Erwin-Schrödinger-Preis
Auszeichnung für Solarforscher-Team
In der Photovoltaik-Forschung sind sie der letzte Schrei: Perowskit-Solarzellen. In wenigen Jahren haben sie einen Wirkungsgrad erreicht, den übliche Siliziumzellen erst nach jahrzehntelanger Optimierung liefern. Warum das so ist, hat ein interdisziplinäres Forscherteam am KIT ergründet.
Als die Photovoltaik-Forschung das neue Material vor etwa sieben Jahren für sich entdeckte, konnten Solarzellen auf Siliziumbasis schon auf eine mehr als 30-jährige Karriere zurückblicken. Sie sind weit verbreitet und derart optimiert, dass sie knapp ein Viertel der Sonnenenergie in elektrischen Strom umwandeln. Das erreichten die Perowskite schon nach kurzer Zeit. „Eine Solarzellentechnologie, die innerhalb weniger Jahre von 0 auf 25 Prozent Wirkungsgrad hochgesprungen ist, gab es noch nie“, sagt Alexander Colsmann von Karlsruher Institut für Technologie – KIT. „Es ist ein bemerkenswertes Material. Es produziert schon heute Wirkungsgrade wie herkömmliche Solarzellen, lässt sich aber wesentlich leichter herstellen. Gut möglich, dass es in absehbarer Zeit das Silizium überrundet.“
Dabei ist die Bezeichnung Perowskit-Solarzelle eigentlich unzureichend, erklärt der Physiker. „Perowskit sagt erst einmal nur, welche Struktur ein Kristall hat. Wie die Atome angeordnet sind. Da weiß man noch nicht, welche Atome drin sitzen.“ Rund zwei Drittel der bekannten Mineralien liegen in Perowskit-Struktur vor. Für die Solarzellen sind nur einige davon zu gebrauchen. Colsmann und seine Kollegen setzen beispielsweise auf Perowskite aus Blei und Jod, in dessen Kristallstruktur ein kleines organisches Molekül mit Namen Methylammonium von Menschenhand hineingewoben wurden. Methylammonium-Bleiiodid heißt das synthetische Material. „Dieser Kristall nimmt eine Sonderstellung ein“, erklärt der Forscher. „Es ist ein organisch-anorganischer Hybrid.“
Kleine Felder, große Wirkung
Bisher, so Colsmanns Eindruck, basiert die Weiterentwicklung von Perowskit-Solarzellen vor allem auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum. „Als der Hype vor etwa sieben Jahren begann, stand die Grundlagenforschung eher im Hintergrund“, erzählt er. „Das wollten wir ändern.“ Denn bei allem Licht, in dem die Technologie zu strahlen scheint, hat sie auch Schattenseiten. Die beiden größten: Perowskit-Solarzellen sind nicht besonders stabil. Und wenn sie sich zersetzen, dann geben sie giftige Abbauprodukte frei. Für industrielle Anwendungen wäre schon eines von beiden das K.-o.-Kriterium.
„Deswegen ist es wichtig zu verstehen, was diese Perowskit-Solarzellen so besonders macht“, führt Colsmann aus. „Nur mit ausreichendem Grundlagenverständnis kann man sich nach anderen Materialkompositionen umschauen und diese negativen Eigenschaften minimieren.“ Ein solches Verständnis haben er und seine Kollegen nun einen entscheidenden Schritt vorangebracht. „Wir haben nachgewiesen, dass diese Materialien ferroelektrisch sind. Das heißt, in einem Perowskit-Kristall gibt es mikroskopisch kleine elektrische Felder.“
Für Solarzellen ist diese Eigenschaft ein Glücksfall. Fällt Licht auf ihre Oberfläche, wird es absorbiert und erzeugt im Material positive und negative Ladungsträger. Diese Ladungsträger wandern in die Elektroden und können dort als elektrische Leistung abgegriffen werden. Bei heute üblichen Solarzellen ist diese Ladungstrennung selten sauber. Da treffen etwa Elektronen hin und wieder auf die gegenteilig geladenen Löcher. Dann rekombinieren sie und gehen verloren. Die Ausbeute sinkt.
Die winzigen elektrischen Felder, die ferroelektrische Materialien durchziehen, unterstützen hingegen die Ladungstrennung. Denn abhängig von seiner Ladung wird jedes geladene Teilchen in einem elektrischen Feld beschleunigt. Die Wahrscheinlichkeit, sich nochmal über den Weg zu laufen, sinkt rapide. Colsmann und sein Team sind sich sicher: Die Ferroelektrizität ist der Grund, warum Perowskit-Solarzellen so hohe Wirkungsgrade erreichen. Der Physiker ist begeistert: „Wenn wir uns das Wirkungsprinzip anschauen sieht es so aus, als hätte die Natur eine perfekte Solarzelle designt.“
Interdisziplinarität war der Schlüssel
Dass sein Team so weit kommen konnte, hat viel mit wissenschaftlicher Neugier und Über-den-Tellerrand-Denken zu tun. Und mit den richtigen Partnern. Denn eigentlich ist Colsmanns Arbeitsgruppe in der organischen Photovoltaik zu Hause. Mit Kristallen hatten sie wenig zu tun. „Als der Hype um die Perowskite aufkam, wollten wir auch etwas zum Thema beitragen“, erinnert sich der Wissenschaftler. „Für organische Solarzellen hatten wir die Mikrostruktur ja schon intensiv untersucht. Haben uns angeschaut, warum und wie sie funktionieren. Es war also nahe naheliegend, denselben Fragen für die Perowskit-Solarzellen auf den Grund zu gehen.“
Der Anstoß für die folgenden Experimente kam dann seinen Doktoranten. Die hatten eine theoretische Arbeit ausfindig gemacht, die die ferroelektrischen Eigenschaften des Materials vorhersagte. „Sie meinten, mit unserem Rasterkraftmikroskop könnten wir das doch nachweisen“, erzählt Colsmann. „So kam das ganze Projekt ins Laufen.“ Allerdings konnten sich die Wissenschaftler das, was sie dann sahen, nicht vernünftig erklären. Aber zum Glück waren sie nicht allen. Denn vor drei Jahren hat das KIT das Materialwissenschaftliche Zentrum für Energiesysteme gegründet. Dort kamen 16 Gruppen aus 16 verschiedenen Instituten zusammen. Der Auftrag: Arbeitet gemeinsam an Energiewandlung und Energiespeicherung. Für Colsmanns Forschung war das ein Segen. „So sind wir mit Kollegen zusammengekommen, mit denen wir vorher nie etwas zu tun hatten: mit den Keramikwissenschaftlern“, erzählt er. „Die haben schon seit Jahrzehnten mit Perowskiten gearbeitet. Was wir beobachtet hatten, uns damals aber nicht erklären konnten, war ihnen längst bekannt. Das war der Beginn einer äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit.“
„Photovoltaikforschung ist enorm wichtig für die Menschheit“
Besonders kurios findet Colsmann die Tatsache, dass sich mit der Photovoltaik und den Keramikwissenschaften zwei Forschungsgebiete gefunden haben, die kaum weiter voneinander entfernt sein könnten. Erst durch diese Kooperation, da ist sich der Wissenschaftler sicher, sei die Entdeckung überhaupt möglich gewesen. Und gerade diese Interdisziplinarität ist ein wichtiges Kriterium für den Erwin-Schrödinger-Preis, mit dem seine Forschung nun ausgezeichnet wurde. Dass er und sein Team nominiert waren, wusste Colsmann natürlich. Die Nachricht, dass er den Preis tatsächlich in den Händen halten würde, war trotzdem ein bewegender Moment. „Es war einfach Wahnsinn“, erinnert er sich. „Als die E-Mail kam, war ich gerade in einem Meeting. Das habe ich dann abgebrochen und bin mit den Kollegen feiern gegangen.“
Auf ihren Lorbeeren ausruhen, dass kommt für die Preisträger nicht in Frage. „Bei der Energiewende stehen wir vor großen Herausforderungen“, sagt Colsmann. „Viele Dinge sind noch unklar. Aber sicher ist, dass in ein paar Jahrzehnten ein großer Teil unserer Energie von der Sonne kommen wird. Denn diese Energiequelle ist nach menschlichen Maßstäben unerschöpflich. Deshalb denke ich, dass Photovoltaikforschung enorm wichtig für die Menschheit ist.“ Er und seine Kollegen bleiben natürlich am Thema dran. Dabei blickt Colsmann optimistisch in die Zukunft: „Jetzt kennen wie ja die wichtigen Eigenschaften“, sagt er. „Nun suchen wir gezielt nach ferroelektrischen Materialien, die hohe Wirkungsgrade ermöglichen, aber auch langlebig sind und ohne giftiges Blei auskommen.“
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