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Mikro-Computertomographie

Ameisen im Synchrotron

Verrgrößerte Darstellung der ausgestorbenen Ur-Ameise in einem Glasblock. Bild: DESY, Marta Mayer

In einem millionen Jahre alten Stück Bernstein haben Forscher:innen eine Ur-Ameise als eigene Gattung und Art identifiziert. Gelungen ist dies mithilfe der Röntgenlichtquelle PETRA III in Hamburg. Die neue Art wurde deshalb nach den beteiligten Forschungszentren benannt.

16 Millionen Jahre musste das †Desyopone hereon-Männchen auf seinen großen Auftritt warten. Vielleicht auch 23 Millionen, aber was macht das schon in einer solchen Zeitrechnung. Entdeckt wurde das Tier in einem Bernstein aus Äthiopien. In einer Gemeinschaftsarbeit haben Wissenschaftler der Universitäten Jena und Rennes, Frankreich sowie vom DESY und dem Helmholtz-Zentrum Hereon die Ameise ins rechte Licht gerückt – und damit gleich ein wenig die Evolutionsgeschichte ihrer Art neu geschrieben. Aber von vorn.

Der Bernstein stammt aus dem einzigen Vorkommen in Afrika, genauer gesagt in Äthiopien, das fossile Insekten in Einschlüssen aufweist. Auf dem Kontinent gibt es grundsätzlich nur sehr wenige Insekten-Fossilien, deswegen war der Fund schon von vornherein von großem wissenschaftlichen Wert für Brendon E. Boudinot. Er arbeitet am Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena und forscht zur Anatomie, Entwicklung, Paläontologie und evolutionären Morphologie von Ameisen und Insekten im Allgemeinen und sagt: „Das Ziel meiner Arbeit ist, die biologische Vielfalt des Lebens über die Entwicklungs- und geologische Zeit hinweg zu dokumentieren, zu systematisieren und zu erklären.“ Seine Liebe zu Ameisen währt schon viele Jahre und nahm ihren Anfang im Hier und Jetzt: „Die Ameisen sind etwas Besonderes für mich, da ich etwa zwei Jahrzehnte damit verbracht habe, sie von ihren ursprünglichen Lebensräumen bis hin zum Labor und in jüngerer Zeit durch ihre fossilen Aufzeichnungen zu verstehen.“ Vom Waldboden ins Synchrotron? „Das µ-CT hat die Art und Weise, wie ich sie sehe, ob lebend oder ausgestorben, völlig verändert.“

Brillantes Licht für Details im Bernstein

Für die neuen Untersuchungen wurde die Lichtquelle PETRA III am DESY (Deutschen Elektronen Synchrotron) verwendet. Wissenschaftlern aus verschiedensten Disziplinen bieten sich hier exzellente Experimentiermöglichkeiten. Schnelle Elektronen werden in der Anlage auf Schlingerbahnen geschickt. Dadurch senden sie stark gebündeltes Röntgenlicht aus. Die Röntgenstrahlen von PETRA III sind bis zu 5000-mal feiner als ein menschliches Haar und erlauben die Untersuchung extrem kleiner Proben– winzige Kristalle aus Eiweißen ebenso wie Nanokristalle, Werkstoffe oder eben Fossilien. Die Ameisenforscher können so einen zerstörungsfreien Einblick in die wertvollen Fossilien erhalten. An der Messstelle, die das Helmholtz-Zentrum Hereon bei PETRA II für die eigene Forschung betreibt ist es möglich mittels Mikro-Computertomographie Bilder für viele verschiedene Winkelpositionen aufzunehmen und so zweidimensionale Schichten oder Schnitte durch das Objekt rekonstruieren zu können. Werden diese Schichten gestapelt, kann die Struktur dreidimensional dargestellt werden, anhand derer die Anatomie genau nachvollzogen werden kann.

Martin Müller, Leiter des Instituts für Werkstoffphysik am Helmholtz-Zentrum Hereon, und Christian Schroer, Leitender Wissenschaftler von DESYs Röntgenquelle PETRA III, nehmen ein Modell der neu identifizierten Ur-Ameise entgegen von Brendon Boudinot, Hauptautor der Veröffentlichung von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, und Ko-Autor Jörg Hammel, Wissenschaftler der Hereon-Messstation an PETRA III, an der die Untersuchungen stattgefunden haben (v.l.n.r.). Bild: DESY, Marta Mayer

Dass der Abermillionen Jahre alte Bernsteinfund – die weitestgehend genau Datierung erfolgte auf Basis von Sporen und Pollen im Harz – etwas Besonderes ist, zeigte sich den Forschern schon im Vorfeld. Viele Wochen, Monate und Jahre wurde vorbereitet und am Bernstein geschliffen, Erkenntnisse verglichen und neue Hypothesen aufgestellt. Untersuchungen mit einem Standard-Lichtmikroskop machten deutlich, dass diese Ameisen höchst ungewöhnlich waren. Es gestaltete sich schwierig, das Tier einer Gattung zuzuordnen. Als die Forscher ihrer Vergleiche mit bekannten Tieren, mit jüngsten Erkenntnissen anderer Studien und den hochaufgelösten 3D-Scans kombinierten, erkannten sie das Erstaunliche: „Dieses Fossil ist kein bekanntes Tier!“, sagt Brendon Boudinot. „Es ist eng mit der kleinen Gattung der unterirdisch lebenden und räuberischen Ameisen Cryptopone verwandt, kann aber nicht in diese eingeordnet werden.“ Die Konsequenz war, das Fossil als neue Gattung und neue Art †Desyopone hereon anzuerkennen, was für die einzelne kleine Ameise ein später Ruhm ist, für die Forschung aber ein wichtiger Schritt: „Wir haben quasi herausgefunden, dass die Standardkriterien für die Identifizierung fossiler Ameisen einer grundlegenden Überarbeitung bedürfen.“

Letztendlich war die Identifizierung der neuen Art und Gattung nur durch die Kombination von umfangreichen Phänotypendaten aus Scans und neueren Erkenntnissen aus Genomanalysen lebender Ameisen möglich. Genomische und phänomische Daten haben das Problem dieses Fossils auf gegenseitige Weise beleuchtet. „Es ist uns klar, dass dies immer häufiger der Fall sein wird, wenn Genomik und Phänomik gemeinsam zur Lösung biologischer Probleme eingesetzt werden“, bekräftigt Brendon Boudinot. „Die µ-CT ist so zum Schlüsselinstrument für die Hypothesenprüfung im 21. Jahrhundert geworden.“

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