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Portrait

Auf diesen Tag hat sie gewartet

Seit 15 Jahren arbeitet Cinzia Fantinati an ihrem großen Traum – am 12. November könnte er endlich in Erfüllung gehen. Dann soll die Landeeinheit Philae der Rosetta-Mission auf dem Kometen 67P aufsetzen. Es wäre eine Weltpremiere, denn nie zuvor ist auch nur versucht worden, auf einem Kometen zu landen und doch Fantianti ist überzeugt, dass es klappt. Denn sie ist die Frau, die Philae am besten kennt

In Cinzia Fantinatis Jahreskalender sind dieses Jahr viele Tage unterstrichen. Besonders dick markiert ist der 11. November 2014. „Das ist der Tag, an dem wir auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko landen werden“, sagt die 43-jährige Ingenieurin und ihre sanfte Stimme lässt das gewaltige Vorhaben fast normal erscheinen.

Dabei ist die Kometen-Mission Rosetta eine der anspruchsvollsten Unternehmungen der europäischen Raumfahrt überhaupt. Von ihr erhofft sich die internationale Wissenschaftlergemeinde neue Erkenntnisse über die Entstehung unseres Planetensystems und die Entwicklung des Lebens. Die Anfang 2004 gestartete Mission besteht aus einem Flugkörper und einer Landeeinheit namens Philae, die von einem internationalen Konsortium unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und gebaut wurde.

Auf dieses Bild haben die Forscher lange gewartet. Die Oberfläche des Kometen 67P aus nur 100 Kilometern Entfernung. Bild: ESA

Nach mehr als zehnjähriger Reise durchs All ist Rosetta Anfang August am Ziel angekommen. Derzeit schwebt die Sonde hundert Kilometer über 67P, wie der Komet in Fachkreisen genannt wird. Sie hat bereits etliche faszinierende Bilder zur Erde geschickt, aus der kaum vorstellbaren Entfernung von vierhundert Millionen Kilometern. Höhepunkt der Reise soll die Landung von Philae am 11. November sein. Es wäre eine Weltpremiere, denn nie zuvor ist auch nur versucht worden, auf einem Kometen aufzusetzen.
Seit Beginn ihres Berufslebens arbeitet Cinzia Fantinati auf diesen Tag hin. Die Italienerin hatte 1999, schon bald nach Abschluss ihres Informatikstudiums, bei einer Mailänder Firma angeheuert, die den Bohrer für das Rosetta-Landegerät herstellte. Der Bohrer soll Proben aus dem Kometenboden herausfräsen und sie für die Analyse an Ort und Stelle bereitstellen. Fantinatis Aufgabe war es, die dafür erforderlichen Programme zu schreiben – und dabei wuchs ihre Begeisterung für die Raumfahrt. „Ich wollte immer in der Robotik arbeiten“, sagt sie, „und Philae ist ein kleiner Roboter.“

Im Jahr 2004 wechselte die Italienerin nach Köln, um eine Stelle im Lander-Kontrollzentrum des DLR anzutreten. Seit zwei Jahren koordiniert sie dort ein Team von zehn Ingenieuren und Technikern. Zusammen sollen sie Philae sicher aus dem Mutterschiff hinunter auf den Kometenboden bringen und anschließend für einen reibungslosen Betrieb sorgen.

Doch wie ist der Komet beschaffen? Ist der Boden eher hart oder weich? Cinzia Fantinati: „Wir wissen es nicht, wir kommen in eine völlig unbekannte Umgebung.“ Dank der ersten Bilder, die Rosetta zur Erde gefunkt hat, ist immerhin klar, dass die Kometenoberfläche uneben und voller Krater ist. Das erschwert die Landung, denn Philae braucht eine flache Stelle, um sich auf seinen drei Beinen aufrichten zu können. „Und vorher müssen wir es schaffen, ihn mit Harpunen fest im Boden zu verankern“, skizziert die Ingenieurin das anspruchsvolle Manöver.

Das Landegerät der Rosetta-Mission mit Namen Philae - ein High-Tech-Würfel mit einer Kantenlänge von etwa einem Meter - ist bestückt mit zehn wissenschaftlichen Instrumenten. Seine Hauptaufgabe ist die Vor-Ort-Analyse des Kometenmaterials, des wohl ursprünglichsten und ältesten Materials, das es in unserem Sonnensystem gibt. Bild: DLR

Dass sie trotz aller Hindernisse so zuversichtlich ist, hat mit dem Zwilling von Philae zu tun. Gemeint ist ein funktionsidentisches Bodenmodell von Philae im Lander-Zentrum in Köln. Damit spielen Cinzia Fantinati und ihre Kollegen die geplanten Abläufe durch und setzen sie in digitale Befehle um. Derzeit bis zu 14 Stunden am Tag. Die erprobten Kommandosequenzen werden an die Weltraumsonde übermittelt; damit wird Philae Nummer 1 in den nächsten Wochen gefüttert.

Besonders groß ist das Fassungsvermögen des kleinen Roboters allerdings nicht. Gerade einmal sieben Megabyte gehen in den Massenspeicher in seinem kleinen Gehirn: „Mehr war zum Bauzeitpunkt vor 15 Jahren eben nicht drin“, sagt Fantinati. Aber darauf könne man sich einstellen, gute Wissenschaft sei dennoch möglich.

Wenn alles nach Plan verläuft, wird Philae bis ins kommende Frühjahr hinein Atmosphäre und Oberfläche des Kometen untersuchen. Geräte für insgesamt zehn Experimente hat Rosetta an Bord, darunter ein Staubanalysegerät, zwei Massenspektrometer sowie mehrere Kameras. Eine große, auf der Muttersonde montierte Antenne soll die Auswertungsdaten via Radiowellen zur Erde schicken – und zwar binnen einer halben Stunde. „Nach vier, fünf Monaten wird der Lander wohl leider verglühen oder vom Staub ruiniert sein“, sagt Cinzia Fantinati. „Bis dahin wollen wir möglichst viel aus ihm herausholen.“

Bis zum Frühjahr will die Ingenieurin auf Urlaub verzichten. Aber irgendwann geht es nach Italien, wo ihre Eltern, die beiden Geschwister und die Freunde von früher leben. „Alle leiden unter der Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit ist hoch und die Zukunftsangst groß“, sagt Fantinati. Sie wird dann wieder zurückfahren an den geliebten Rhein, zu ihrem deutschen Lebenspartner, den Kollegen und neuen Freunden.

Aber jetzt kommt erst einmal der 11. November. Die Mission ist riskant. Aber wenn die Landung gelingt, wie wird Cinzia Fantinati reagieren? „Zum Feiern bleibt keine Zeit“, so viel weiß sie jetzt schon. Denn hoffentlich wird Philae sofort mit den Messungen beginnen und Daten schicken. Das Kölner Team wird dann im Schichtbetrieb rund um die Uhr arbeiten und Pause machen, wenn auch der Lander seine Batterien aufladen muss. „Das dauert eine Weile“, sagt die Frau, die den Lander am besten kennt. „Und diese Gelegenheit werden wir nutzen, ganz bestimmt.“

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