Endlager
Auf Nimmerwiedersehen
Wie das perfekte Endlager für radioaktiven Abfall aussieht, ist nicht nur eine politische Frage. Sie beschäftigt vor allem auch die Wissenschaftler: In ihren Laboren spielen sie Prozesse durch, die erst in vielen Jahrhunderten auftreten könnten.
Das Problem: In den Brennstäben sind sogenannte Transurane entstanden – Elemente, die schwerer als Uran sind. Sie kommen in der Natur kaum vor und haben sehr lange Halbwertszeiten. Bislang ist nicht bekannt, wie sie im umgebenden Wirtsgestein eines Endlagers mit den Mineralien und den dort lebenden Organismen reagieren werden, wenn die Behältnisse undicht werden – und das wird eines Tages passieren.
„In den ersten 300 Jahren sind in den abgebrannten Brennstäben Spaltprodukte wie Cäsium137 dominant“, sagt Thorsten Stumpf. „Auch diese Spaltprodukte sind hochgefährlich und dürfen nicht in die Biosphäre gelangen. Doch in dieser Zeit und auch noch für Jahrhunderte danach sorgen die Stahlbehälter, in denen das radioaktive Material gelagert wird, für einen sicheren Einschluss.“ Aber irgendwann halten diese technischen Barrieren nicht mehr dicht. Zwar sind die Spaltprodukte dann bereits zerfallen, doch die Radioaktivität ist weiterhin hoch. Etwa 30.000 Jahre lang dominiert das Element Americium, in den nächsten 200.000 Jahren fast ausschließlich Plutonium. Danach muss das Wirtsgestein den Abfall sicher einschließen.
Entsprechend hoch sind die Anforderungen an ein Endlager in Deutschland: Es muss über eine Million Jahre geologisch stabil sein, Eiszeiten überstehen und von wasserführenden Schichten durch mindestens 400 Höhenmeter getrennt sein. Nach dem Zerfall der Behältnisse müssten radioaktive Substanzen eben diese 400 Meter senkrecht durchs Gestein wandern, ein fast unüberwindbarer Migrationsweg. Damit wäre die größte Gefahr, nämlich der Austritt radioaktiver Materialien, so gut wie ausgeschlossen, insbesondere weil die langlebigen Transurane wie Americium und Plutonium als ziemlich unbeweglich gelten. „Dennoch betrachten wir sogenannte Worst-Case-Szenarien wie einen Wassereinbruch. Denn der größte Fehler wäre, fest davon auszugehen, dass so etwas wirklich niemals passieren kann“, sagt Stumpf.
Wenn es um Endlagerung geht, fällt oft das Schlagwort „Rückholbarkeit“: Soll der radioaktive Abfall nun so eingelagert werden, dass er unter Umständen wieder geborgen werden kann, oder nicht? Michael Sailer spricht sich dagegen aus, gibt aber zu bedenken: „Jedes Abfallgebinde muss geordnet und wiederauffindbar eingelagert werden. Wir plädieren also nicht für Rückholbarkeit im Sinne von Offenhalten, sondern wollen das Lager nach Ende der Betriebszeit dicht verschließen. Wenn man dann zum Beispiel nach 300 Jahren feststellen würde, dass unsere Sicherheitsanalysen falsch waren, könnten unsere Nachfahren in der Nähe des verschlossenen Endlagers ein neues Bergwerk einrichten und die Behälter noch geordnet bergen.“
Aber was passiert in einem fest verschlossenen Endlager, wenn es eben doch zum „Worst Case“ kommt und Transurane etwa mit Wasser und Mineralien in Berührung kommen? Könnten sie Verbindungen eingehen, die wasserlöslich sind, oder könnten sie in Form von winzigen Nanopartikeln, als sogenannte Kolloide, mit dem Wasser transportiert werden? Wie wirken sich Salzgehalt und Säuregrad aus? Und welche Rolle spielen Mikroben, Algen oder Pilze? Solche Fragen will Thorsten Stumpf vom Institut für Ressourcenökologie beantworten.
Um in die Labore zu gelangen, betritt er zunächst eine Schleuse, loggt sein persönliches Dosimeter ein, schlüpft in einen grünen Kittel und weiße Schuhe. In Handschuhboxen, die vor der Alpha-Strahlung schützen, stehen Hunderte von weißen Behältern auf Schütteltischen. Sie enthalten Lösungen mit Americium, Curium, Neptunium oder Plutonium, vermischt mit Mineralien wie Calzit, Eisenoxiden oder Muskovit und unterschiedlichen Mikrobenstämmen. Akkurat beschriftet steht alles an seinem Platz, eine Ordnung, die typisch für die Arbeit der Mikrobiologen sei, sagt Stumpf. Und natürlich stehen auch keine Kaffeetassen herum, im Kontrollbereich sind Essen und Trinken tabu. Hier untersuchen die Forscher systematisch, welche Verbindungen unter verschiedenen Bedingungen entstehen und wie sie sich auf Oberflächen anlagern. Dabei analysieren sie nicht nur die Endprodukte, sondern ermitteln mit physikalischen Methoden auch die Bildungskonstanten, die Beweglichkeit der Endprodukte, ihre Löslichkeit oder ihre Tendenz, Kolloide zu bilden. Das Institut verfügt über Labore mit Röntgendiffraktometer, Kernresonanzspektroskopen, Fluoreszenz- und Laserspektroskopiegeräten sowie über ein großes Geo-PET-Gerät, um zu untersuchen, wie gelöste oder kolloidale Komponenten durch Bohrkerne wandern können. „Nur so können wir einigermaßen zuverlässige Prognosen dazu abgeben, welche Verbindungen in größerem Ausmaß entstehen könnten und ob sie mobil sind oder nicht“, erklärt Stumpf. Die Daten stehen Forschern, Behörden und zukünftigen Endlagerbetreibern aus aller Welt zur Verfügung.
So ist Plutonium chemisch recht vielseitig, es kann verschiedene Oxidationsstufen einnehmen und dadurch ganz unterschiedlich reagieren. „Aber die Randbedingungen sind entscheidend“, sagt Stumpf. „Je nach dem pH-Wert und anderen chemischen Randbedingungen im Salz oder im Ton stellt sich eine bestimmte Oxidationsstufe fest ein. Jetzt untersuchen wir noch alle Möglichkeiten, aber wenn erst der Standort für ein Endlager in Deutschland feststeht, können wir noch genauer eingrenzen, welche Reaktionen überhaupt denkbar sind.“
Auch die Organismen, die tief im Untergrund unter unwirtlichsten Bedingungen gedeihen, sind noch ein weitgehend unbekannter Faktor. Nach dem Verschluss des Endlagers setzen sich vor allem anaerobe Organismen durch – das sind solche, die ohne Sauerstoff auskommen. Sie könnten die Behälter angreifen, das Eisen allmählich verstoffwech seln und dann möglicherweise auch Transurane. „Wir kennen aus Uranbergbaugebieten Mikroben, die von der Umwandlung des Urans leben“, sagt Stumpf. Dabei verwandeln sie sechswertiges – also sechsfach geladenes – Uran, das gut wasserlöslich und damit relativ mobil ist, in vierwertiges Uran und scheiden es als schwer lösliche Uran- Phosphorverbindung aus. „Wenn wir so etwas auch für das Plutonium identifizieren könnten, wäre das interessant.“
Thorsten Stumpf ist davon überzeugt, dass die Nachfrage nach gut ausgebildeten Experten in den kommenden Jahren steigen wird. Wenn ab 2016 die systematische Suche nach einem Endlager in Deutschland startet, werden sie dringend gebraucht, und zwar über viele Jahrzehnte: Frühestens 2031 soll der Standort feststehen. Im günstigsten Fall können ab 2045 die ersten Behälter einfahren. Die ordnungsgemäße Einlagerung wird Jahrzehnte dauern, eine Aufgabe für die nächsten Generationen von Fachkräften. Trotzdem leisten sich nur noch wenige Universitäten einen Lehrstuhl für Radiochemie, denn die Kontrollbereiche sind teuer. „Da sehe ich ein riesiges Problem auf Deutschland zukommen“, sagt Stumpf.
Michael Sailer geht noch einen Schritt weiter. Er fordert von der Regierung neue Programme, in denen qualifizierter Nachwuchs ausgebildet und Arbeitsplätze in den entsprechenden Fachbehörden geschaffen werden. „Wir brauchen nicht nur für die Suche nach einem Endlagerstandort, für den Bau und den Betrieb Fachleute, sondern natürlich auch für die unabhängigen Kontrollinstanzen.“
Die naturwissenschaftlichen Gesetze gelten auch noch in einer Million Jahren, hier schafft Forschung also Sicherheit. Doch über die gesellschaftliche Entwicklung der Zukunft lässt sich höchstens spekulieren, selbst Prognosen über zehn Jahre sind nicht zuverlässig. Dieses Thema werde zu wenig reflektiert, meint Thorsten Stumpf. Terrorismus, Wirtschaftskrisen oder Kriege könnten noch viel gefährlicher werden, wenn der hochradioaktive Abfall zugänglich bleibt. Deshalb plädiert auch Stumpf nachdrücklich dafür, ein künftiges Endlager sicher zu verschließen, die Endlagerung dürfe nicht rückholbar sein. Sonst verlagern wir die Verantwortung auf spätere Generationen, die niemals von der Kernkraft profitiert haben.
Mehr zur Endlagerforschung im HZDR -Magazin „entdeckt“: www.hzdr.de/entdeckt
Lesen Sie das vollständige Interview mit Michael Sailer unter: www.helmholtz.de/sailer
Kompetenz-Cluster für nuklearen Rückbau und Entsorgung
Der Rückbau und die Entsorgung von kerntechnischen Anlagen stellen eine technologische Herausforderung dar. Ihre Bewältigung erfordert die Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen von Maschinenbau und Verfahrenstechnik über Geochemie bis zu den Sozialwissenschaften. Um dieses Knowhow zu bündeln, haben sich fünf Forschungsinstitute im Kompetenz-Cluster für nuklearen Rückbau und Entsorgung zusammengeschlossen.
- Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
- Duale Hochschule Baden-Württemberg, Karlsruhe (DHBW)
- Institut für Kern- und Energietechnik (IKE) und die Materialprüfungsanstalt Stuttgart (MPA) der Universität Stuttgart
- Institute for Reference Materials and Measurements und das Institut für Transurane der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission (JRC-ITU, JRC-IRMM)
- Paul Scherrer Institut (PSI), Schweiz.
Die Europäische Kommission geht davon aus, dass bis 2025 etwa ein Drittel der derzeit aktiven 145 Kernkraftwerke ihr reguläres Laufzeitende erreicht hat. Der kontrollierte Rückbau dieser Anlagen sowie die sichere Entsorgung und Lagerung der radioaktiven Abfälle stellt Industrie und Wissenschaft vor neue Herausforderungen. Die Partner im Cluster werden gemeinsam die sichere Gestaltung des Rückbaus nuklearer Anlagen und der Endlagerung sowie den Strahlenschutz erforschen. Ihre Forschungsthemen sind Strategien, Management und Technologien für den Rückbau, Dekontamination und Konditionierung von Abfällen, Information und Beteiligung von interessierter Öffentlichkeit sowie Arbeits- und Umweltschutz.
Cluster "Rückbau" bündelt internationale Expertise (Pressemitteilung des KIT)
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