth wollen Geowissenschaftler und Informatiker das System Erde mit datenwissenschaftlichen Methoden besser verstehen. Nun wurde das Projekt mit dem renommierten Digital Leader Award ausgezeichnet. Wir sprachen mit einer der beteiligten Forscherinnen.
Wie fühlt es sich an, diesen renommierten Preis zu erhalten?
Das finden wir großartig, auch für unsere jungen Wissenschaftler, die mit so viel Engagement das Projekt voranbringen. Es zeigt, dass sich all unsere Mühe, die zur Umsetzung dieses interdisziplinären Projekts notwendig ist, lohnt. Die Industrie ist der Wissenschaft bezüglich Digitalisierung in manchen Feldern voraus. Daher freuen wir uns, dass wir uns in der Endrunde des Wettbewerbs auch gegen namhafte Unternehmen aus der Industrie durchsetzen konnten. Das macht uns wirklich stolz.
Was genau ist „Digital Earth“ und wozu dient es?
Ziel des Projekts ist, datengetriebene geowissenschaftliche Forschung mit Hilfe neuer Ansätze aus Informatik und Data Science weiterzuentwickeln, um somit komplexe geowissenschaftliche Fragestellungen disziplinübergreifend bearbeiten und beantworten zu können. Digital Earth ist ein Projekt aller acht Helmholtz-Zentren aus dem Bereich Erde und Umwelt. Daten, Methoden und Ergebnisse sollen über Disziplingrenzen hinweg geteilt, kombiniert und exploriert werden können. Dafür wollen wir Lösungen entwickeln.
Wie geht das Projektteam dabei vor?
Das fängt bei der Zusammensetzung des Teams an: Wir arbeiten interdisziplinär, sonst würde unser Vorhaben gar nicht gelingen. In unserem Team arbeiten Geowissenschaftler aus verschiedenen Forschungsbereichen, Informatiker und Data Scientists eng zusammen. Wir kombinieren Methoden aus Statistik, Machine Learning, Visualisierung, interaktiver Datenexploration und Software-Entwicklung und konzipieren daraus neue Ansätze und Werkzeuge.
Unterscheiden sich Geowissenschaftler und Informatiker denn sehr in ihrer Arbeitsweise?
Ja, Geowissenschaftler arbeiten stark anwendungsorientiert, Informatiker hingegen sehr formal. Das ist schon eine große Herausforderung, der man sich stellen muss. Wir nutzen dazu das Konzept von Workflows. Dafür müssen die Geowissenschaftler ihre Arbeitsweise transparent darstellen und als wissenschaftlichen Workflow dokumentieren. Das können die Informatiker dann in einen digitalen Workflow überführen. Das bedeutet jedoch nicht: Der eine schreibt auf, der andere nimmt’s entgegen. Das würde nicht funktionieren. Sondern wir sind in einem permanenten Austausch, in einer permanenten Kommunikation.
Wer Daten analysieren will, braucht natürlich auch Methoden.Wie steht es um die technische Seite?
Viele Wissenschaftler entwickeln Methoden zur Datenanalyse und schreiben ihre individuellen Auswerteroutinen. Diese Methoden müssen für andere Wissenschaftler verfügbar gemacht werden und sie müssen in größere Analyseketten – in digitale Workflows – integriert werden können. Um das zu ermöglichen, haben wir ein komponenten-basiertes Softwareframework entwickelt, welches die Basis für alle Software-Entwicklungen in Digital Earth bildet.
Das klingt nach einem Mammutprojekt. Empfinden Sie das auch so oder machen Sie einfach viele kleine Schritte nacheinander?
Digital Earth ist ein großes, komplexes und auch herausforderndes Projekt. Es braucht viele Schritte und viel Abstimmung, um das Ziel zu erreichen. Aber unser Enthusiasmus treibt uns an: Das Ziel von Wissenschaftlern ist, etwas Neues herauszufinden und dazu müssen sie neue Wege beschreiten. Die sind in der Regel immer herausfordernd.
Wie gehen Sie vor?
Unsere Arbeitsweise ist sehr strukturiert: Wir arbeiten an zwei exemplarischen Fallbeispielen, der Untersuchung von Flutereignissen und ihren Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft und der Quantifizierung von klimaschädlichen Methanemissionen. Wir gehen nach einer definierten Methodik vor und adaptieren etablierte Ansätze aus den Geowissenschaften, der Informatik und Data Science. Wir tauschen uns kontinuierlich aus und wir evaluieren unsere Projektarbeit immer wieder, um Verbesserungspotentiale zu identifizieren.
Wie viele Menschen sind an Digital Earth beteiligt?
Die Zahl der aktiven Mitarbeiter liegt bei etwa 50, davon sind rund 40 Prozent Nachwuchswissenschaftler. Auch die Gender Balance ist nahezu ausgeglichen, was in unserem MINT-Bereich nicht selbstverständlich ist. Die Zusammenarbeit so vieler verschiedener Mitarbeiter erfordert viel Diskussion, die mit großer Leidenschaft und manchmal auch etwas hitzig geführt wird. Am Ende steht immer ein gutes Resultat.
Wie haben Sie eine gemeinsame Sprache gefunden?
Wir haben sehr schnell festgestellt, dass die verschiedenen Disziplinen ein sehr unterschiedliches Vokabular haben. Das erst einmal zusammenzubringen, war ein wichtiger Lern- und Findungsprozess. Die verschiedenen Geowissenschaften, die Informatik und Data Science, jede Disziplin lebt in ihrer eigenen Konzeptwelt. Selbst wenn man dasselbe Wort hat, ist die Semantik eine andere. Eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, damit wir uns verstehen, das hat das Projekt auch ganz besonders gemacht.
Darauf lässt sich nicht jeder Wissenschaftler ein …
Richtig. Dafür braucht es einen bestimmten Typ von Wissenschaftler, der in der Schnittmenge verschiedener Disziplinen Neues entwickeln will, der sich auf andere Disziplinen einlässt und eine Brücke dorthin bauen will. Unsere jungen Wissenschaftler sind begeisterte Brückenbauer. Doch auch die alten Hasen sagen: „In keinem anderen Projekt habe ich so viel gelernt wie in diesem.“
Noch ist das Projekt auf acht Helmholtz-Zentren beschränkt. Soll dann das, was bei Helmholtz funktioniert, in größerem Maßstab ausgerollt werden?
Genau. Wir haben bei Helmholtz begonnen, uns aber schon eng verknüpft mit nationalen Vorhaben, die international eingebettet sind. Ein Beispiel hierfür ist das Vorhaben zur Nationalen Forschunsgdateninfrastruktur NFDI, mit dem es bereits sehr gute Verzahnungen gibt. Wir führen Gespräche über mögliche Kooperationen und tauschen Technologien aus.
Wie lange dauerte es von den ersten Planungen, bis das Ganze Fahrt aufnahm?
Das war ein langer Prozess. Die Vorstände der Helmholtz-Zentren aus dem Bereich Erde und Umwelt haben an uns die Idee herangetragen, datengetriebene Forschung mittels neuer Ansätze aus Informatik und Data Science weiterzuentwickeln, weg von den einzelnen Disziplinen hin zum disziplinübergreifenden Gesamtverständnis des Systems Erde. Der Anfang des Projekts war sehr schwer, weil es so unterschiedliche Vorstellungen gab: IT-Infrastruktur-Verantwortliche, Geowissenschaftler, Informatiker, jeder brachte seine Ideen ein und es war eine Herausforderung, aus dem vielstimmigen Chor einen gemeinsamen Projektantrag zu entwickeln. Aber weil wir es unbedingt wollten, ist es uns auch gelungen. Wir arbeiten jetzt im dritten Jahr, der Vorlauf betrug sicherlich noch einmal zwei Jahre. Mittlerweile haben wir anhand der Fallbeispiele gezeigt, dass unsere Ansätze und Werkzeuge funktionieren. Jetzt müssen wir sie konsolidieren und in die Breite tragen.
Digital Earth
Klimaveränderungen und ihre Folgen, Risiken durch Erdbeben oder Überflutung, nachhaltige Nutzung von Ressourcen, Biodiversität: das alles sind Themen, die unsere Gesellschaft zunehmend beschäftigen. Damit die Wissenschaft verlässliche Informationen liefern kann, müssen Wissenschaftler die komplexen Erdsystemprozesse und den Einfluss des Menschen verstehen. Dazu braucht es Forschungsansätze, die nicht auf einzelne Disziplinen beschränkt sind, sondern eine ganzheitliche, „holistische“ Betrachtungsweise eröffnen. Es sind wissenschaftliche Arbeitsumgebungen erforderlich, die es ermöglichen, disziplinübergreifend wissenschaftliche Daten, Methoden und Ergebnisse zu teilen, zu kombiniern und zu explorieren. Das Ziel von Digital Earth ist, mithilfe von Ansätzen aus Informatik und Data Science solche neuen disziplinübergreifenden digitalen Arbeitsumgebungen zu entwickeln, zu testen und an Beispielen zu demonstrieren.
Das Projekt Digital Earth wurde am 10. September 2020 mit dem Sonderpreis für „Digital Science“ der „Digital Leader Awards“ in der Kategorie „Society“ ausgezeichnet. Mit diesen Preisen würdigen die Firmen NTT und IDG Business Media branchenübergreifend Projekte und Teams, die die digitale Transformation vorantreiben.
Beteiligte Helmholtz-Zentren:
- Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung Bremerhaven
- Forschungszentrum Jülich
- GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
- Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum
- Helmholtz-Zentrum Geesthacht
- Helmholtz-Zentrum München
- Karlsruhe Institut für Technologie
- Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
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