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Kernphysik

Atomkerne als Taktgeber

Am GSI-Experimentierspeicherring ESR werden die Untersuchungen im Rahmen von HITHOR stattfinden. Bild: J. Hosan, HA Hessen Agentur

Ultrapräzise Kernuhren sind das Ziel der Arbeitsgruppe von Thomas Stöhlker. Für seinen neuen Ansatz erhielt er nun einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates. Damit wollen die Forscher nach neuartigen Phänomenen in der Teilchenphysik suchen.

Sie sollen die Metrologie revolutionieren: Sogenannte Kernuhren nutzen Atomkerne als Zeitgeber – genauer gesagt die extrem stabilen elektromagnetischen Schwingungen, die es benötigt, um einen Atomkern in ein höheres Niveau anzuregen und somit einen Kernübergang zu vollziehen. Davon erhofft man sich eine nochmals deutlich genauere Zeitmessung im Vergleich zu den heute gebräuchlichen Atomuhren. Mit derart genauen Uhren könnte man etwa untersuchen, ob die Naturkonstanten wirklich so konstant sind wie gedacht. Diese und viele weitere Experimente erfordern äußerste Präzision, weshalb die Entwicklung der Messtechnik für die physikalische Forschung entscheidend ist.

Es ist jedoch keineswegs einfach, eine solche Kernuhr zu bauen: Fast alle Kernübergänge liegen bei viel zu hohen Energien und eignen sich deshalb technisch nicht für den Bau einer Uhr. Doch bei einem Isotop des Elements Thorium, dem Thorium-229, gibt es einen Übergang, der im Bereich ultravioletter Strahlung liegt und der mit Hilfe von speziellen Lasern angeregt werden kann. Deshalb arbeiten zahlreiche Forschungsteams weltweit an einer solchen Thorium-Kernuhr.

Thomas Stöhlker, Leiter des Forschungsbereichs Atom-, Quanten- und Fundamentalphysik von GSI/FAIR, zugleich Direktor des Helmholtz-Instituts Jena und Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wurde mit einem „ERC Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) ausgezeichnet. Bild: HI Jena

Einen ganz neuen Zugang hierzu will nun Thomas Stöhlker mit seiner Arbeitsgruppe im Rahmen des Projekts HITHOR („Highly Ionized Trapped 229-Thorium: A New Paradigm Towards a Nuclear Clock“) schaffen. Für dieses Projekt hat er nun einen „ERC Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrates eingeworben. Stöhlker ist Leiter des Forschungsbereichs Atom-, Quanten- und Fundamentalphysik von GSI/FAIR bei Darmstadt, außerdem Direktor des Helmholtz-Instituts Jena und Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er sagt: „Unsere Idee ist es, einzelne hochionisierte Thorium-Ionen in einer elektromagnetischen Falle zu fangen und dort mit Präzisions-Laserspektroskopie zu arbeiten.“ Der Clou liegt darin, dass die Thorium-Ionen bei diesen Experimenten extrem stark ionisiert sein sollen – stärker als bei allen anderen derartigen Versuchen.

„Wir haben am ESR-Ionenspeicherring der GSI einzigartige Möglichkeiten, dank derer wir fast alle Elektronen von den Thorium-Atomen entfernen können“, sagt der Physiker. Dazu beschleunigt die Anlage zunächst Uran-Ionen auf mehr als 85 Prozent Lichtgeschwindigkeit, die bei einer Kernfragmentation – also einer Zerschmetterung aufgrund der hohen Energie – in einem Aluminium-Block zum Teil sowohl zu Thorium-229 umgewandelt werden als auch eines Großteils ihrer Elektronen beraubt werden. Anschließend können gezielt diejenigen Atome herausgefiltert werden, die die gewünschte Anzahl von nur noch einem oder drei Elektronen besitzen. Diese werden dann in den ESR bei rund 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit eingeschossen. Dort kann man die Thorium-Ionen abbremsen und in einer Falle einfangen und speichern, um dort Präzisions-Laserspektroskopie zu betreiben.

„Wenn ein solcher Thorium-Atomkern von nur noch einem Elektron umkreist wird, sprechen wir auch von wasserstoffähnlichem Thorium, denn Wasserstoff als leichtestes Element hat von Natur aus auch nur ein Elektron“, so Stöhlker. Thorium hat allerdings 90 Protonen im Kern – ihm fehlen also 89 Elektronen. Das führt zu einer extrem starken elektromagnetischen Wechselwirkung zwischen Atomkern und Elektron. „Solche ungepaarten Elektronen sorgen für ein gigantisches Magnetfeld am Kern, wodurch sich dessen Energieniveaus verbreitern“, erklärt Stöhlker. Denn normalerweise ist dieser Kernübergang extrem schmal. Das ist einerseits für die hohe Gangtreue verantwortlich, die man sich von Kernuhren erhofft – macht es zugleich aber enorm schwierig, mit diesem Übergang zu arbeiten.

Dank der starken Ionisation verbreitert sich der Kernübergang um mehrere Größenordnungen. „Das hat gleich mehrere angenehme Effekte“, erklärt Stöhlker. Einerseits benötigt man dann nicht einen extrem schmalbandigen Laser, um überhaupt diesen Kernübergang mit hinreichender Intensität anregen zu können. Und andererseits braucht man auch nicht so viele Thorium-Atomkerne. „Ein verbreitetes Konzept zu einer Thorium-Kernuhr sieht vor, die Thorium-Atome in Festkörpern zu fixieren, da man sonst zu wenige Atome hat“, sagt der Wissenschaftler. „Aber in unserem Fall lassen sich die Übergänge viel leichter anregen, sodass wir mit wenigen isolierten Atomen in einer elektromagnetischen Falle arbeiten können.“

Das ermöglicht es, die etablierten Verfahren der Laser-Präzisionsspektroskopie in Ionenfallen einzusetzen und unter anderem die Thorium-Atome mit optischen Methoden auf extrem tiefe Temperaturen herunterzukühlen – tiefer als in einem Festkörper möglich. „Mit einer derartigen Kernuhr ließe sich nicht nur die Zeit hochpräzise messen, sondern man kann damit auch nach neuartigen Phänomenen in der Kern- und Teilchenphysik suchen“, so Stöhlker. Denn es ist immer noch nicht verstanden, warum in unserem Universum die Materie vorherrschend ist und nicht die Antimaterie.

Mit den geplanten Experimenten will das Team neues Licht auf diese Fragen werfen. Dazu plant Stöhlker mit mehreren Postdoc- und Doktorandenstellen, die im Rahmen des Projekts für fünf Jahre finanziert sind. „Aber wir sind auch offen für Bachelor- und Master-Studenten, die mitwirken wollen“, schließt der Forscher. Die Versuche versprechen auf jeden Fall eine einzigartige Symbiose von Kernphysik und Laserspektroskopie und sollen das Tor in eine neue Ära der Metrologie aufstoßen.

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