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Interview

„Auch in Deutschland erkranken noch Menschen an Tuberkulose“

Dr. Berit Lange hat in Freiburg, Spanien, Chile und Peru Medizin und in London Epidemiologie studiert und sich später auf Infektionsepidemiologie spezialisiert. Sie forscht am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und leitet dort kommissarisch die Abteilung Epidemiologie. Am 12. März wird sie als neues Mitglied erstmals an einer Sitzung der STIKO teilnehmen. Bild: Verena Meier / HZI

Die Ärztin und Epidemiologin Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, gerade neu in die STIKO berufen, über frischen Wind in diesem Gremium, Lehren aus der Corona-Pandemie und eine häufig unterschätzte Krankheit.

Herzliche Gratulation zur Berufung in die STIKO! Hatten Sie mit dieser Auszeichnung gerechnet?

Ganz unerwartet kam die Berufung, ehrlich gesagt, nicht. Schon vergangenen Dezember erhielt ich ein Schreiben, ob ich mir eine solche Tätigkeit vorstellen könnte. Ich war also sozusagen vorgewarnt – habe aber natürlich dennoch großen Respekt vor dieser Aufgabe.

Seit wann gibt es dieses Gremium?

Die STIKO wurde 1972 gegründet, vor über einem halben Jahrhundert. Viele Eltern kennen ihre Empfehlungen als Basis für die Frage, welche Schutzimpfungen ihre Kinder erhalten sollen; einige Menschen wurden aber erst vor Kurzem, im Zuge der Corona-Pandemie, auf sie aufmerksam. Die STIKO ist politisch unabhängig, und die Forschenden arbeiten ehrenamtlich für sie. Es gibt in diesem Gremium unterschiedliche Arbeitsgruppen, zum Beispiel die „AG Influenza“ oder die „AG Masern, Mumps, Röteln“; die die einzelnen Empfehlungen vorbereiten. Die Mitglieder bringen sich da entlang ihrer jeweiligen Expertise ein.

Kommt es oft zum Wechsel von Mitgliedern?

Auch in den letzten Berufungsperioden, die jeweils drei Jahre umfassen, gab es immer wieder neue Mitglieder. 2023 wurde die Höchstanzahl von Berufungsperioden nun auf drei begrenzt. Ich persönlich halte das für sinnvoll. Es ist manchmal notwendig auch zusätzliche und neue Expertisen in dieses Gremium hereinholen zu können. Es ist aber natürlich gleichzeitig ungemein wichtig, dass Kontinuität und Effizienz gesichert sind – die STIKO muss jederzeit handlungsfähig sein.

Was ist für eine Berufung entscheidend? Möglichst viele wissenschaftliche Publikationen?

Natürlich spielt die einschlägige wissenschaftliche Arbeit eine Rolle. Aber das Gremium ist sehr interdisziplinär besetzt, um unterschiedliche Fachbereiche abzudecken: Allgemeinärztliche Expertise ist ebenso vertreten wie Fachwissen aus der Virologie, Kindermedizin und Kommunikationswissenschaft. Ich selbst habe an großen Studien und Metaanalysen zur Wirksamkeit und zu Nebenwirkungen von Schutzimpfungen mitgearbeitet und Modellierungen zur Ausbreitung von Infektionen durchgeführt, während meiner Zeit in der klinischen Infektiologie als Ärztin im Krankenhaus aber auch Patient:innen behandelt und geimpft. Ich nehme an, dass diese unterschiedlichen Erfahrungen berücksichtigt wurden.

Woran forschen Sie derzeit am Helmholtz-Zentrum?

In der Abteilung für Epidemiologie erfassen wir durch Modellierung, Evidenzsynthese und epidemiologischen Studien die Dynamik und die Krankheitslast von Infektionskrankheiten. Dann entwickeln und evaluieren wir Maßnahmen und (digitale) Instrumente um diese Krankheitslast zu reduzieren. Beispielsweise führen wir Erkenntnisse aus vielen bereits publizierten Studien anderer Teams zu einem Thema in Metaanalysen zusammen und versuchen gemeinsame Erkenntnisse herauszuarbeiten. Auf dieser Basis unterstützen wir dann die Erstellung von Leitlinien: zum Beispiel zur Prävention von Tuberkulose, die noch immer zu den Infektionskrankheiten gehört, an denen weltweit die meisten Menschen sterben.

Zumindest in Europa ist die Tuberkulose aber weitgehend besiegt, nicht wahr?

Leider nein. In Osteuropa, etwa in Belarus oder der Ukraine, erkranken immer noch viele Menschen an Tuberkulose. Viele Menschen sterben auch in Europa weiterhin an dieser Krankheit, obwohl es sich eigentlich um eine gut behandelbare Infektion handelt. Auch in Deutschland erkranken noch Menschen an der Tuberkulose und häufig dauert es zu lange, bis wir sie diagnostizieren und behandeln.

COVID-19 scheint in diesem Winter kaum mehr Probleme zu bereiten. Erstaunt Sie das?

Nein. Grundsätzlich liegt die Verbreitung von SARS-CoV-2 und Belastung durch COVID-19 im Rahmen dessen, was wir  im Modellierungsnetzwerk für schwere Infektionskrankheiten MONID für die Saison 2023/24 vorhergesagt haben (www.monid.net). Das in jüngerer Zeit nur wenige Patienten mit einer SARS-CoV-2 Infektion ins Krankenhaus mussten, liegt vor allem daran, dass inzwischen sehr viele Menschen durch Impfungen oder Infektionen einen Schutz gegen einen schweren Verlauf erworben haben. Natürlich erkranken aber nach wie vor viele Menschen an Corona, was zu Personalausfällen führt. Viele dieser Menschen erleiden auch Langzeitkomplikationen.

Was kann die Epidemiologie aus der Corona-Pandemie lernen?

Während der Pandemie wurde deutlich, dass uns relevante Forschungsinfrastrukturen der Infektionsepidemiologie fehlten. Wir etablieren diese jetzt. Sie sind sowohl für gute Infektionsforschung als auch als Pandemievorsorge notwendig: insbesondere ein Netzwerk von bevölkerungsbasierten Studien, die schnell die Verbreitung von Keimen erfassen können. Auf diese Weise wird künftig eine noch bessere infektionsepidemiologische Einschätzung unterschiedlicher Infektionen möglich sein. Dafür müssen sie aber natürlich nachhaltig gefördert werden.

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