Portrait
Algenfarmen für den Klimaschutz
Die Meeresbiologin Mar Fernández Méndez will im großen Stil Aquafarmen der Alge Sargassum aufbauen, die CO2 aus der Atmosphäre binden und damit einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten können.
Am Anfang, an den Sandstränden Galiciens, wäre sie froh gewesen, wenn es keine Algen gäbe. „Die streifen beim Schwimmen immer so an den Beinen entlang“, sagt Mar Fernández Méndez, die heute zu den führenden Algenforschern gehört. Damals war sie noch ein Schulkind aus Madrid, das die langen Sommerferien immer bei der Oma auf dem Land verbrachte, in einem Haus ein paar Schritte entfernt vom Meer. „Wenn ich damals aber die Taucherbrille aufgesetzt habe und die Algen sehen konnte, die mir an den Beinen entlang streifen, war ich fasziniert.“
Den Traumstrand ihrer Kindheit hat die Meeresbiologin mit in den Norden genommen. Ein Foto von der Küste hängt hinter ihrem Schreibtisch am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, gleich daneben eine große Weltkarte. Von Spanien aus in die Welt, diesen Schritt symbolisiert die Pinnwand, und tatsächlich ist Mar Fernández Méndez heute überall auf den Ozeanen unterwegs, um die Geheimnisse der Algen zu lüften, in Norwegen und Mexiko genauso wie in den Polarregionen. Derzeit reist sie von ihrem Bremerhavener Büro aus besonders oft auf die kanarischen Inseln: Dort ist der Sitz eines Start-ups, das aus ihrer Forschung entstanden ist und das schon wenige Monate nach seiner Gründung eine Sonderförderung von der Bundesagentur für Sprunginnovation (SPRIND) erhalten hat.
„Unser Ziel ist es, in Aquafarmen eine Makroalge namens Sargassum zu züchten“, sagt Mar Fernández Méndez. Dichte Teppiche bildet diese schnellwachsende Alge, und bei ihrem Wachstum bindet sie jede Menge CO2. Die Algen sollen im offenen Meer wachsen. Werden sie geerntet, lassen sich aus ihnen Rohstoffe für die chemische Industrie herstellen. MacroCarbon heißt die neu gegründete Firma, die bis zum Jahr 2040 jährlich 100 Millionen Tonnen CO2-Emissionen binden und den Kohlenstoff in Rohstoffe verwandeln will. Zum Vergleich: Der gesamte CO2-Ausstoß in Deutschland betrug 2022 etwa 660 Millionen Tonnen.
„Was hätte ich eigentlich anderes werden sollen als Meeresbiologin“, fragt Mar Fernández Méndez lachend, „wenn ich schon diesen Namen trage?“ Mar, ihr Vorname, ist das spanische Wort für Meer, und vermutlich haben ihre Eltern ihn für ihr erstgeborenes Kind gewählt, weil sie sich einst als Segellehrer an der Küste kennengelernt haben. Mar entschied sich für ein Biologie-Studium, und auf das Meer spezialisierte sie sich in dem Moment, in dem sie erfuhr, dass in den Ozeanen die größte Biodiversität zu finden ist. Zu der Zeit war sie gerade als Erasmus-Studentin in Freiburg, und weil Deutschland ihr so gut gefiel und sie inzwischen fließend Deutsch sprach, suchte sie für ihre Doktorarbeit eine passende Universität mit Meeres-Schwerpunkt. Die Wahl fiel auf Bremen, obwohl ein Professor sie warnte: „Deutschland ist nicht überall so wie in Freiburg“, sagte er, und Mar Fernández Méndez erinnert sich bis heute an seine Worte: „Hier in Bremen zum Beispiel erkennen wir den Sommer daran, dass der Regen warm ist!“
Der Regen in Bremen interessierte sie aber nicht. Warum auch, wenn sie für ihre Forschung an Expeditionen in die ganze Welt teilnehmen konnte? Auch in die Arktis fuhr sie, um zu erforschen, wie sich diese Region verändert und wie Algen die Prozesse beeinflussen. Wo immer es im Meer genug Licht und Nährstoffe gibt, wachsen Algen. Die Makroalge Sargassum, die in wärmeren Regionen zu Hause ist, interessiert sie besonders, denn sie bildet an der Oberfläche große Teppiche, die dann in größte Tiefen hinabsinken. Das CO2 ist damit sicher gebunden – auf ganz natürlichem Weg. Fernández Méndez freundete sich mit Victor Smetacek an, einem emeritierten Professor vom AWI und einem der Pioniere der Ozeanforschung. Gemeinsam entwickelten sie die Idee, das Potenzial der Algen zu nutzen. Es müsste doch gelingen, sagten sie sich, die Algen zu züchten – und weil sie von Natur aus schwimmen, ist dafür nicht einmal eine aufwendige Infrastruktur nötig. Aus den geernteten Algen werden Rohstoffe für die chemische Industrie wie etwa Bio-Naphtha (eine Art Rohbenzin) gewonnen, mit denen sich die bislang aus fossilen Brennstoffen gewonnenen Produkte ersetzen lassen.
Und so wurde aus der Meeresbiologin eine nebenberufliche Unternehmerin: Mar Fernández Méndez gründete zusammen mit dem AWI und den spezialisierten Firmen Carbonwave und Seafields ihr eigenes Unternehmen – die zweite Firma, nachdem sie zuvor bereits im Projekt C-Cause („Chemical Carbon Utilization through Sargassum Economy“) wichtige Mitstreiter von Wissenschaftlern über Start-ups bis zum Chemie-Riesen BASF versammelt hatte. „Mit MacroCarbon sind wir noch in der Experimentierphase“, sagt die Meeresbiologin, die als Geschäftsführerin agiert: Auf einer Ozeanplattform vor den Kanaren wird der Algenanbau in großem Maßstab erprobt. Im Wasser wachsen die Algen und oben auf der Plattform werden sie gleich weiterverarbeitet, so ist das Ziel.
Trotz ihrer Firma in den südlichen Gefilden bleibt Bremen für Mar Fernández Méndez die Heimat: Gerade erst hat sie mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn ein Haus im Norden der Stadt gekauft und hergerichtet. An den Regen, so scheint es, hat sie sich inzwischen gewöhnt.
Neues Start-up entwickelt Algenfarmen zur Züchtung von Makroalgen (AWI)
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