Portrait
3D-Modelle für die Materialforschung
Britta Nestler ist Leiterin der Materialforschung am KIT und an der Hochschule in Karlsruhe. Mithilfe ihrer 3D-Simulationen lässt sich am Computer die Lebensdauer von Materialien, beispielsweise im Flugzeugbau, vorhersagen. Für ihre Forschung erhielt sie den Leibniz-Preis.
Eine gewisse Flexibilität kennzeichnete schon immer den Weg von Britta NestlerFür den Fall, dass es einmal schwierig werden sollte, allein mit Mathematik und Physik eine feste Stelle zu finden, hatte sie neben den beiden Diplom-Studiengängen Pädagogik studiert. „Ich konnte mir damals vorstellen ins Lehramt zu gehen, als Absicherung fürs Leben“, sagt sie. Und auch wenn sie diese Absicherung nicht brauchte, ist ihr dieses pädagogische Zusatzwissen heute nützlich. Sie lehrt und forscht an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft und am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in den Bereichen Informatik, Maschinenbau und Materialwissenschaften. Im Umgang mit Studierenden kann sie ihr pädagogisches Wissen dabei gut anwenden. „Auch bei der Erziehung meiner eigenen vier Kinder kommt mir dieses Hintergrundwissen hin und wieder zugute“, sagt sie.Einmal mit der Welt der Metaller in Kontakt gekommen, galt ihre Faszination den verborgenen Geheimnissen von Mikrostrukturänderungen, Rissen und dem Materialversagen einerseits sowie der Materialoptimierung andererseits. „Ich war vom ersten Moment an total begeistert. Ich bin zu den Aachener Materialforschern gegangen, mit dem festen Entschluss, in meiner Physikdiplomarbeit nichts mit Experimenten oder Computern zu machen.“ Ihre Abneigung gegen Experimente war in gewisser Weise familiär bedingt. Ihre Mutter schreckte als chemisch-technische Assistentin an der RWTH auch im häuslichen Umfeld nicht vor Experimenten zurück. „Ich erinnere mich, dass sie einmal unsere Gardinen in eine selbst gemischte Tinktur eingelegt hat, damit sie besonders weiß werden. Leider waren von den Gardinen später nur noch die Plastikhäkchen und Stege übrig“, sagt sie rückblickend. Im Gießerei-Institut ging es jedoch weniger um die Chemie als um die Physik. Britta Nestlers Aufgabe während ihrer Diplom- und Doktorarbeit war es, mit Hilfe von 3D-Computermodellen den experimentellen Daten der Metallforscher auf den Grund zu gehen. „Ich fand es toll, dass ich in den Werkhallen und am Mikroskop immer willkommen war. Das direkte Zusammenspiel von Simulation und Experiment war und ist für mich sehr eindrucksvoll. Die Problemstellung und Herausforderungen aus realen Werkstoffen und Anwendungen ist es, was mich kontinuierlich bei der Materialmodellierung anspornt“, sagt Nestler. Eine große Freude könnte man ihr mit einigen hochwertigen Drucken von schillernden Mikroskop-Aufnahmen der damals untersuchten Metalllegierungen machen. „Seit Jahren plane ich solche Drucke für meine Büros anfertigen zu lassen. Aber irgendwas kommt immer dazwischen“, sagt sie. Zum Beispiel die Berufung 2001 als jüngste Professorin Deutschlands an die Fakultät für Informatik und Wirtschaftsinformatik der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft. Hier entwickelte sie fortan neue Simulations- und Modellrechnungstechniken, die auf die hohen Rechenkapazitäten von parallel arbeitenden Supercomputern zugeschnitten sind. Durch ihre mathematisch-physikalischen Modelle werden Mikrostrukturen von Materialien aufgedeckt und ihr Verhalten unter extremen mulitphysikalischen Belastungen berechenbar. Ihre Teams wollen herausfinden, wie sich die Struktur eines Werkstoffs während der Herstellung und Weiterverarbeitung, beispielsweise beim Gießen,Walzen oder Schweißen entwickelt. „Bei all diesen Aufgaben hilft mir mein analytisches Denken aus der Physik sowie mein Interesse an den realen Prozessen“„Auch die Mathematik ist dabei unerlässlich, um die Problemstellungen in die Sprache der numerischen Mathemaik zu übersetzen, die dann für Computer in (3D + t) Iterationen übersetzt werden kann“, meint Nestler. Auch die Informatik sei gefragt, um die immer komplexer werdenden Fragen schließlich an einem Hochleistungsrechner lösen zu können. Das sei ein umfassend interdisziplinärer Ansatz. Diese vielfältigen Fähigkeiten haben sicherlich entscheidend dazu beigetragen, dass Britta Nestler das gemacht hat, was man eine steile Karriere nennt. 2006 war sie Gründungsdirektorin des Instituts für Computational Engineering an der Hochschule Karlsruhe. Im gleichen Jahr erhielt sie an der Hochschule Karlsruhe die Berufung eine W3 Position mit besonderen Aufgaben in der Forschung. 2008 gründete sie das Steinbeis-Transferzentrum „Werkstoffsimulation und Prozessoptimierung“, das sie bis heute leitet. Seit 2010 forscht und lehrt Britta Nestler zudem am KIT und ist dort Mitglied der kollegialen Leitung des Instituts für Angewandte Materialien. Besonders stolz ist sie darauf, dass ihre Modelle inzwischen auch in der Industrie eingesetzt werdenIn den vergangenen 20 Jahren stellte sie mit ihrem Team ein umfangreiches modulares Softwarepaket für die Modellierung von Mikrostrukturen unter verschiedenen multiphysikalischen Einflüssen zusammen. Es wurde permanent weiter entwickelt. Als äußerst wichtigen Schritt beschreibt Nestler die Anpassung der Modelle für den Einsatz auf Supercomputern. „Wir vergeben maßgeschneiderte Module aus diesem Paket als Lizenzen. Mit deren Hilfe verbessern Firmen z.B. die Lebensdauer von Bremsscheiben, studieren das Korrosionsverhalten von geometrischen Werkstücken, berechnen die Flüssigkeitspropagation in Biomembranen für die medizinische Diagnostik oder entwickeln neue textile Abstandsgewebe für Solaranlagen“, umreißt Nestler die Bandbreite der Anwendungen. „Die Forschung profitiert, indem wir in 3D-Modellen von Erdstrukturen die Strömungsprozesse in kontaminierten Bodenflächen berechnen oder den optimalen Standort einer Geothermieanlage bestimmen.“Einen großen Vorteil der computergestützten Forschung sieht Nestler auch in der Flexibilität ihres Arbeitsalltags: „Ich kann immer und überall am Computer arbeiten – sei es im Urlaub auf Sylt oder abends wenn alle Kinder im Bett sind.“
Am 4. Juli erhielt Britta Nestler auf der Festveranstaltung bei der DFG-Jahresversammlung in Halle nachträglich den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2017. Die Verleihung des wichtigsten deutschen Forschungspreises war im März ausgesetzt worden,nachdem der DFG äußert kurzfristig vor der Preisverleihung anonyme Hinweise im Zusammenhang mit den Forschungsarbeiten von Britta Nestler bekannt gemacht worden waren. Nach intensiver Prüfung durch die DFG unter Hinzunahme auch externer Gutachter haben sich diese Vorwürfe nun als völlig haltlos erwiesen.
Leser:innenkommentare