Serie: 25 Jahre Mauerfall
"Auf dem Alex redeten wir mit Soldaten"
Am 4. November 1989 demonstrierte Johannes Orphal auf dem Alexanderplatz. „40 Jahre Angst als System“ stand auf dem selbstgebastelten Plakat. Der Platz war umringt von Wasserwerfern, Panzern und Soldaten. Orphal sprach sie einfach an. Heute denkt der renommierte Klimaforscher mit Erleichterung an den Mauerfall
In unserer Serie zum Mauerfall erzählen Helmholtz-Forscher ihre persönlichen Geschichten:
Im November 1989 öffnete sich für mich mit dem Mauerfall die Tür zur Welt. Ich erinnere mich sehr gut an diese unruhige, aufregende Zeit und meine intensiven Gefühle: Freude, Spannung, Neugier, auch etwas Angst. Hinter dieser Tür herrschte eine Freiheit, die ich nicht kannte; sie war sichtbar in bunten Farben und Werbung, schönen Autos und Gebäuden, unbekannten Gerichten und Produkten, neuen Düften und Gerüchen … Endlich die große Reisefreiheit, die wir so lange ersehnt und gefordert hatten – und der Weg durch diese Tür führte definitiv nie wieder zurück, das war mir klar.
Am 4. November 1989 – nicht einmal einen Monat nach den offiziellen Feiern zum 40. Jahrestag der DDR, während derer Freunde von mir abends von der Polizei gejagt wurden – waren auf dem Alexanderplatz in Berlin hunderttausende Menschen versammelt, um die Regierung zu zwingen, unsere Probleme anzuerkennen. Ich hatte ein riesiges Stoffplakat gemalt, das wir zu zweit trugen: „40 Jahre Angst als Methode“. Es war ein wunderbares Gefühl. Um den Platz herum standen Soldaten mit Gewehren, Wasserwerfer und Panzer. Wir sprachen mit ihnen, sie waren verlegen: sie waren so alt wie wir.
In der Lobby des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität Berlin steht in großen Lettern ein Satz von Karl Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Ich fand den Satz für die DDR schon immer sehr gefährlich, aber offenbar dachten die SED-Ideologen, er bezöge sich nicht auf das Land selbst. Sie meinten ja auch, sie hätten die absolute Wahrheit gefunden – völlig undialektisch.
Heute arbeite ich als Klimaforscher tatsächlich daran, diese Welt zu verändern.
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