P O R T R ÄT Der Datenjongleur Fabian Theis kommt mithilfe von künstlicher Intelligenz den Geheimnissen menschlicher Zellen auf die Spur. In der Corona-Pandemie konnte er mithelfen zu entschlüsseln, wie die Viren im Körper wirken. Die Isomatte hat er noch nicht weggeräumt, sie liegt ein paar Schritte vom Schreibtisch entfernt auf dem Boden. „Das ist noch ein Überbleibsel vom Urlaub“, sagt Fabian Theis: „Wir sind mit den Kindern entlang der Donau geradelt bis in den Schwarzwald.“ Der Zelturlaub bedeutete ein paar Tage Entschleunigung für den Mathe- matiker und Physiker, der in seiner Forschung üblicherweise ein rasantes Tempo anschlägt: Mit 26 Jahren promovierte er in Physik, ein Jahr später in Informatik, mit 32 Jahren habilitierte er sich und jetzt, mit 44 Jahren, ist er Direktor des Instituts für Computational Biology am Helmholtz Zentrum München und Professor für Biomathe- matik an der TU München. Vielleicht war es angesichts dieses rasanten Tempos auch der Wunsch zu entschleunigen, der ihn dazu gebracht hat, das Wohnhaus für seine Familie ganz aus Holz bauen zu lassen. In Garching steht es, vor den Toren Münchens also und in strategisch günstiger Lage zwischen seinen Aufgaben am Zentrum und der Technischen Universität. „Wir wollten, dass man das Holz auch sieht“, sagt Fabian Theis über die großen Balken, die er mit seiner Frau und den vier Kindern überall im Haus im Blick hat. Das Holz, dieses bodenständige Material, steht ganz im Gegensatz zu dem Hightech-Dreiklang aus künstlicher Intelligenz, Machine- und Deep-Learning-Metho- den, der in seiner Forschung dominiert. In seiner Arbeitsgruppe hat Fabian Theis neben weiteren Informatikern und Physikern auch jede Menge Biologen um sich geschart. Das Team arbeitet in einem hochkomplexen Grenzbereich: Die Forscher sammeln viele Millionen Informa- tionen aus menschlichen Zellen, die sie mithilfe von Algorithmen untersuchen. Wie interagieren die Zellen und was geht bei Krankheiten auf der zellulären Ebene schief? Das Besondere dabei: Diese Untersuchungen werden auf dem Niveau von Einzelzellen durchführt – zuvor wurde bei der Zellanalyse mit Durchschnittswerten von meh- reren Zellen gearbeitet. „Früher hatte man einen Smoothie“, so illustriert Fabian Theis den Unter- schied zwischen beiden Ansätzen, „jetzt sehen wir den Obstsalat, aus dem er gemacht wurde.“ Die Technik, die den ungleich präziseren Blick ermöglicht, nennt sich Einzelzellsequenzierung. Vor rund fünf Jahren haben Forscher es geschaff t, die biologischen Grundlagen von fünf Zellen so detailliert aufzuschlüsseln; heute klappt das wegen verbesserter Technik problemlos mit einer Million Zellen. In jeder von ihnen werden 20.000 Gene analysiert – „ein ganz klarer Fall von Big Data“, sagt Fabian Theis. Eine Nebenwirkung hat diese Arbeit an der Spitze des technisch Möglichen für ihn: Ständig wird er zu Vorträgen eingeladen, in denen er über seine Arbeit erzählen soll – oft vor Wissenschaft- lern, aber auch vor Laien, die sich auf einen Blick hinter die Kulissen der Forschung freuen. Er steht dann auf der Bühne, schlank und hoch aufgeschos- sen, die Haare lockig-zerzaust, und versucht, die abstrakten Begriff e aus der Forschung mit Augen- zwinkern zu erklären. „Big Data“, sagt er zum Beispiel gern, „ist alles, was eine Excel-Tabelle sprengt.“ Ein wenig ist ihm dabei sein bayerischer Zungenschlag anzuhören; er ist in der Oberpfalz aufgewachsen. „Dabei habe ich eigentlich gar keinen starken Dialekt“, fi ndet er selbst – „meine Kinder lachen mich jedenfalls immer aus, wenn ich versuche, ein bayerisches Lied zu singen!“ Jetzt, in der Corona-Zeit, zeigte sich, dass Fabian Theis’ Methoden auch beim Kampf gegen die Pandemie helfen. Denn schon lange ist er an dem internationalen Projekt des „Human Cell Atlas“ beteiligt, in dem alle menschlichen Zellen und Gewebe kartiert werden sollen – und sein Team ist darin ausgerechnet für die Lunge zustän- dig. „Im Februar ist uns klar geworden: Wir haben dadurch eine großartige Basis, um an der Corona- Forschung mitzuwirken“, erzählt Fabian Theis. Seine Arbeitsgruppe untersuchte, warum das Virus nicht alle Menschen gleich triff t – warum 4 0 Helmholtz Perspektiven 02/2020