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Datierung

Tickt die Radiokarbon-Uhr noch ganz richtig?

Foto: Zubro (CC BY-SA 3.0)

Auf ihre Verlässlichkeit bauen wissenschaftliche Weltbilder. Mit der Radiokarbonmethode bestimmen Forscher das Alter von kohlenstoffhaltigen Materialien wie Knochen, Holz, Keramik, Textilien oder Eisen. Doch der menschengemachte CO2-Ausstoß könnte die Aussagekraft der Methode schwächen.

Ist die Mumie tatsächlich die Tochter des persischen Königs Xerxes I.? Wurde das Turiner Grabtuch gefälscht? Wann starben die Neandertaler aus? 
Antwort auf diese Fragen gibt eines der wichtigsten Verfahren zur Altersbestimmung in Archäologie, Kunstgeschichte und Kriminologie: Die Radiokarbon- bzw. C14-Methode. Mit ihr lesen Wissenschaftler eine Art Uhr ab, die in allen organischen Materialien läuft.

Der Tod startet die Uhr


Das radioaktive Kohlenstoffisotop C14 entsteht ständig durch kosmische Strahlung in der oberen Atmosphäre. Auf etwa eine Billion „normaler“ stabiler Kohlenstoffatome (C12) kommt ein radioaktives C14-Atom. Beide Isotope oxidieren sofort zu Kohlenstoffdioxid CO2. Das wird von Pflanzen aufgenommen und über die Nahrungskette gelangt der Kohlenstoff auch in alle anderen Lebewesen. Dabei bleibt das Verhältnis von C14 zu C12 ungefähr das gleiche wie in der Atmosphäre. Bis die Organismen sterben, dann nehmen sie keinen neuen Kohlenstoff, also auch kein C14 , mehr auf. Das schon vorhandene radioaktive C14 zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Gewissermaßen fängt eine Sand-Uhr  an zu laufen: Anhand der verbliebenen Menge C14 (genauer: des Verhältnisses von C14 zu C12) in einer Materialprobe, kann so deren Alter berechnet werden. Nach neun Halbwertszeiten, also etwa 50.000 Jahren, ist nicht mehr genug radioaktiver Kohlenstoff für eine Messung übrig - die C14-Uhr ist abgelaufen.

Wer hat an der Uhr gedreht?

Zum Leidwesen der Forscher schwankt der C14-Gehalt der Atmosphäre im Laufe der Zeit. Änderungen des Erdmagnetfelds und der Sonnenaktivität  beeinflussen, wie viele neue C14-Atome in der Atmosphäre entstehen. Folglich ist die „Sanduhr“, die mit dem Tod eines Organismus zu laufen beginnt, beim Start nicht immer gleich gefüllt. Solche Schwankungen führen zu Ungenauigkeiten oder mehreren Altersschätzungen für eine Probe.
Für die kommenden 85 Jahre prognostiziert eine Studie von Heather Graven,  Physikerin am Imperial College London, eine deutliche Abnahme der C14-Konzentration in der Atmosphäre. Ihre C14-Vorhersagen berechnete Graven anhand verschiedener Szenarien des Weltklimarats  für den zukünftigen CO2-Ausstoß. Denn der Kohlenstoff im CO2, das beim Verbrennen von Erdöl, Kohle und Erdgas in die Luft geblasen wird, ist Millionen Jahre alt - sämtliches C14 darin ist inzwischen zerfallen. Dieser „alte“ Kohlenstoff verdünnt das C14 in der Atmosphäre. Organismen, die Kohlenstoff aus einer solchen „alten“ Atmosphäre aufnehmen, enthalten weniger C14 und werden von der Radiokarbonmethode älter geschätzt, als sie eigentlich sind. Ihre „interne Sanduhr“ ist quasi von Beginn an zu wenig gefüllt. Wird das der Radiokarbonmethode zum Verhängnis, wie Publikumsmedien titeln?
Ronny Friedrich, Laborleiter des Klaus-Tschira-Archäometrie-Zentrums, relativiert: „Die C14-Datierung wird natürlich weiterhin sinnvoll sein. Dass fossile Emission die C14-Konzentration der Atmosphäre verändert, ist nichts Neues; und Schwankungen gab es ja auch in der Vergangenheit. Neu an Gravens Studie ist, dass wir nun eine Vorstellung von der zukünftigen Größe der Veränderung je nach Emissionsszenario haben; und von ihrer Auswirkung auf die Messungen."

Die Kunst des Uhrenlesens

Für die Genauigkeit einer Datierung ist es also entscheidend, die C14-Schwankungen in der Atmosphäre so gut wie möglich einzuschätzen. „Wir korrigieren die gemessenen C14-Werte anhand von Kalibrierungskurven, die immer wieder verbessert werden“, erklärt Wolfgang Kretschmer, Leiter des C14-Labors der Uni Erlangen-Nürnberg. Diese Kurven beruhen auf dem C14-Gehalt von Sedimentschichten alter Seen und Baumringen, deren absolutes Alter bekannt ist und Zehntausende bzw. Tausende von Jahren betragen kann. 
Für die nächsten 35 Jahre prophezeit Heather Graven: Reduziert die Menschheit ihren CO2 Ausstoß nicht, so wird frisches organisches Material im Jahr 2050 genauso wenig C14 enthalten wie altes aus dem Jahre 1000. Allein mit der C14-Methode wird 2050 ein neues, gefälschtes Seidentuch nicht zu unterscheiden sein von einem Seidentuch der Königin Editha (910-946), Gemahlin Ottos des Großen.
Allerdings haben die meisten zu datierenden Proben einen archäologischen Kontext. Sie werden in einer spezifischen Grabungsschicht oder zusammen mit anderen Artefakten gefunden. Kunstwerke können oft kunsthistorisch eingeordnet werden, lassen sich chemisch analysieren oder haben eine Herkunftsgeschichte. Ein Worst-Case-Szenario bleibt, räumt Ronny Friedrich ein: „Problematisch wird es, wenn man keinen Kontext zu den Proben hat. Bei Echtheitsuntersuchungen und kriminologischen Fällen gibt es dann Mehrdeutigkeiten bei der Datierung."

Forscher versus Fälscher

Wie die Wissenschaft auch ohne Kontextinformation eine mehrdeutige Datierung auflöst, berichtet Wolfgang Kretschmer: In Pakistan wurde im Oktober 2000 die angeblich erste persische Mumie entdeckt. Die Inschrift auf dem Doppelsarkophag identifizierte die mit Gesichtsmaske und Brustplatte aus Gold geschmückte Leiche als Tochter des Großkönigs Xerxes (5. Jahrhundert v. Chr.). Auffälligkeiten bei der Einbalsamierungstechnik und altpersischen Keilschrift irritierten - die ersten C14-Datierungen offenbarten das Todesdatum der vermeintlichen Prinzessin - ungefähr 1958 oder ungefähr 1992. Beide Daten entlarvten das Kunstwerk als aufwändige Fälschung.
Den eindeutigen Todeszeitpunkt konnte das Team um Kretschmer ermitteln, weil verschiedene Körpergewebe Kohlenstoff unterschiedlich schnell umsetzen. Der Vergleich des C14-Gehalts im Knochenkollagen mit dem in der Haut verriet: Die 20- bis 40-jährige Frau starb zwischen 1994 und 1996! Aus der archäologischen Sensation wurde ein Kriminalfall.

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