Fokus@Helmholtz
Assistenzsysteme - Brauchen wir Assistenten in unserem Leben?
Sie helfen uns beim Einparken, finden für uns den Weg, zählen unsere Schritte oder schalten zu Hause das Licht an: In vielen Bereichen des Alltags leben wir ganz selbstverständlich mit Assistenzsystemen. Doch sind sie immer ein Segen oder könnten sie auch zum Fluch werden? Eine Diskussionsrunde der Reihe Fokus@Helmholtz suchte im Telefónica Basecamp nach Antworten.
Die vielen kleinen Helfer unseres Alltags, die wir heute nutzen, dürften wohl erst der Anfang eines technischen Wandels sein, der unsere Welt dramatisch verändern wird. Sprachgesteuerte Systeme, die in unseren Wohnungen, die Musik anschalten; Sensoren, die uns beim Einparken helfen oder Armbänder, die die Zahl unserer Schritte und unseren Kalorienverbrauch messen – all das kennen wir bereits. Doch die Forschung steht nicht still. In der Autoindustrie werden Brems- oder Spurhaltesysteme entwickelt, aber auch selbstfahrende Autos. Hotelroboter bringen Bestellungen direkt an die Zimmertür. Zu den aktuellen Entwicklungen gehören auch lernende Roboter, die sich selbst beibringen, wie man Hindernisse beiseite räumt. Sie arbeiten also nicht einfach nur ein Programm ab, sondern interagieren mit der physischen Welt.
Torsten Kröger vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) präsentierte in seinem Impulsvortrag diese und andere „cutting edge“-Systeme der Gegenwart und der nahen Zukunft. Derzeit befinde man sich in einer Phase des technischen Umbruchs, sagte der Leiter des Instituts für Anthropomatik und Robotik: Modellgestützte Assistenzsysteme, die von Ingenieuren bis ins Detail „von Hand“ entwickelt wurden und lediglich die vorgesehenen Aufgaben erfüllen, würden künftig von datengestützten Systemen abgelöst, die lernfähig seien und sich ständig selbst optimierten.
Doch nicht alles, was technisch umsetzbar ist, trifft auch auf Akzeptanz: „Wenn man will, dass eine bestimmte Technik bei den Menschen ankommt, muss man sich darum kümmern“, sagte Katrin Gerlinger vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Jahrelang habe man zum Beispiel versucht, Ärzte von den Vorteilen von Diagnoseprogrammen zu überzeugen. Damit sei man aber nicht durchgedrungen, weil die Mediziner der Ansicht waren, dass sie die Diagnosen besser stellen könnten als Hilfsprogramme. Dabei gebe es mittlerweile Erkennungssysteme für Hautkrebs, die viel mehr Fälle gespeichert hätten, als ein Mediziner sie in seinem Berufsleben sehen könne.
Geräte, die Herzfehlfunktionen erkennen und diagnostizieren können, aber auch Assistenzsysteme für pflegebedürftige Senioren – viele Ideen junger Unternehmer kämen heute aus dem Bereich der Medizintechnik, sagte René Bohne. Er hat viel damit zu tun,denn er arbeitet für Telefónica NEXT mit Start-ups bei der Optimierung ihrer „Ideen von Morgen“: Mit der IoT-Plattform Geeny können die Start-ups und Unternehmen Produkte für Konsumenten smart machen, so dass sie z.B. Senioren im Alltag unterstützen. Neben den verschiedenen Smarthome-Programmen gehört für ihn auch das Fernsehprogramm zu diesen selbstlernenden Systemen: Er genieße es, abends nach Hause zu kommen, den Fernseher anzuschalten, und nicht mehr durch das Programm zappen zu müssen, erzählte er. Der Fernseher gebe ihm Programmempfehlungen, deren Auswahl auf früher gewählten Sendungen beruht.
Hat man sich bisher also alle „Terminator“ Folgen gesehen, sucht der Fernseher actionreiche Science Fiction-Filme. Doch das ruft die nächste Frage auf den Plan: Besteht so nicht die Gefahr, dass eine „Filterblase“ entsteht, wie man sie aus den Sozialen Medien kennt? „Ich teile diese Kritik“, sagte KIT-Mann Kröger. „Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass man auf diese Weise nichts Neues mehr kennenlernt.“ Wichtig sei deshalb, dass der einzelne Nutzer im Umgang mit diesen Systemen kritisch bleibe und sich aus lauter Bequemlichkeit nicht entmündigen lasse.
Moderator Sven Oswald spitzte diese Frage noch zu: Besteht sogar die Gefahr, dass die Assistenzprogramme uns nicht nur lästige Entscheidungen abnehmen, sondern uns auch langfristig lebensunfähig machen? „Natürlich besteht da ein Risiko“, antwortete Kröger. Deshalb müsse sich die Gesellschaft darauf einstellen. Es sei bisher immer so gewesen, dass mit der Einführung neuer Technologien auch neue Herausforderungen entstanden. „Mit der Einführung der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert fielen zahlreiche Arbeitsplätze weg, dafür entstanden in anderen Bereichen neue. Die Menschen mussten umlernen.“ Heute sei die Situation noch verschärfter. Um von der Entwicklung der Technologie nicht abgehängt zu werden, sei deshalb permanentes Weiterbilden wichtig.
Der Gefahr der „Digitalen Demenz“, also des Verlernens von Fähigkeiten, sah auch Katrin Gerlinger entspannt entgegen: „Vor 150 Jahren gab es viele Menschen, die hervorragend Kopfrechnen konnten. Das braucht heute keiner mehr.“ Die elektronischen Helferlein könnten den Menschen also viele unangenehme Arbeiten abnehmen. Die Gesellschaft müsse darauf jedoch mit einer verstärkten Bildungsanstrengung reagieren. Als die Automatisierung in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zunahm, hat man die Ausrüstung in den Schulen verbessert und auf die veränderten Bedingungen eingestellt. „Das ist heute wieder nötig“, meinte Torsten Kröger.
Doch wie weit sind die neuen Technologien nun im Alltag angekommen? Viele Entwicklungen seien noch Visionen, bedienten aber nicht unbedingt die Bereiche, in denen sie wirklich gebraucht würden, meinte Katrin Gerlinger. So habe sich Deutschland etwa dazu verpflichtet, die Teilhabe behinderter Menschen zu unterstützen. Zu diesem Zweck werde die Entwicklung geeigneter Technik gefördert und auch der Zugang zu den Ergebnissen. „Aber das einzige Hilfsmittel für blinde Fußgänger ist immer noch der weiße Stock.“ Für alltägliche Lebenssituationen fehle es noch oft an Entwicklungen, die betroffenen Menschen das Leben leichter machen könnten. Es gebe zwar viele Forschungsprojekte. Doch nur wenige hätten Marktreife erreicht. Ein besseres Zusammenbringen von Entwicklern und verschiedenen Nutzergruppen sei also dringend geboten.
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