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Nachhaltige Wasserstoffwirtschaft

„Ohne Wasserstoff sind die Klimaziele nicht zu erreichen“

Bild: Shutterstock / Alexander Limbach

Ein Gespräch mit Holger Hanselka und Olivier Guillon über die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung und die Rolle von Wasserstoff beim Aufbau eines klimafreundlichen Energiesystems.

Holger Hanselka ist Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft für den  Forschungsbereich Energie. Olivier Guillon ist Direktor des Instituts für Energie- und Klimaforschung (IEK-1): Werkstoffsynthese und Herstellungsverfahren am Forschungszentrum Jülich und Sprecher des Topics „Chemische Energieträger“ im Forschungsprogramm „Materialien und Technologien für die Energiewende“.

Die Bundesregierung hat gerade eine nationale Strategie beschlossen, um in Deutschland eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Was hat es damit auf sich?

Holger Hanselka: Diese Strategie steht im Kontext eines ehrgeizigen Ziels, das Deutschland sich gesetzt hat. Bis 2050 soll der CO2-Ausstoß hierzulande um 80 bis 95 Prozent reduziert werden. Um das zu erreichen, muss unsere gesamte Energiewirtschaft darauf ausgerichtet werden. Dabei spielt Wasserstoff eine zentrale Rolle. Deshalb hat die Bunderegierung hierfür in ihrem Aktionsplan 38 Maßnahmen formuliert. Dazu zählen unter anderem die verlässliche, bezahlbare und nachhaltige Erzeugung von Wasserstoff, der Aufbau einer Qualitätsinfrastruktur auch für Transport und Speicherung bis hin zur Steuerung solch eines komplexen Systems.

Warum gerade Wasserstoff?

Olivier Guillon: Statt wie bislang fossile Energiequellen zu nutzen, werden wir künftig vor allem auf  Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne setzen. Der Input daraus schwankt allerdings stark. Temporär überschüssigen Strom können wir in Wasserstoff umwandeln und in dieser Form sowohl speichern als auch transportieren. Zudem wird Wasserstoff in der Industrie vielfältig eingesetzt und dient als synthetischer Kraftstoff etwa für Brennstoffzellenfahrzeuge. Ohne diesen Energieträger wäre das für 2050 gesetzte Klimaziel nicht erreichbar.

Holger Hanselka (links) ist Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Olivier Guillon ist Direktor des Instituts für Energie- und Klimaforschung (IEK-1): Werkstoffsynthese und Herstellungsverfahren am Forschungszentrum Jülich. Bild: KIT / Andreas Fabry; FZ Jülich / Sascha Kreklau

„Wasserstoff ermöglicht eine stärkere Kopplung der Sektoren Strom und Wärme, Industrie und Mobilität sowie eine saisonale Energiespeicherung.“

Welchen Beitrag kann die Wissenschaft hier leisten?

Holger Hanselka: In der Forschung haben wir mit einzelnen Anwendungen in dieser Systemkette bereits wichtige Erfahrungen gesammelt und Erfolge erzielt. Im Kleinen funktioniert schon vieles. Zum Beispiel produziert am KIT eine integrierte Versuchsanlage im Containermaßstab im Rahmen des Kopernikus-Projekts Power-to-X CO2-neutrale Kraftstoffe aus Luft und Strom. All diese Komponenten müssen wir nun aber für Einsätze im sehr großen Maßstab anpassen und in das komplexe Energiesystem integrieren, damit sie auch im Realbetrieb funktionieren. Helmholtz ist hierfür sehr gut aufgestellt. Wir agieren auf Basis jahrzehntelanger Forschung zu den vielfältigen Aspekten rund um Wasserstoff – von den Grundlagen bis zur Anwendung. Der Forschungsbereich Energie liefert hier zentrale Beiträge. Weiterer Input kommt aus den Forschungsbereichen Erde und Umwelt, Information sowie Materie. Die Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft entwickeln zudem neue Prozess- und Wertschöpfungsketten für Wasserstoff einschließlich chemischer Energieträger. Dabei kooperieren sie mit weiteren Akteuren aus Wissenschaft und Industrie.

Olivier Guillon: Wasserstoff ermöglicht eine wesentlich stärkere Kopplung der Sektoren Strom und Wärme, Industrie und Mobilität sowie eine saisonale Energiespeicherung. All das muss jetzt entwickelt werden. Damit befassen sich 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an zehn Helmholtz-Forschungszentren in engem Austausch. Unsere technologische Forschung ergänzen wir auch um systemanalytische und sozioökonomische Perspektiven. Das heißt, wir untersuchen, wie verschiedene Technologien sinnvoll miteinander kombiniert werden können. Nur so können wir unser künftiges Energiesystem einschließlich aller gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte optimieren.

So verläuft der Weg des Wasserstoffs: Wind, Sonne, Biomasse und Wasser produzieren erneuerbare Energie. Sie wird genutzt, um Wasser-Elektrolyse zu betreiben. Dabei wird Wasser unter Strom gesetzt, wobei es sich in Wasserstoff und Sauerstoff teilt. Der hierbei gewonnene Wasserstoff wird dann für die Nutzung transportiert. Grafik: Projektträger Jülich im Auftrag des BMBF

Wie sehen wasserstoffbezogene Helmholtz-Projekte ganz konkret aus?

Olivier Guillon: Mit dem Living Lab Energy Campus zum Beispiel machen wir den Jülicher Forschungscampus – in Verbindung mit dem EnergyLab 2.0 am KIT, DLR und Forschungszentrum Jülich – zu einem Reallabor für die Energiewende.  Durch diese Vernetzung können wir jeweils unterschiedliche Szenarien abbilden und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse auf ihre Wirksamkeit sowie Alltagstauglichkeit erproben. Unser ganzer Standort wird zu einem großen Experimentierfeld, in dem die Wechselwirkungen zwischen Technik, Energieträgern und Verbrauchern untersucht werden: mit optimierter Kopplung von Energiewandlern, Speichersystemen sowie Wärme-, Kälte- und Stromnetzen.

Holger Hanselka: Da die Helmholtz-Gemeinschaft ohnehin mit anderen Akteuren aus der Wissenschaft und Wirtschaft gut vernetzt ist, geht unsere Rolle bei diesen Innovationsprozessen noch weiter. Das „Helmholtz-Cluster für nachhaltige und infrastrukturkompatible Wasserstoffwirtschaft“ etwa soll Regionen des Strukturwandels stärken. Dies kann auch ein „Innovationszentrum für nach­haltige elektrochemische Wertschöpfungsketten“ oder das neue DLR-Institut „Future Solar Fuels“ leisten. Im Hinblick auf den Strukturwandel in der Automobilindustrie schlagen wir die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Wasserstoffmobilität vor.

Die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung

Die Energiewende soll neben erneuerbaren Energien und der Steigerung der Energieeffizienz mit Wasserstoff eine weitere Säule erhalten. Dafür hat die Bundesregierung am 10. Juni 2020 eine Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen.

Beschluss der Bundesregierung

Strategie (Download)

Wasserstoffbetriebene Fahrzeuge können eine Alternative zu elektrischen Fahrzeugen mit Antriebsbatterie sein und so den Verkehr klimafreundlicher machen. Bild: Shutterstock / Alexander Kirch

In welchen Bereichen kann Wasserstoff gewinnbringend eingesetzt werden? 

Olivier Guillon: Das fängt bei der Erzeugung an, die sehr energieintensiv ist. CO2-neutral ist lediglich der sogenannte grüne Wasserstoff, der aus erneuerbaren Quellen wie Wind oder Sonne produziert wird. 2050 werden in Deutschland voraussichtlich zwölf Millionen Tonnen Wasserstoff verbraucht. Dieser Jahresbedarf wäre dann um den Faktor 7 höher als heute. Etwa die Hälfte davon könnte durch Elektrolyse aus Sonnen- oder Windstrom in Deutschland gewonnen werden.

Holger Hanselka: Eine bedeutende Rolle spielt Wasserstoff auch, um Strom aus erneuerbaren Energien zu speichern und zu transportieren. Bislang wird zum Beispiel öffentlich über den Bau neuer Stromtrassen debattiert. Eine Helmholtz-Studie hat errechnet, dass der Transport von Energie in Form von Wasserstoff durch Pipelines 10 bis 20 Mal kostengünstiger wäre. Dabei sind die Kosten für die Errichtung der Infrastruktur schon eingerechnet. Für Wasserstoff lassen sich zudem bestehende Erdgasleitungen nutzen, indem man in die Pipelines kleinere Rohre zieht.

"2050 werden in Deutschland voraussichtlich zwölf Millionen Tonnen Wasserstoff verbraucht.“

Olivier Guillon: Im Bereich Verkehr wiederum können wasserstoffbetriebene Brennstoffzellenfahrzeuge mit elektrischem Antriebsmotor eine Alternative zu elektrischen Fahrzeugen mit Antriebsbatterie sein; das gilt insbesondere für Lkw. Unsere Wissenschaftler haben das durchgerechnet: Bei bis zu 20 Millionen Fahrzeugen, was knapp der Hälfte des heutigen Bestands entspricht, sind die Investitionen in eine Ladesäulen-Infrastruktur höher als im Vergleich zur Wasserstoff-Infrastruktur. Die Mobilitätskosten sind mit 4,5 und 4,6 Eurocent pro Kilometer vergleichbar.

Wasserstoff: Forschungsaktivitäten der Helmholtz-Gemeinschaft

Die Energiewende gehört zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen, für die die Helmholtz-Gemeinschaft Lösungen erarbeitet – und zwar mit einem langfristigen und ganzheitlichen Ansatz. Rund 600 Mitarbeiter in zehn Helmholtz-Zentren forschen an Wasserstofftechnologien. Das Spektrum reicht von den Grundlagen bis zur Anwendung und umfasst die gesamte Wertschöpfungskette. Die Wissenschaftler betreiben aber nicht nur technologische Forschung, sondern führen auch systemanalytische und sozioökonomische Studien durch, um das Energiesystem im Hinblick auf die technologische Ausrichtung und einschließlich aller gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte zu optimieren.

Der Kompetenzatlas Wasserstoff fasst die wasserstoffbezogenen Forschungsaktivitäten der Helmholtz-Zentren übersichtlich zusammen.

Broschüre (PDF)

Handout (PDF)

„Mit unserem technischen Know-how haben wir potenziellen internationalen Partnern viel zu bieten.“

Was sind die größten Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung?

Holger Hanselka: Im Zuge der Energiewende wachsen die Energiesektoren Strom, Wärme, industrielle Produktion und Verkehr zusammen – mit Wasserstoff als zentralem Instrument, das in allen Bereichen genutzt wird. Auf dem Weg dorthin müssen mutige, vorausschauende und langfristige Entscheidungen in der Energiewirtschaft, der Energiepolitik und der Forschungsförderung getroffen werden. Hat man sich einmal festgelegt, lassen sich diese nur schwer korrigieren.

Olivier Guillon: Um das Potenzial und die Grenzen neuer Technologien frühzeitig zu erkennen, modellieren unsere Systemanalytiker daher künftige Infrastrukturen und binden Wasserstofftechnologien ein. Eine Studie zeigt im Detail, wie der Umbau des deutschen Energiesystems effizient und wirtschaftlich gestaltet werden kann. Die Systemanalytiker fanden heraus, dass die Produktion der Windkraft- und Photovoltaikanlagen dazu bis zum Jahr 2050 vervierfacht werden muss.

Welche Rolle spielt KI, um die einzelnen Bereiche im Betrieb aufeinander abstimmen und das gesamte System steuern zu können?

Olivier Guillon: In der Forschung bietet künstliche Intelligenz ganz neue Möglichkeiten: von der Entdeckung neuer Werkstoffe durch sogenannte „Materials Acceleration Platforms“ bis zu  neuartigen Computermodellen, die den Betrieb einer Elektrolyseanlage dynamisch optimieren oder die gesamte Energieversorgung über alle Verbrauchssektoren hinweg abbilden.

Holger Hanselka: Künstliche Intelligenz wird auch für den Betrieb des künftig stark vernetzten und dezentralisierten Energiesystems unerlässlich sein. Ohne diese Schlüsseltechnologie müssten wir jede Eventualität vorausplanen. Komplexe Aufgaben lassen sich mit KI effizienter lösen, weil KI aus dem Verhalten eines Systems lernt. Einem Algorithmus können wir zum Beispiel das Ziel definieren, ein Netz stabil zu halten, ohne jedes Ereignis vorhersehen zu können. Ein weiteres Thema ist die IT-Sicherheit für das gesamte Energiesystem, wie es am KIT in dem Kompetenzzentrum KASTEL erforscht wird. Auch hier wird KI zum Einsatz kommen.

Umstieg auf erneuerbare Energien mit Batterie und Brennstoffzelle. Grafik: H2 MOBILITY / Forschungszentrum Jülich, Robinius et al.

Ohne Importe werden wir den großen Bedarf an CO2-freiem Wasserstoff nicht decken können. Wie kann Wasserstoff nachhaltig außerhalb Deutschlands gewonnen und sicher ins Land transportiert werden?

Oliver Guillon: Voraussichtlich werden wir im Jahr 2050 rund die Hälfte unseres Wasserstoffbedarfs durch Importe decken. Das hängt aber von politischen Entscheidungen ab: Wie stark bauen wir Wind- und Solarkraft in Deutschland aus, wie viel Wasserstoff können wir im Land erzeugen? Wasserstoff kann mithilfe von Windkraft auch in Nordeuropa oder mit Solaranlagen im Süden produziert werden – von Spanien bis Nordafrika. Auch der Transport wäre technisch machbar, per Schiff oder mit Pipelines.

Holger Hanselka: Es macht natürlich einen Unterschied, ob man Erdöl transportiert oder flüssigen Wasserstoff, der gekühlt werden muss. Wir Wissenschaftler können Szenarien berechnen, welche Infrastruktur dazu jeweils benötigt wird und wie teuer der Umbau wäre. In einer globalen Energiewirtschaft sind zudem wirtschaftlich-politische Abhängigkeiten zu bedenken. Das gilt für Erdöl und Erdgas genauso wie für Wasserstoff. Genau deshalb setzt die Nationale Wasserstoffstrategie auch auf einen starken Binnenmarkt, der eine nachhaltige und zur Energiewende beitragende inländische Wasserstoffproduktion mit einschließt. Gleichzeitig gilt: Mit unserem technischen Know-how haben wir potenziellen internationalen Partnern aber auch viel zu bieten.

Wo steht Deutschland weltweit bei der Entwicklung von Wasserstofftechnologien?

Oliver Guillon: Blickt man auf die Patente von Elektrolyseuren, ist Deutschland mitsamt der EU im Vergleich zu den USA, China und Japan auf einem sehr guten Platz. In den vergangenen Jahren ist viel in Bewegung gekommen, das Interesse der Industrie und Gesellschaft wächst ständig. Die bislang entwickelten Technologien müssen nun vor allem leistungsfähiger und langlebiger werden und in größeren Skalen produziert werden. So können Kosten reduziert werden, damit sich Investitionen in Wasserstoff wirtschaftlich lohnen.

Holger Hanselka: Wir sollten beispielsweise auf die Entwicklung möglichst verlustfreier und risikoarmer Wasserstoffspeichertechnologien setzen. Da wir in Deutschland exzellente Ingenieurwissenschaften haben, bin ich zuversichtlich. Tatsache ist aber auch, dass wir im Bereich Brennstoffzellentechnologie in den letzten zehn Jahren den Anschluss verloren haben. Japan etwa hat deutlich mehr investiert. Wir müssen da nachlegen, um nicht abhängig zu werden. Wir können aber noch aufholen. Denn in vielen anderen Ländern sind Technologien rund um Wasserstoff auch noch nicht marktfähig. Wichtig ist, dass wir unsere Potenziale und Synergien noch stärker nutzen, also noch mehr Akteure aus Forschung, Politik und Gesellschaft zusammenbringen.

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