Interview
Forschen für Therapien nach Maß
Maßgeschneiderte Therapien für Patienten mit Infektionskrankheiten entwickeln – das ist das Ziel des im Dezember 2015 gegründeten Zentrums für individualisierte Infektionsmedizin in Hannover. Wir sprachen mit dem Gründungsdirektor Michael P. Manns.
Ja, selbstverständlich – und das findet ja auch schon allein dann statt, wenn der Arzt prüft, ob Vorerkrankungen bestehen oder Unverträglichkeiten von Medikamenten vorliegen könnten. Dementsprechend entscheidet er dann, wie der Patient behandelt wird. Die heute gängigen Therapien sind allerdings meist auf die breite Masse zugeschnitten. Aber ein Medikament wirkt nicht bei jedem Patienten gleich gut – manch einer bekommt starke Nebenwirkungen, oder die Therapie schlägt überhaupt nicht an. Die individualisierte Medizin bietet passgenauere und wirksamere Therapien, die weiter erforscht und im medizinischen Alltag noch viel stärker zur Anwendung kommen sollten.
Wie kann die Medizin denn individualisierter werden?
Mit den Fortschritten in den so genannten Omics-Technologien wie Genomics, Proteomics oder Metabolomics ist es heute möglich, Patienten mit Hilfe verschiedenster molekularer Analysen sehr viel besser zu charakterisieren – beispielsweise durch Gensequenzierung, der Bestimmung von Proteinen bzw.und Proteinmustern, Stoffwechselprodukten oder Immunparametern – und somit die Wirksamkeit und auch unerwünschte Wirkungen verschiedener Therapiemöglichkeiten vorherzusagen. Im Rahmen großer klinischer Studien werden unter Anwendung bioinformatischer Korrelationen medizinisch wertvolle und aufschlussreiche Daten ermittelt, die bei der Auswahl der Therapie von großem Nutzen sind – um gezielter behandeln und unnötige Therapien und Nebenwirkungen vermeiden zu können. Für den Patienten bedeutet individualisierte Medizin in der Regel nicht mehr als eine Blutabnahme, die ausführliche Diagnostik findet im Labor statt.
In welchen Bereichen wird die individualisierte Medizin heute bereits genutzt?
In der Krebstherapie ist die individualisierte Medizin schon ziemlich weit entwickelt. Heute geht einer Tumorbehandlung oft eine molekular-genetische Analyse der Krebszellen voraus, um den Tumor mit maßgeschneiderten Waffen effektiv bekämpfen zu können. Bei einer zunehmenden Anzahl von Tumoren ist die individualisierte Medizin bereits zum Standard geworden. Im Vergleich dazu steht die Infektionsmedizin erst am Anfang. Doch in verschiedenen Bereichen gibt es auch hier schon Erfolge individualisierter Behandlungsmethoden zu verzeichnen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Eines der wichtigsten Medikamente in der HIV-Therapie führt bei einigen Patienten zu massiven Nebenwirkungen. Verantwortlich ist eine bestimmte genetische Veranlagung, die mit einem hohen Risiko für Nebenwirkungen einhergeht. Vor Therapiebeginn werden daher spezielle genetische Tests durchgeführt, und bei Vorliegen eines erhöhten Risikos für Nebenwirkungen eine alternative Therapie eingeleitet. Das ist mittlerweile Routine und ein Beispiel für bereits angewandte individualisierte Infektionsmedizin. Ein weiteres Beispiel ist die Hepatitis-C-Therapie. Hier wird ebenfalls die Genetik unter die Lupe genommen – jedoch nicht die des Patienten, sondern des Erregers selbst. Je nach Subtyp des Erregers wird die entsprechende wirksame Therapie ausgewählt, und der Patient gezielt behandelt.
Wo liegen die Chancen der individualisierten Infektionsmedizin?
Gerade in der Infektionsmedizin spielen die individuellen Gegebenheiten des Patienten eine bedeutende Rolle. Alter, Vorerkrankungen, Lebensweise, genetische und physiologische Voraussetzungen können den Krankheitsverlauf erheblich beeinflussen. Und auch die Krankheitserreger selbst können hochvariabel sein, sie können harmlosere oder gefährlichere Varianten hervorbringen. Hier gibt es viele Einflussfaktoren, die es im Rahmen einer systematischen Diagnose zu berücksichtigen gilt. Damit ergeben sich aber auch große Chancen, neue maßgeschneiderte Therapieverfahren zu entwickeln, die es ermöglichen, die Patienten individuell und effektiv zu behandeln.
Was werden die Forschungsschwerpunkte am CIIM sein?
Unsere Schwerpunkte leiten wir direkt aus den drängenden infektiologischen Problemen und Fragestellungen im Klinikalltag ab, eng orientiert an den Patientengruppen und Schwerpunkten der MHH. Wir werden die Entwicklung individualisierter Behandlungsansätze im Bereich chronischer Infektionen, immungeschwächter Patienten, aber auch Lungen-, Leber- und Magen-Darm-Infektionen verfolgen. Dabei geht es vor allem darum, Patienten mit erhöhtem Risiko für schwere Krankheitsverläufe oder Komplikationen zu erkennen und eine optimale Therapie zu ermöglichen. Derzeit ist das CIIM noch ein virtuelles Zentrum. In unmittelbarer Nachbarschaft zur MHH und dem TWINCORE, (Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung), soll ein modernes Laborgebäude entstehen, in dem zukünftig Forschergruppen vernetzt werden, die am CIIM kliniknah und somit nahe am Patienten arbeiten.
Was ist Ihre Vision der individualisierten Infektionsmedizin der Zukunft?
Es sollte in Zukunft möglich sein, von jedem Patienten mit einer Infektionskrankheit ein individuelles Profil zu erstellen, auf dessen Basis die bestmögliche Therapie erfolgen kann. Der Weg dorthin wird wohl noch einige Zeit dauern, doch er wird sehr spannend sein und mit Sicherheit auch zahlreiche Etappensiege hervorbringen, die die Entwicklung der individualisierten Infektionsmedizin weiter vorantreiben werden. Und natürlich hoffe ich, dass wir mit unserer Forschung am CIIM Einiges dazu beitragen können.
Leser:innenkommentare