P O R T R ÄT Über alle Berge In seiner Freizeit trainiert Wolfgang Wernsdorfer für bis zu 40-stündige Berg- läufe. Bild: Bruno Lavit www ONLINE Mehr Porträts finden Sie hier: www.helmholtz.de/ portraits sich die Labors darum, dass er bei ihnen promo- vierte. Zwei Jahre brauchte er für die Doktorarbeit, danach öffneten sich ihm die nächsten Türen. Er blieb in Frankreich, seine vier Kinder im Alter von 11 bis 20 Jahren wuchsen zweisprachig auf. „Jetzt bin ich zwar wieder fast drei Jahre zurück in Deutschland“, sagt Wernsdorfer und schmunzelt, „aber wenn ich Vorlesungen auf Deutsch halten muss, fällt mir das immer noch schwer.“ Rund zwei Jahrzehnte lang publizierte er auf Englisch und lehrte auf Französisch – „mein Deutsch ist das eines Elektrikers!“ Dabei sind die Themen, über die er spricht, denkbar komplex. Etwa, wenn er erläutert, warum seine Plattform für Quantenspintronik so einzigartig ist: „Es gibt ver- schiedene Möglichkeiten, Qbits zu bauen. Meistens geschieht das derzeit mit Halbleitern oder Supra- leitern. Ich beschäftige mich hingegen auch mit molekularen Systemen.“ Es geht also darum, mit- hilfe welcher Materialien Quanteninformationen verarbeitet werden. Üblicherweise werden dazu bislang Halb- oder Supraleiter eingesetzt. Werns- dorfer hat herausgefunden, dass auch manche Moleküle diese Aufgabe übernehmen können – er erschließt damit eine neue Materialklasse für die Quantenphysik. Das ist ein Durchbruch, für den er damals in seinen durchgearbeiteten Nächten mit dem Eisen-8-Molekül die Grundlage legte. „Ich hoffe, dass die molekularen Systeme irgendwann besser sein werden als die Halbleitersysteme und die supraleitenden Systeme, da Moleküle kleiner sind und sich billiger herstellen lassen.“ Der Kreis von Kollegen, die sich auf dieses Gebiet spezialisiert haben, ist recht klein: Auf fünf gute Gruppen von Physikern schätzt ihn Wolfgang 4 2 Helmholtz Perspektiven 02/2019 Wernsdorfer; im Bereich der Chemie gebe es etwa 40, von denen die Hälfte mit ihm und seinem Team zusammenarbeiten. Seine Reputation in diesem Bereich beweist der jüngste Höhepunkt seiner Kar- riere: In diesem Jahr wurde Wernsdorfer für seine Forschung mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz- Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der mit 2,5 Millionen Euro dotiert ist, ausgezeichnet. Von diesem Olymp der Wissenschaft aus betrachtet: War seine Elektrikerlehre ein Umweg? Zur Antwort deutet Wolfgang Wernsdorfer auf die Wand, auf die er von seinem Schreibtisch aus blickt. Einen riesigen Zollstock hat er dort aufgehängt – „mit dem habe ich als Elektriker gearbeitet, und in Grenoble hatte ich ihn immer im Labor dabei. Die Kollegen fanden das lustig, deshalb haben sie ihn mir zum Abschied in fünffa- cher Vergrößerung aus Holz nachgebaut“, sagt er und lacht. Zehn Meter lang ist das Modell, und es erzählt viel über den Physiker: Zu Wernsdorfers Erfolgsrezepten gehört, dass er seine Laboraus- stattung zu großen Teilen selbst konstruiert und gebaut hat. Das sei ein Überbleibsel aus seiner Zeit als Handwerker: die Fingerfertigkeit, gepaart mit der Intuition, wie etwas aufgebaut sein muss, damit es funktioniert. In jeder freien Minute geht Wernsdorfer die zwei Stockwerke hinunter in sein Labor, um dort zu arbeiten. „Ich will nicht aus der Übung kommen. Mein Ehrgeiz ist es, im Labor besser zu sein als die Studenten.“ Wernsdorfer hält kurz inne, dann fügt er trocken hinzu: „Aber manchmal holen sie einen dann doch ein!“ Immerhin kann er jetzt ab und zu eine Nacht- schicht einlegen, ohne dass seine Frau protestiert. Die nämlich ist mit den Kindern in Grenoble geblieben. „Wenn ich in Karlsruhe bin, arbeite ich hauptsächlich im Labor, und das mit voller Energie“, sagt er, „und wenn ich dann mindestens alle zwei Wochen nach Frankreich fahre, konzent- riere ich mich ganz auf die Familie.“ Und auf sein großes Hobby, den Berglauf. Der große Nachteil an Karlsruhe sei der Mangel an Bergen, sagt Werns- dorfer, und so trainiert er fast nur, wenn er gerade in den Alpen ist. Für den Sommer hat er sich ge- rade wieder einmal zum legendären Berglauf von Grenoble angemeldet. 160 Kilometer am Stück, 11.000 Höhenmeter geht es dabei rauf und runter, Laufzeit etwa 40 Stunden. „Wenn man weiß, was der eigene Körper braucht und wie er funktioniert, kann man sein Erfolgsrezept für den Lauf finden“, sagt Wolfgang Wernsdorfer – im Prinzip sei das genauso wie in der Wissenschaft. Kilian Kirchgeßner