Porträt
Über die Berge aufs Meereis
Er war der Expeditionsleiter der Mittwinter-Königsetappe der MOSAiC-Expedition und konnte selbst drei Monaten Dunkelheit etwas abgewinnen: Der Geophysiker Christian Haas liebt es, in den entferntesten Ecken der Welt das Meereis zu studieren – doch genauso liebt er die Berge. Als Bergsteiger hat er fast alle großen Gipfel der Alpen erobert.
Schnee und Eis sind die große Leidenschaft von Christian Haas. Besonders das Meereis hat es ihm angetan, doch dafür musste er zunächst hoch hinaus. „Ich habe als Bergsteiger angefangen“, erzählt der Eisforscher, der die MOSAiC-Expedition an Bord der „Polarstern“ über die dunklen Monate leitete. „Ich liebte schon immer Schnee und Eis und habe deswegen Geophysik studiert. Mein großer Traum war es immer, in die Antarktis zu kommen, dafür habe ich alles gegeben.“
Zunächst ging es für Christian Haas vor fast 30 Jahren aber in die Arktis – mit der „Polarstern“! Noch im Studium heuerte er dafür beim Alfred-Wegener-Institut (AWI) an. Er war an Bord, als das deutsche Forschungsschiff 1991 als erstes konventionelles, nicht-atomar betriebenes Schiff den Nordpol erreichte. Im Jahr darauf erfüllte sich sein Traum und er betrat die Antarktis. Seitdem konnte er jedes Jahr seine Füße auf Meereis stellen, stets unter dem Deckmantel seines Hauptforschungsinteresses: der Rolle des arktischen und antarktischen Meereises für das Klima und das Ökosystem sowie seiner Nutzung durch die Menschen.
Im Studium der Geophysik beschäftigte sich Christian Haas mit der Untersuchung oberflächennaher Schichten. „Ich habe festgestellt, dass sich die dabei gemachten Erfahrungen gut auf Untersuchungen des Meereises übertragen lassen“, sagt er. „Meine Spezialität sind großflächige systematische Eisdickenmessungen, und das machen wir mit einem geophysikalischen Verfahren.“ Das sogenannte elektromagnetische Induktionsverfahren wird für die Rohstoffexplorationen an Land schon lange verwendet. Doch erst unter der Federführung von Haas wurde es in der Meereisforschung als gängiges Verfahren etabliert. Der Geophysiker leistete außerdem Pionierarbeit bei der Identifizierung der Auswirkungen von sommerlichen Schneeprozessen auf die Massenbilanz, die Mikrowelleneigenschaften und die biologische Primärproduktivität des antarktischen Meereises. Mehr als 30 Feldkampagnen in der Arktis und zwölf Forschungsprojekte in der Antarktis standen bislang unter seiner Leitung.
Christian Haas arbeitete von 1996 bis 2007 für das AWI, bevor er für neun Jahre nach Kanada an die University of Alberta und an die York University in Toronto ging. „Mir schien es naheliegend, für die Meereisforschung in ein Land zu gehen, dass selbst über Meereis verfügt“, begründet er die Entscheidung, mit seiner Frau und den drei Kindern einen so großen Schritt zu wagen. „Allerdings musste ich feststellen, dass die Forschung der Kanadier sehr nach innen gerichtet ist und stark unter kanadischer Perspektive steht. Das ist zwar auch sehr interessant, aber die globalen Probleme spielen keine große Rolle und werden sehr selten bearbeitet.“
Schon von Kanada aus begann er, sich an den Planungen für die MOSAiC-Expedition zu beteiligen. Schnell wurde ihm aber klar, dass eine Teilnahme unter kanadischer Flagge nicht realistisch ist, weil die Fragestellung, unter der seine Forschung stehen würde, derjenigen am AWI selbst zu ähnlich gewesen wäre. „Dass es meine Familie nach Deutschland zurückzog, war also ein glücklicher Zufall.“ Zurück am AWI übernahm er 2016 die Leitung der Meereis-Sektion und koordiniert nun ein Team aus 30 Personen – eine Aufgabe, zu der auch gute Kommunikation und Menschenkenntnis gehören. Das liegt ihm und hat ihn prädestiniert für die Leitung der dunklen Etappe.
Ab Mitte Dezember 2019 hatte Christian Haas auf der „Polarstern“ für fast drei Monate das wissenschaftliche Sagen und übernahm die Gesamtverantwortung für die ganze Expedition. Eine Zeit, in der die Sonne niemals aufging. In der es wichtig war, zusammenzuhalten, auszuhalten, das internationale Team zusammenzuschweißen. Weihnachten, Silvester feiern, fern der Familien und bei mitunter gefühlten -60 Grad Celsius. „Der Mittwinter stand uns allen bevor, keiner wusste, wie er oder sie darauf reagiert. Drei Monate in der Polarnacht – das macht was mit einem“, bemerkt er. „Aber wir sind alle gut zurechtgekommen, was an der strikten Arbeit lag, an der guten Versorgung und an den Freizeitmöglichkeiten an Bord, aber auch an der guten Gemeinschaft mit internationalen Kollegen.“ Als endlich die Dämmerung begann, als die Sonne langsam immer höher unter den Horizont kam, war das Team erleichtert und fasziniert. „Da hatte man richtig das Gefühl, dass die Erde eine Kugel ist, denn das fahle Licht geht ringsum. Die nautische Dämmerung war für mich einer der beeindruckendsten Momente der Fahrt.“
Aus seiner langjährigen Erfahrung weiß Christian Haas genau, dass das Meereis ein wichtiger Indikator für den Klimawandel ist. „Als ich meine ersten Schritte auf Meereis machte, betrug die Dicke noch zwei bis drei Meter, heute sind es im Sommer kaum noch 90 Zentimeter“, erzählt Haas. „Die Arktis ist das Epizentrum des globalen Klimawandels.“ Wie sich die Klimaveränderungen auf den Bergen zeigt, beobachtet Christian Haas weiterhin. Er unterrichtet einen Gletscher-Feldkurs im Ötztal in Tirol und hat auch privat das Bergsteigen niemals aufgegeben. Mittlerweile hat er fast alle großen Berge der Alpen bestiegen. Einzig der Gipfel der Monte Rosa, dem höchsten Berg der Schweiz, blieb ihm bislang trotz zweier Versuche wegen Lawinengefahr verwehrt. „Aber ich werde es weiter versuchen“, bekräftigt er.
Helmholtz-Jahrestagung
Am 12.10.2020 von 14:00 bis 16:00 Uhr findet die Helmholtz-Jahrestagung statt. Dieses Jahr virtuell, an drei Standorten und offen für alle. Ein Höhepunkt wird die Rückkehr der „Polarstern“ aus der Arktis sein. Auch Christian Haas ist unser Gast. Er spricht mit dem Bergsteiger Reinhold Messner über den Klimawandel und Grenzerfahrungen. Weitere Informationen und das vollständige Programm finden Sie hinter dem folgenden Link:
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