Weltmeere
Dramatischer Appell zum Schutz der Meere
Im Jahr 2050 könnte mehr Plastikmüll im Meer schwimmen als Fisch. Auf der ersten UN-Konferenz zum Zustand der Meere fordert Generalsekretär Guterres die Staaten zum Handeln auf.
Eine Schildkröte, hoffnungslos verheddert in den Resten eines Fischernetzes; Seevögel, mit vollem Magen verhungert: Sucht man im Internet nach Bildern zum Stichwort „Meeresmüll“, findet man die hässliche Seite des globalen Konsumverhaltens. Unmengen an Plastikmüll häufen sich zu einem immer größeren Problem für Mensch und Umwelt an.
Herkömmliche Kunststoffe verrotten kaum, sondern verbleiben über einen sehr langen Zeitraum in der Umwelt. So schwimmt zum Beispiel eine Einweg-Plastikflasche bis zu 450 Jahre lang im Meer, wie eine Statistik des Umweltbundesamtes zeigt. Bestenfalls Witterung und Abrieb vermögen, das Material langsam zu zersetzen . Doch damit ist das Problem nicht gelöst. Was dann entsteht, wird Mikro-, beziehungsweise ab einem Durchmesser von weniger als 100 Nanometer, Nanoplastik genannt. Diese winzigen Plastikteilchen finden sich im Sand an Stränden und im freien Wasser – mit bisher unklarer Auswirkung auf Natur und Mensch.
Die unzähligen Tonnen von Plastikmüll sind jedoch nicht das einzige Problem der Ozeane. Der Kohlendioxid-Gehalt (CO2) der Atmosphäre steigt. Die Meere speichern CO2 als Kohlensäure, wodurch sie immer mehr versauern. Das wird gerade für säureempfindliche Lebewesen, wie die Korallen mit ihrem Kalkskelett, zur Gefahr - und mit Ihnen für ganze Ökosysteme. Auch die Überfischung ist vielerorts existenzbedrohend.
Die erste UN-Konferenz zum Schutz der Meere eröffnete Generalsekretär Antonio Guterres am Montag deshalb mit einem dringenden Appell an die Staatengemeinschaft. Eine langfristige globale Katastrophe könne nur verhindert werden, wenn die Staaten kurzfristige nationale Gewinne zurückstellten. Bis zum Freitag beraten Regierungsvertreter und Umweltschützer darüber, wie die Meere geschützt werden können. Der 8. Juni ist von nun an der von den UN ausgerufene „Welttag der Meere“.
Guterres rechnete hoch, dass im Jahr 2050 mehr Plastikmüll als Fisch in den Ozeanen schwimmt, wenn es so weiter geht wie bisher. Die Menge des Mülls abzuschätzen ist dabei gar nicht so einfach. „Vom meisten Müll, der in die Meere gelangt, wissen wir aktuell aber überhaupt nicht, wo er ist“, erklärt Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Der Biologe hat gemeinsam mit seinen Kolleginnen Mine B. Tekman und Melanie Bergmann das Portal „Litterbase“ ins Leben gerufen, in dem die Erkenntnisse aus 1309 wissenschaftlichen Studien zusammengetragen sind.
Während in der Nordsee 70 Prozent des aus Schleppnetzen geborgenen Unrats seinen Ursprung in Fischerei und Schifffahrt hat, kommt global gesehen der größte Teil des Meeresmülls vom Land. Ein Verbreitungsschwerpunkt liegt im Pazifik. Im südostasiatischen Raum, aber auch andernorts auf der Welt, übersteigen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum die Kapazitäten der Transport- und Entsorgungsinfrastruktur bei Weitem. Dadurch gelangt Abfall unkontrolliert in die Umwelt, Wind verdriftet ihn, über die Flüsse gelangt er ins Meer. Entlang der Strömungsäste und in der Nähe von Strudeln kommt es dann zu regelrechten „Müllinseln“ im freien Wasser.
Jenna Jambeck von der University of Georgia und ihr Team haben berechnet, dass jährlich zwischen fünf und 13 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Ozeane gelangen. Laut Forscher Mark Lenz vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozenanforschung in Kiel sind aber nur rund 250 000 Tonnen an der Oberfläche sichtbar. Wohin „verschwindet“ der Rest? Ein Großteil sinkt höchstwahrscheinlich auf den Meeresgrund ab, vermuten die Forscher. Dort wird er mit der Zeit von Sediment bedeckt und wartet darauf, von zukünftigen Generationen als bizarre Fossilien geborgen zu werden.
Völlig unklar ist bisher, welche Bedeutung die Verschmutzung für die Lebensräume im Meer hat. Dass sich Tiere mit Seil- und Netzstücken strangulieren, Plastikfolie an ihre Jungen verfüttern und in schwimmenden Tüten stecken bleiben, ist das eine. Ob sich das aber auf die Bestände der jeweiligen Arten auswirkt, ist nicht untersucht. Noch schwieriger wird die Situation beim Mikro- und Nanoplastik. Diese Teilchen werden zum Beispiel von Muscheln und Kleinkrebsen aus dem Wasser gefiltert und blockieren deren Verdauungsorgane. Werden die Tiere dann von anderen gefressen, wandert das Plastik Stufe für Stufe die Nahrungskette hinauf - bis zum Menschen.
Nanoplastik hat sogar das Potenzial, in Körperzellen einzudringen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das keinen Effekt auf das Ökosystem hat", sagt der Biologe Lars Gutow. Aber wissenschaftliche Daten gibt es dazu nicht, zumal der Müll neben Klimawandel, Überfischung und Erwärmung nur einer von vielen Stressoren ist, mit denen die Organismen zurechtkommen müssen. Die Auswirkungen der Fremdkörper im Meer auf Lebensraum und Mensch werden sich erst mit der Zeit herauskristallisieren.
Was also tun? Es gibt eine Reihe von Initiativen, die versuchen, den Müll wieder aus dem Meer zu holen, aber Lars Gutow ist skeptisch: Um die Belastung spürbar zu reduzieren, müsse man mit schwerem Gerät auf Müllfang gehen, erklärt er. Das richte nur zusätzlichen Schaden an. Und an die kleinsten Plastikteilchen komme man ohnehin nicht mehr heran. "Noch ist der Zustand der Meere nicht fatal", so die Einschätzung des Biologen. "Die oberste Priorität ist darum, den Eintrag von Müll in die Meere zu reduzieren!" Allein über Regulierung wird das aber nicht gelingen. Der Schlüssel, da ist Lars Gutow überzeugt, liegt darin, das Recycling zu verbessern und dem Müll als Rohstoff einen Wert zu geben. "Wir brauchen einen Markt für den Müll, dann hat niemand mehr ein Interesse daran, ihn ins Meer zu werfen."
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