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Magnetismus

Das Gesetz der zwei Pole

Ein klassischer Magnet zieht Eisenspäne an –

Mit Neutronenstrahlen und unter Extremtemperaturen dringen Forscher in die Geheimnisse von Magneten ein – und könnten mit ihren Ergebnissen eine bisher unangefochtene Gewissheit ins Wanken bringen.

Magnete haben zwei Pole – das ist eine der Gesetzmäßigkeiten, die Kinder bereits in der Grundschule lernen. Womöglich zu Unrecht. Schon 1931 hatte der britische Physiker Paul Dirac vorausgesagt, dass es einzeln vorkommende magnetische Pole geben müsste – so genannte magnetische Mono­pole –, jetzt endlich sind Forscher ihnen auf die Spur gekommen. Wenn sich ihre Erkenntnisse erhärten, müssten dann die Physikbücher umgeschrieben werden?

Bislang waren sämtliche Experimente, Diracs inzwischen 83 Jahre alte These zu bestätigen, gescheitert: Versucht man beispielsweise, Nord- und Südpol eines Stabmagneten voneinander zu trennen, indem man ihn in der Mitte durchschneidet, hat jedes der beiden neuen Magnetstückchen wieder zwei Pole. Zuletzt vermuteten Forscher magnetische Monopole im All und hofften, sie in Teilchenbeschleunigern aufspüren zu können. Doch der experimentelle Beweis für ihre Existenz blieb immer aus.

Eine erste heiße Spur fanden dann im Jahr 2009 Forscher des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie (HZB). Sie entdeckten nahezu freie magnetische Monopole, so genannte Quasi-Teilchen, im Inneren eiskalter Kristalle. Bei Temperaturen um den absoluten Nullpunkt – bei weniger als minus 272 Grad Celsius – untersuchten sie die magnetischen Strukturen innerhalb eines Kristalls mit dem komplizierten Namen Dysprosium-Titanat. Dysprosium ist ein Metall, das zu den Seltenen Erden gehört. In Verbindung mit Titan und Sauerstoff kristallisiert es in einem Pyrochlor-Gitter. Dieses Gitter zeichnet sich durch seine besondere Geometrie aus, die der von gefrorenem Wasser ähnelt: Es besteht aus vielen aneinandergelagerten Tetraeder-Strukturen. Und 
in jeder der vier Ecken eines Tetraeders ist ein magnetisches Moment, ein Spin, anordnet. Ein Spin kann man sich wie eine Art Mini-Hantel vorstellen. Dabei stellt ein Ende der Hantel einen magnetischen Südpol und das andere Ende einen magnetischen Nordpol dar – im Prinzip so ähnlich wie ein kleiner Stabmagnet. „Wird ein Magnetfeld angelegt, ordnen sich die vier Spins innerhalb eines Tetraeders so an, dass zwei Hanteln ihren Nordpol und die anderen beiden ihren Südpol nach außen ausrichten. Und zwar so, dass sich die nach außen gerichteten Pole in dem benachbarten Tetraeder befinden“, erklärt Experimental-Physiker Bastian Klemke, der an der Monopol-Entdeckung beteiligt war.

<b>Kältemaschine</b> Bastian Klemke zeigt die Top-Platte des Kryostaten, der bis auf minus 272 Grad Celsius herunterkühlen kann. Foto: Phil Dera

Eine Hantel ist auf diese Weise immer auf zwei Tetraeder aufgeteilt. „Als wir die Stärke des Magnetfelds reduzierten, konnten wir beobachten, wie sich Spin-Spaghetti bildeten“, sagt Klemke. Spin-Spaghetti: So nennen die Forscher die Knäuel aus langen, miteinander verschlungenen Ketten, die die Spins bilden. Sie bestehen aus aneinandergereihten Spins, deren Nord- und Südpole im Wechsel angeordnet sind, so wie eine Reihe kleiner Stabmagnete. Diese magnetischen Strukturen haben die HZB-Forscher mit Neutronenstrahlen sichtbar gemacht. Bastian Klemke: „Die Enden der Spin-Spaghetti – also ein magnetischer Nordpol am einen und ein magnetischer Südpol am anderen Ende – konnten innerhalb des Kristalls in jedwede Richtung wandern. Dafür benötigten sie keine Energie, sie waren quasi frei und verhielten sich wie magnetische Monopole.“
Mit ihren Untersuchungen haben die Wissenschaftler grundlegende Eigenschaften von Materie gezeigt, die bislang noch nicht bekannt waren. Und sie lieferten den experimentellen Beweis für die Existenz magnetischer Monopole nach den Berechnungen Paul Diracs – wenn auch nur als Quasi-Teilchen in einem Festkörper. Noch haben sie es nicht geschafft, magnetische Monopole auch bei Raumtemperatur nachzuweisen. Die Hoffnung indes haben die Wissenschaftler nicht aufgegeben – und träumen von einer neuen Generation magnetischer Speichermedien, die dann möglich würden – zum Beispiel in Computerfestplatten. „Neben einer drastischen Erhöhung der Speicherdichte um bis zu das Zehntausendfache könnten solche Medien auch deutlich energieeffizienter betrieben werden als heute übliche Speicher auf der Basis konventioneller magnetischer Materialien“, sagt Klemke.

Ihre bisherigen Entdeckungen, sagt Experimental-Physiker Bastian Klemke, reichten noch nicht ganz dafür, die Physikbücher umschreiben zu müssen: „Da die magnetischen Monopole, die wir gefunden haben, nur quasi frei sind, konnten die Bücher bislang aber immerhin um ein interessantes Kapitel ergänzt werden.“?

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