Data Science
Mit Daten gegen Diabetes
Martin Hrabĕ de Angelis plant, ein digitales Präventionszentrum aufzubauen. Es könnte die Forschung zur Zuckerkrankheit revolutionieren.
Es geht um ein höchst sensibles Gleichgewicht, zu viel oder zu wenig kann gleichermaßen gefährlich sein. Die Menge an Glukose, auch vereinfachend Zucker genannt, im Blut ist bei der Erkrankung Diabetes aus diesem Gleichgewicht geraten. Das hat weitreichende Folgen: Zu viel Glukose schadet den Gefäßen und zahlreichen Organen, zu wenig Glukose kann zu Bewusstlosigkeit führen. Ein verbreitetes Problem, in Deutschland sind 12 Prozent an Diabetes erkrankt. Warum aber erkranken manche Menschen an Diabetes und andere nicht? Welche Rolle spielen dabei jeweils die Gene, die Ernährung, die Bewegung, andere Erkrankungen und Umweltfaktoren wie Luftschadstoffe? Lässt sich schon in jungen Jahren das Diabetes-Risiko bestimmen und kann man unter Umständen entsprechend vorbeugen? Die Antworten auf diese Fragen, so glaubt Martin Hrabĕ de Angelis, Direktor der gleichnamigen Institute für Experimentelle Genetik am Helmholtz Zentrum München und der Technischen Universität München sowie Vorstand im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung, liegen für die Forschung eigentlich schon bereit. Man müsse sie nur freilegen. Denn noch sind sie vergraben – in den Daten.
Daten sammeln: Von Patienten und Gesunden
Daten von Diabetes-Patienten gibt es mittlerweile en Masse. Da sind beispielsweise die Blutwerte, die heute digital erfasst werden. Genanalysen werden häufiger. Auch unabhängig von den Medizinern sammeln die Patienten heute selbst Informationen. So werden die Ergebnisse der Blutzuckermessungen meist im Detail protokolliert, oft digital. Aber auch die Daten von gesunden Menschen seien von wissenschaftlichem Wert, so Hrabĕ de Angelis: Fitness-Apps, Ernährungspläne, Pulsmesser, so viel wie möglich von dem, was der Trend des Self-Trackings an Daten abwirft, will er heranziehen, um das Phänomen Diabetes Typ 2 (siehe Kasten) besser zu verstehen, lange bevor die Erkrankung entsteht.
Gesammelt und ausgewertet werden sollen die Daten in einem Digitalen Diabetes-Präventionszentrum. Das ist die Vision des Genetikers. "Wir nehmen aus der Bevölkerung die Daten, analysieren sie, und geben etwas zurück: wichtiges Wissen, was den Einzelnen vor Diabetes schützen oder zum Beispiel den Ausbruch von Folgeerkrankungen verhindern kann."
Individuelle Therapie
Voraussetzung dafür ist, Diabetes differenzierter zu betrachten. So kann man heute bereits Diabetes in verschiedene Untergruppen teilen. Unter anderem in diejenigen Patienten, deren Bauchspeicheldrüse nicht genügend Insulin produziert, in diejenigen, deren Diabetes mit Übergewicht assoziiert ist und diejenigen, deren Zellen nur schwach auf die Wirkung von Insulin reagieren. "Wir wollen noch mehr solcher Untergruppen identifizieren und auch herausfinden, welche Untergruppe jeweils welche Eigenschaften aufweist", erklärt der Forscher des Helmholtz Zentrum München. Auf diese Weise lasse sich eine besser zugeschnittene Therapie und Prävention entwickeln. Je kleiner und ausdifferenzierter die Untergruppen werden, desto individueller wird die Therapie. Ein wesentlicher Schritt in Richtung personalisierte Medizin.
Herausforderung Datenschutz
Genau dieser Faktor – das Personalisierte – ist aber auch eine Herausforderung. "Die neue Europäische Datenschutzgrundverordnung setzt hohe Hürden für das Verarbeiten von Gesundheitsdaten. Es wird von jedem, dessen Daten man verwenden will, eine explizite Einwilligung eingeholt werden müssen", sagt Marko Hoffmann, Datenschutzexperte bei TÜV SÜD. Genau aus diesem Grund war Hrabĕ de Angelis gerade in den USA: Bei einem Besuch des Scripps Research Institute in Kalifornien hat er sich darüber informiert, wie die Kollegen Big-Data-Projekte so umsetzen, dass gleichzeitig der Datenschutz gewährt ist und dabei die Daten in einer Qualität erhalten bleiben, dass sie sich umfassend analysieren lassen.
Fest steht schon heute: der Datenschutz wird eine wesentliche Rolle beim Digitalen Diabetespräventionszentrum spielen, das Martin Hrabĕ de Angelis gemeinsam mit Fabian Theis, dem Direktor des Instituts für Computational Biology am Helmholtz Zentrum München sowie der Forschungsgruppen im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung, realisieren möchte.
Obwohl das Digitale Diabetes-Präventionszentrum noch in der Planungsphase ist, zeigt ein kleines Pilotprojekt bereits, welche grundlegenden Erkenntnisse sich die Forscher von der Strategie versprechen. So konnten neue Regulationsebenen von metabolisch relevanten Genen, die im Diabetes eine Rolle spielen, gefunden werden. Auch ist zusammen mit weiteren Kooperationspartnern eine bessere Klassifizierung von diabetischen Retinopathien (Erkrankung der Netzhaut des Auges) mittels "Deeplearning"-Ansätzen gelungen. Solche Erkenntnisse sind nur der erste Schritt der Forschenden. Direkt danach, im zweiten Schritt, dürften von vielen dieser Erkenntnisse auch Patienten und Gesunde profitieren. In Form von neuen, besseren Therapien und individuell-maßgeschneiderten Vorsorgekonzepten.
Typ-2-Diabetes
Neun von zehn Diabetikern sind am Typ-2-Diabetes erkrankt. Der frühere Name "Altersdiabetes" ist längst überholt, denn immer häufiger erkranken auch Kinder und Jugendliche daran. Während beim Typ-1-Diabetes die Insulinproduktion und -ausschüttung nicht mehr funktionieren, sprechen bei Typ-2-Diabetikern die Körperzellen schlechter auf Insulin an. Die Anlage zum Typ-2-Diabetes wird vererbt, doch vor allem Überernährung und Bewegungsmangel haben zur dramatischen Zunahme von Diabetes geführt.
Mehr über Diabetes erfahren Sie beim Diabetes-Informationsdienst (Helmholtz Zentrum München)
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