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Unterschätzter Rohstoff

Von wegen „wie Sand am Meer“

Rohstoff Sand: In John Obey, Sierra Leone, ist der Sandabbau bis heute ein Problem. Im Jahr 2014 erließ Präsident Ernest Bai Koroma eine Anordnung, um den Abbau einzudämmen. Das Ergebnis: Der Betrieb wurde zwei Wochen ausgesetzt und danach im gleichen Maße wie zuvor fortgeführt. Bild: Eimer Peters

Die weltweiten Sandvorkommen werden knapp: Die ungebremste Nachfrage vor allem aus der Bauindustrie gefährdet inzwischen ganze Ökosysteme. Auch die Forschung ist dem unterschätzten Rohstoff auf der Spur.

Sand, wohin man blickt, Millionen Quadratmeter weit, flach oder zu imponierenden Dünen aufgeschichtet: Die gigantischen Sandberge der Sahara sind bis zu 100 Meter hoch, können über eine Million Tonnen Sand in sich versammeln und leuchten gelb, beige, hellgrau, orange. In anderen Regionen der Erde ist Sand schneeweiß, dunkelgrau, gesprenkelt oder auch blutrot – in unzähligen Farbschattierungen, die das bloße Auge kaum erfassen kann, je nachdem, welches Gestein an der Entstehung des Sandes vor Tausenden von Jahren beteiligt war.

Der Sand hat aber nicht nur ästhetische Reize: An den Küsten und am Grund der Ozeane ist er ein Tummelplatz für Tausende Lebewesen. Und er dient als Bollwerk gegen die anbrandenden Wellen, schwächt deren Wucht, schützt so die Küstenbewohner. Doch genau dieses Ökosystem ist vielerorts gefährdet: Der Sand schwindet, er wird in großen Mengen abgebaut. Für Beton, Glas, Computerchips, Papier, Putzmittel, Zahnpasta, Kosmetika und vieles mehr ist er unverzichtbarer Bestandteil. Nach Angaben der Umweltbehörde der Vereinten Nationen wird mit Ausnahme von Wasser keine andere Ressource in so großen Mengen verbraucht. „Sand, rarer than one thinks“ hat die Behörde deshalb 2014 ein Dossier überschrieben. Wegen der gewaltigen Nachfrage sind in den vergangenen Jahren die Kosten für Sand explosionsartig gestiegen – und er ist zum Forschungsobjekt für Wissenschaftler geworden, die nach Alternativen suchen.

<b>Sandfresser</b> Die Saugrüssel der Baggerschiffe wirbeln das Sediment und seine Bewohner auf. Bild: GEOMAR

„Sand ist der unbekannte Held unserer Zeit“, sagt der britische Geologe Michael Welland von der University of Nottingham: Keine Wolkenkratzer aus Stahlbeton, keine Straßen wären ohne Sand denkbar. 15 Milliarden Tonnen werden jährlich weltweit aus der Natur abgebaut, an Land und am oder im Meer. Der Meeressand eignet sich zum Beispiel sehr gut für die Herstellung von Beton, weil Zement optimal an die oft unregelmäßig geformten, eher eckigen Körner anhaften kann. Für den Abbau kommen riesige schwimmende Saugbagger zum Einsatz, deren Rüssel bis zu 150 Meter in die Tiefe reichen. Wüstensand, der besser verfügbar wäre, eignet sich wegen seiner glatten, runden Körnerform für viele Einsatzgebiete nicht, sodass Sand aus dem Meer verwendet wird, wenn keine anderen Sand- und Kieslagerstätten verfügbar sind.
In Saudi Arabien stirbt ein ganzes Korallenriff ab; in anderen Regionen ersticken Algen und Seegräser
Die Folgen des Abbaus für die Ökosysteme sind oft verheerend: Die Saugrüssel wirbeln das Sediment mitsamt seiner Bewohner auf und hinterlassen Löcher im Meeresgrund. Und die Ozeane reagieren empfindlich auf Veränderungen: Von der Wasseroberfläche bis hinein ins Sediment stören die Bagger eine komplexe Abfolge von Schichten.

„Schon der Vorgang des Sandabsaugens stellt einen Störfaktor dar: Sandstaubfahnen verbreiten sich kilometerweit um die Abbaustelle, das Sediment lagert sich an anderer Stelle wieder ab, wo es eigentlich gar nicht hingehört und wo es die dortige Sedimentzusammensetzung verändert oder die dort lebenden Bodenorganismen begräbt“, sagt Martin Wahl. Er ist Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und Mitglied des dort angesiedelten Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“. In Saudi-Arabien beobachtete Wahl, wie ein komplettes Riff abstirbt, weil durch den Sandabbau fremdes Sediment die Korallen bedeckt. In anderen Regionen werden Algen und Seegräser mit Sand bedeckt und ersticken. In seinem Forschungsgebiet, der Meeresökologie, beschäftigt sich Wahl auch mit Stressfaktoren im Ökosystem. „Algen und Seegräser sind essenziell für die Ozeanhygiene. Sie binden Kohlendioxid (CO2) und produzieren Sauerstoff. Wird eine Fläche von zehn Quadratmetern abgesaugt, ist das noch kein Problem – sind es aber zehn Quadratkilometer, wird es zum großen Problem.“

Wenn Strände leergebaggert werden, kann kein Sand zurück ins Meer gespült werden; eine Regeneration ist kaum noch möglich

Tiere, die am Meeresboden leben – Schnecken, Würmer, Stachelhäuter oder kleine Krebse – beziehen ihre Nahrung aus den oberen lichtdurchfluteten Schichten des Meeres. Diese sogenannte bentho-pelagische Kopplung – die Aufnahme und Abgabe von Nährstoffen an der Grenze von Sediment und Wasser – ist ein wichtiger Prozess im globalen Kohlenstoffkreislauf. Denn auf diese Weise wird das an der Meeresoberfläche durch Photosynthese gebundene CO2 in die Sedimente am Meeresboden transportiert. Verschlechtern sich die Lebensbedingungen für die Tiere im Sediment, wandern sie ab. Das löst eine Kettenreaktion aus: „Weil die kleineren Lebewesen die Nahrung für größere Fische bilden, wandern diese ebenfalls aus dem Gebiet ab. Und so weiter. Am Ende der Kette stehen die Fischer, die in ihren angestammten Gebieten nichts mehr fangen“, sagt Wahl.

<b>Sandabbau begräbt Korallen</b> Das Bild links zeigt ein Riff, auf dem sich durch Sandabbau aufgewirbeltes Sediment abgelagert und die Korallen unter sich begraben hat. Zum Vergleich rechts ein intaktes Korallenriff. Bild links: Christian Lieberum/GEOMAR; Bild rechts: picture alliance/Borut Furlan

Wahls Kollege Klaus Schwarzer, Geologe an der Universität Kiel, beschäftigt sich mit den langfristigen Folgen des Sandabbaus. „Jede Küstenregion regeneriert sich unterschiedlich schnell oder auch gar nicht – es gibt keine Gesetzmäßigkeiten“, sagt er. Wenn beispielsweise Strände für die Herstellung von Beton leergebaggert werden und dort das blanke Gestein zurückbleibt – wie etwa in Marokko geschehen –, kann kein Sand vom Strand ins Meer nachgespült werden, eine Regeneration ist dann kaum möglich. Schwarzer hat in der Andaman-See vor Thailand im Rahmen eines Tsunami-Projektes regelrechte Mondlandschaften unter Wasser gesehen: „Da war kaum noch Leben.“ Dort war kein Sand, sondern das Mineral Kassiterit massenhaft abgebaut worden, das für die Zinnproduktion benötigt wird. In den Kratern hatte sich ein sauerstoffarmes Milieu gebildet. Ähnliches kann in großen, tiefen Sandaushublöchern geschehen.

Auch in der Ost- und in der Nordsee hat Klaus Schwarzer im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte vor ein paar Jahren Aushublöcher untersucht. „Vor dem Fischland an der vorpommerschen Ostseeküste kam es zu einer relativ schnellen Regeneration; im Tromper Wiek vor Rügen waren dagegen auch nach 15 Jahren noch Spuren des Aushubs aus DDR-Zeiten zu sehen.“ Und in der Nordsee vor Sylt dauert es offenbar noch länger – „in den Löchern, aus denen man Sand für Aufschüttungen abgesaugt hatte, war nach mehreren Jahren so gut wie keine Regeneration zu beobachten“, sagt Schwarzer.

Etwa die Hälfte des von Flüssen geführten Sandnachschubs erreicht durch Stauseen und Begradigungen nie das Meer

„Es ist ein gefährlicher Irrtum zu glauben, Sand sei eine schnell nachwachsende Ressource. Das ist er nicht“, warnt der Geologe Kay-Christian Emeis, Institutsleiter am Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Zentrum für Material- und Küstenforschung. „Sand ist im Grunde nichts Anderes als ein Zerkleinerungsprodukt von geologisch älteren Gesteinen, das durch Erosion entsteht. Doch dieser Prozess dauert eben Zehntausende von Jahren“, erläutert Emeis. „Sand wird von Gletschern zermahlen und über Flüsse in unsere Tiefebenen, an die Küsten und ins Meer transportiert. Durch physikalische Einwirkungen – die Energie des fließenden Wassers, die Reibung am Untergrund im Flussbett – erhält der Sand seine typische Korngröße und Form.“

Das Verschwinden des Sandes und das Schrumpfen der Strände hängen nicht nur mit den Baggern und Sandsaugern zusammen, sondern auch mit künstlichen Eingriffen in die Natur, sagt Emeis. Staudämme beispielsweise, die den Sand auf dem Weg zum Meer abfangen, oder auch Flussbegradigungen und Betonmauern, die als Schutzwälle vor Küsten gebaut werden, beeinflussen den natürlichen Sandtransport. Etwa 50 Prozent des Sandnachschubs, der in Flüssen geführt wird, erreicht deshalb nach Expertenschätzungen nicht das Meer.

<b>Auf Sand gebaut</b> Für die künstlichen Inselwelten „The Palm Jebel Ali“ in Dubai ließ der Emir 450 Millionen Tonnen Sand aufschütten, der aus Australien importiert wurde. Bild:picture alliance/ ZB/euroluftbild.de

In reichen Ölstaaten wie Dubai bildet Sand wortwörtlich das Fundament: Die künstlichen Inselwelten "The Palm Jebel Ali", die der Emir von Dubai vor seiner Küste kreieren ließ, sind mit 450 Millionen Tonnen Sand aufgeschüttet worden - auch das nicht aus Wüstensand, weil er zu schnell wieder verwehen würde. Dubai importiert den Sand deshalb aus Australien. Dort, im Nordosten an der Küste vor Brisbane, ist die vermutlich weltweit größte Abbaustelle für marinen Sand. Fünf Milliarden Dollar verdient Australien pro Jahr mit dem Sandexport. Doch vor allem der wilde Sandabbau ist ein Problem. Längst ist Sand zum Objekt krimineller Machenschaften geworden, hauptsächlich in Regionen der Erde, die früher nicht wie Deutschland von Gletschern bedeckt waren. Sie verfügen deshalb nicht über große Sand- und Kieslagerstätten landeinwärts, aus denen sie Bausand schöpfen könnten. Das zeigte der französische Filmemacher Denis Delestrac 2013 in seiner Dokumentation "Sand - Die neue Umweltzeitbombe". Sein Film bewegte die Umweltbehörde der Vereinten Nationen letztlich dazu, das Verschwinden des Sandes auf ihre Agenda zu setzen. Zum massenhaften Sandabbau gibt es Alternativen, zum Beispiel das Recycling von Bauschutt.

Während in der EU strenge Gesetze den Sandabbau reglementieren und beispielsweise in Deutschland und den Niederlanden Sand aus dem Meer fast ausschließlich für Aufspülungen, also für die Rückgewinnung oder für Küstenschutzmaßnahmen verwendet wird, schert sich in Schwellen- und Entwicklungsländern wie Marokko, Thailand, Indien oder Indonesien kaum jemand um Verbote. Häufig zählt nur, dass reiche Nachbarstaaten wie die Arabischen Emirate oder Singapur bereit sind, enorme Summen für etwas zu zahlen, das kostenlos an den eigenen Stränden herumliegt. Die Folgen sind gravierend: In Indonesien etwa sind durch die Erosion bereits zwei Dutzend Inseln versunken. Was der Klimawandel dort noch nicht geschafft hat, schaffen die Sandsauger. Menschen verlieren ihre Heimat und ihre Existenzgrundlage. "Und der Teufelskreis des Sandverbrauchs setzt sich fort, wenn Tausende heimatlos gewordene Inselbewohner sich auf einer anderen Insel niederlassen und dort neue Häuser gebaut werden müssen, um sie unterzubringen", sagt Kay-Christian Emeis.

Zum massenhaften Sandabbau gäbe es Alternativen, zum Beispiel Bauschuttrecycling. In Deutschland werden bis zu 90 Prozent des Abbruchmaterials wiederverwendet. Doch die Weiterbehandlung des Bauschutts kostet Geld. Und solange Sand noch billiger und einfacher zu haben ist, als Bauschutt zu recyceln, wird sich diese Alternative kaum durchsetzen.

"Die Welt sehen in einem Körnchen Sand" - Bundesverbands Deutscher Geowissenschaftler

"Bau­schutt kann leicht wie­der­ver­wer­tet wer­den" - Gespräch mit dem Baustoffexperten Dietmar Stephan über Alternativen zum ungehemmten Sandabbau und zu den Grenzen des Recyclings.

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