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Serie: 25 Jahre Mauerfall

"Auf dem Alex redeten wir mit Soldaten"

Johannes Orphal 1989 und heute. Bild: Privat / KIT

Am 4. November 1989 demonstrierte Johannes Orphal auf dem Alexanderplatz. „40 Jahre Angst als System“ stand auf dem selbstgebastelten Plakat. Der Platz war umringt von Wasserwerfern, Panzern und Soldaten. Orphal sprach sie einfach an. Heute denkt der renommierte Klimaforscher mit Erleichterung an den Mauerfall

In unserer Serie zum Mauerfall erzählen Helmholtz-Forscher ihre persönlichen Geschichten:

Im November 1989 öffnete sich für mich mit dem Mauerfall die Tür zur Welt. Ich erinnere mich sehr gut an diese unruhige, aufregende Zeit und meine intensiven Gefühle: Freude, Spannung, Neugier, auch etwas Angst. Hinter dieser Tür herrschte eine Freiheit, die ich nicht kannte; sie war sichtbar in bunten Farben und Werbung, schönen Autos und Gebäuden, unbekannten Gerichten und Produkten, neuen Düften und Gerüchen … Endlich die große Reisefreiheit, die wir so lange ersehnt und gefordert hatten – und der Weg durch diese Tür führte definitiv nie wieder zurück, das war mir klar.

Johannes Orphal im Sommer 1990 in Ostberlin (Große Hamburger Straße). Bild: Privat

Ich war damals 23 Jahre alt, Physikstudent an der Humboldt-Universität in Berlin, aufgewachsen als Pfarrerssohn in der DDR, und natürlich völlig offen für diese unerwartete Veränderung. Es war eine enorme Erleichterung: Ich wusste damals wirklich nicht, was aus mir überhaupt werden könnte in diesem merkwürdigen Land, einerseits mit einer sehr dynamischen Intellektuellen- und Kulturszene, andererseits voller Einschränkungen und Bedrohungen. Auch wenn man es heute manchmal anders darstellt: Partei und Staatssicherheit waren überall sehr präsent und bestimmend. Parallel zur Physik hatte ich daher Wissenschaftsgeschichte und -philosophie studiert, um mir im Falle einer Blockade meiner Laufbahn als Physiker andere Optionen offen zu halten. Vor dem Studium hatte ich schon zwei Jahre lang in einem Rechenzentrum im 4-Schichtbetrieb gearbeitet und wusste, wie ermüdend der Arbeitsalltag in der „Produktion“ war. Das wollte ich nicht mein Leben lang ertragen müssen.

Am 4. November 1989 – nicht einmal einen Monat nach den offiziellen Feiern zum 40. Jahrestag der DDR, während derer Freunde von mir abends von der Polizei gejagt wurden – waren auf dem Alexanderplatz in Berlin hunderttausende Menschen versammelt, um die Regierung zu zwingen, unsere Probleme anzuerkennen. Ich hatte ein riesiges Stoffplakat gemalt, das wir zu zweit trugen: „40 Jahre Angst als Methode“. Es war ein wunderbares Gefühl. Um den Platz herum standen Soldaten mit Gewehren, Wasserwerfer und Panzer. Wir sprachen mit ihnen, sie waren verlegen: sie waren so alt wie wir.

Der bunte Trabbi, mit dem ich 1991 nach Paris fuhr: ein Geschenk von Freunden aus der Ostberliner Künstlerszene. Bild: Privat

Als dann am 9. November die Mauer geöffnet wurde, war ich außerhalb von Berlin – wir erfuhren es erst am Abend aus dem Radio, und beschlossen, gleich früh am nächsten Tag in die Stadt zu fahren. In jener Nacht konnten wir vor Aufregung kaum schlafen. Die Ostberliner Innenstadt glich am Morgen des 10. November einer Geisterstadt: Leere Straßenbahnen (sogar ohne Fahrer) standen in langen Schlangen auf den Gleisen, überall parkten Autos auf den Bürgersteigen, nirgends waren Menschen zu sehen. Der Gang durch die immer noch gesicherten Grenzanlagen an der Chausseestraße (wir mussten unseren Personalausweis vorzeigen und bekamen einen Stempel: ich habe ihn mir bis heute aufgehoben) war eine ungeheure Befreiung. Ich hatte jahrelang nur wenige hundert Meter neben der Mauer gewohnt.

In der Lobby des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität Berlin steht in großen Lettern ein Satz von Karl Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Ich fand den Satz für die DDR schon immer sehr gefährlich, aber offenbar dachten die SED-Ideologen, er bezöge sich nicht auf das Land selbst. Sie meinten ja auch, sie hätten die absolute Wahrheit gefunden – völlig undialektisch.

Heute arbeite ich als Klimaforscher tatsächlich daran, diese Welt zu verändern.

Prof. Dr. Johannes Orphal ist seit 2009 Direktor des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er ist wissenschaftlicher Sprecher des Helmholtz-Programms „Atmosphäre und Klima“ und des KIT-Zentrums „Klima und Umwelt“. Er promovierte 1995 in Orsay (Frankreich) und war von 1999 bis 2009 Forscher des staatlichen französischen Forschungszentrums (CNRS) und Professor an der Université de Paris.
Orphals Geschichte ist der Auftakt zu unserer Online-Serie 25 Mauerfall, in der Helmholtz-Forscher ihre persönlichen Erfahrungen schildern. Am Freitag, dem 31. Oktober erzählt an dieser Stelle Wolfgang Enghardt vom Helmholtz-Zentrum Dresden Rossendorf (HZDR), wie er wenige Tage vor dem Mauerfall Wissenschaftler in Darmstadt besuchte. Damals kaufte er zwar ein Ticket für die Rückfahrt. Aber er wollte es niemals einlösen. Doch dann kam alles anders.

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