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Grippesaison

"Der Höhepunkt steht noch bevor"

Das Robert-Koch-Institut erfasst die Ausbreitung der Grippe. In die Statistik gehen aber nur die Fälle ein, die durch eine Labordiagnostik bestätigt wurden. Die Dunkelziffer ist demzufolge hoch. Die Abbildung zeigt die Ausbreitung der Grippe der KW 8 und KW9 im Jahr 2012. Bild: RKI

Grippe- und Erkältungskrankheiten greifen wieder um sich. Den Höhepunkt der Erkrankungswelle erwarten Experten erst in den kommenden Wochen. Im Gespräch erklärt Stefanie Castell vom Helmholtz-Zentrum für Infektionskrankheiten, wie es zu dem typischen saisonalen Verlauf kommt.

Stefanie Castell ist Stellvertretende Leiterin der Abteilung für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.

Frau Dr. Castell, wie verläuft die aktuelle Grippe- und Erkältungswelle?

Die Grippesaison hat laut Robert-Koch-Institut (RKI) in der letzten Dezemberwoche 2017 begonnen, mit dem Gipfel ist erfahrungsgemäß im Februar/ März zu rechnen. Generell setzen Grippewellen etwas später ein als die allgemeinen Erkältungswellen. Die Erkältungssaison verläuft ähnlich, tendenziell etwas schwächer als im Vorjahreszeitraum.

Wie kommt es, dass die Grippeviren immer erst in der zweiten Winterhälfte in Deutschland eine Rolle spielen?

Das Grippevirus ist ein globaler Gast und wandert ständig um die Welt. In den Tropen gibt es eine kontinuierliche Grippeaktivität, im Gegensatz zur winterlichen Aktivität auf der Nord- und Südhalbkugel. Möglicherweise benötigt die winterliche "Wiedereinführung" der alten oder neuen Virusvarianten Zeit. Letztendlich ist jedoch gegenwärtig die weltweite Dynamik der Grippeausbreitung noch nicht genau in allen Facetten verstanden.

Grippe, Erkältung, grippaler Infekt - lassen sich diese drei Begriffe klar trennen?

Nur die Grippe wird durch Influenza-Viren ausgelöst. Hinter einer Erkältung oder einem grippalen Infekt können verschiedene Arten von Viren stecken; es handelt sich um zwei Begriffe, die dasselbe meinen. Während sich eine Erkältung meist heranschleicht und sich vielleicht auch nur in einem Schnupfen äußert, beginnt eine Grippe in der Regel schlagartig, man hat meist Fieber und z.B. Kopf- und Gliederschmerzen.

Lässt sich ein Zusammenhang zwischen einem Anstieg der Grippefälle und den Karnevalstagen erkennen, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen?

Dr. med. Stefanie Castell ist Stellvertretende Leiterin der Abteilung für Epidemiologie amHelmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Bild: privat

Mir ist kein wissenschaftlicher Beleg hierfür bekannt. Aber lassen Sie uns zwei Stichproben anhand der Influenza-Meldezahlen des Robert-Koch-Instituts machen. Demnach war 2017 der Gipfel in Kalenderwoche 6, während der Aschermittwoch in Kalenderwoche 9 lag. Im Jahr 2016 war der Aschermittwoch in Kalenderwoche 6, die Grippemeldungen erreichten den höchsten Wert in Kalenderwoche 11. In diesem Beispiel sieht man keinen Zusammenhang. Allerdings muss man davon ausgehen, dass die Influenza-Meldezahlen die Anzahl der Grippeerkrankungen unterschätzen.

Warum?

Es besteht eine Labormeldepflicht, das bedeutet: Wenn ein Labor eine Patientenprobe positiv auf Grippevirus testet, muss es das der Behörde melden. Aber wenn man mit einer Grippe oder starken Erkältung zum Arzt geht, veranlasst der in den seltensten Fällen eine Labordiagnostik. Die Dunkelziffer ist demzufolge sicherlich hoch.

Warum wird nicht näher getestet? Weil es für die Therapie egal ist?

Genau. Das einzig Sinnvolle, was Sie bei Erkältungen und auch bei Grippe machen können: bei deutlichem Krankheitsgefühl Bettruhe einhalten, viel trinken. Die Unterscheidung spielt nur im Vorfeld eine Rolle: Gegen Grippe können Sie vorbeugend impfen, gegen Erkältungen, die nicht durch das Grippevirus ausgelöst werden, dagegen nicht.

Grippeviren verändern sich...

Ja, darum schätzt die Weltgesundheitsorganisation gemeinsam mit einem internationalen Labornetzwerk aufgrund aktueller Daten ab, welche Virusstämme vermutlich in der kommenden Saison überwiegen werden und legt die Zusammensetzung des künftigen Grippeimpfstoffs jedes Jahr aufs Neue entsprechend fest. Und je nachdem, wie gut diese Einschätzung gelingt, ist die Grippeschutzimpfung von Jahr zu Jahr unterschiedlich effektiv.

Wer sollte sich impfen lassen?

Eine Grippeschutzimpfung ist generell nur für Personen über 60 Jahre sinnvoll oder für Menschen, die durch bestimmte Vorerkrankungen - etwa Diabetes - ein erhöhtes Risiko haben.

Es gibt doch aber auch Grippemittel wie Tamiflu - kann mir der Arzt das nicht verschreiben?

Auch das ist leider kein Allheilmittel. Es verkürzt nur die Krankheitsdauer etwas - und das auch nur, wenn es innerhalb von 2 Tagen nach Erkrankungsbeginn eingenommen wird. Ganz wichtig: Auch Antibiotika helfen weder bei Grippe noch bei anderen Erkältungen, da diese Medikamentengruppe nur gegen Bakterien wirksam ist, die bei Erkältungen meist keine Rolle spielen.

Merken denn eigentlich alle, die mit dem Grippevirus infiziert sind, dass sie krank sind?

Es ist nicht einfach, gute Studien zu diesem Thema durchzuführen. Eine Studie des RKI zeigt, dass im Schnitt ca. 14 % derjenigen, bei welchen sich das Grippevirus nachweisen lässt, keine Symptome wie Fieber, Husten oder Halsschmerzen aufweisen.

Sind die Infizierten ohne Symptome denn auch ansteckend?

Eine Ausscheidung des Virus ist bereits vor Beginn von Symptomen möglich. Grippeviren können z.B. auch beim Sprechen freigesetzt werden. Allerdings ist es so, dass mehr Viren ausgeschieden werden, wenn Symptome vorhanden sind.

Wenn neben mir im Bus ein Grippeinfizierter niest - liegt es dann an meinem Immunsystem, wie viele Viren genügen, um mich zu infizieren? Gibt es da generell eine "kritische Masse"?

Das Kritische bei Grippe ist der Übertragungsweg, nämlich die Ansteckung über Tröpfchen oder Viren, die in der Luft schweben. Dadurch kann sich das Virus in einer Bevölkerung sehr gut ausbreiten. Hinter dem Begriff "Grippevirus" verbergen sich verschiedene Subtypen und Stämme, die unterschiedliche biologische Eigenschaften aufweisen und sich über die Zeit verändern, sodass eine einheitliche Aussage schwer zu treffen ist. Die Menge an Viren, die notwendig ist, um Menschen zu infizieren, kann sehr stark schwanken. Tatsächlich spielt auch das eigene Immunsystem eine Rolle, z.B. ob aus Erkrankungen in den Jahren zuvor wirksame Antikörper im Körper vorhanden sind. Grundsätzlich gilt: Auch wenn man gesund ist, keine Grunderkrankung hat, ein junger Mensch ist: Grippe- oder Erkältungsviren können uns alle treffen, davor ist niemand gefeit. Die Erfahrung zeigt, dass ältere Menschen besonders gefährdet sind und der Anteil der schweren Verläufe oder auch Todesfälle bei ihnen am höchsten ist.

Welche Schutzmaßnahmen empfehlen Sie?

Die guten alten Hygienegrundregeln. Erkrankte sollten nicht in die Hand husten oder niesen, sondern in die Ellbogenbeuge. Damit die Krankheitserreger nicht von mit Viren verunreinigten Oberflächen über die Hände übertragen werden, sollten Gesunde, solange sie nicht Hände waschen können, sich nicht ins Gesicht fassen, die Augen reiben, an die Nase oder den Mund greifen. Grundsätzlich gilt: Sich regelmäßig und gründlich die Hände zu waschen, beugt nicht nur Erkältungserkrankungen, sondern auch anderen übertragbaren Krankheiten vor. Die Impfung hatten wir schon angesprochen: Wenn man zur Gruppe derjenigen gehört, für die Empfehlungen von der Ständigen Impfkommission ausgesprochen wurden, gehört die Grippeschutzimpfung mit zu den möglichen Schutzmaßnahmen!

Übrigens finden Interessierte unter diesem Link www.helmholtz-hzi.de/zifco unser Projekt ZIFCO. Das ist der Beitrag des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung zur NAKO Gesundheitsstudie: Teilnehmende der NAKO Gesundheitsstudie, die zusätzlich an ZIFCO teilnehmen möchten, teilen uns per App oder Webanwendung mit, wenn sie erkranken und schicken einen Nasenabstrich ein, den wir virologisch untersuchen. Wir erforschen in diesem Projekt Risikofaktoren für akute Infektionserkrankungen wie z.B. Erkältung und - langfristig - akute Infektionskrankheiten als Risikofaktoren für Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall.

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