Portrait
Im Maschinenraum der Wissenschaft
Achim Streit war schon mit 35 Jahren Professor. Heute leitet er das Steinbuch Centre for Computing in Karlsruhe und ist damit der Herr über riesige Datenmengen
Fast wäre Achim Streit in der Luft- und Raumfahrt gelandet. Ein Studium in diesem Bereich hätte wunderbar zu seiner Leidenschaft für Modellsegelflugzeuge gepasst. Doch als die Schulzeit 1993 zu Ende ging, steckte die Luftverkehrsbranche in einer Krise. Die beruflichen Aussichten waren düster. "Deshalb habe ich mich für einen anderen Weg entschieden", sagt der inzwischen 39-Jährige.
Heute ist Achim Streit Direktor am Steinbuch Centre for Computing (SCC) in Karlsruhe. Nach dem entscheidenden Richtungswechsel vor gut zwanzig Jahren ging es mit seiner Karriere zügig voran: zuerst das Studium der Ingenieurinformatik in Dortmund und die Promotion in Paderborn, dann die Festanstellung am Forschungszentrum Jülich, wo er bald zum Abteilungsleiter aufstieg, und im Alter von nur 35 Jahren schließlich die Professur am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) verbunden mit der Leitungsfunktion am noch jungen Steinbuch Centre. Benannt ist es nach dem Pionier der Disziplin, Karl Steinbuch, der lange in Karlsruhe lehrte und dem der Begriff "Informatik" zugeschrieben wird.
"Als Wissenschaftler arbeite ich gern anwendungsbezogen", sagt Achim Streit. Die Tätigkeit im Steinbuch Centre kommt seiner Vorliebe entgegen. Dort werden wissenschaftliche Daten gesammelt, gespeichert und je nach Bedarf der einzelnen Disziplinen aufbereitet - immer unentgeltlich, aber nicht bedingungslos: "Wenn wir uns an der Auswertung beteiligen, möchten wir auch in den Publikationen genannt werden", sagt Streit. Solche Meriten zählen in der akademischen Welt in der die ehrgeizigen Karlsruher vorankommen wollen. Sie sind zwar Dienstleister für die Wissenschaft, ihre Besonderheit liegt jedoch in der eigenen Forschung und Entwicklung, etwa beim Hochleistungsrechnen und der Verarbeitung großer Datenmengen.
Über mangelnde Nachfrage können sich Streit und seine Leute nicht beschweren und zu ihren besten Kunden gehört das Forschungszentrum CERN in Genf. Am dortigen Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) fallen gigantische Datenmengen an. Zu viele, um sie in einem einzelnen Rechenzentrum zu verarbeiten. Ein Teil der gesammelten Informationen fließen nach Karlsruhe in ein spezielles Archiv namens Grid Computing Centre Karlsruhe, kurz: GridKa, von wo aus sie an die internationale Physikergemeinde verteilt werden. Schon jetzt enthält das GridKa mehrere Milliarden Bytes, die auf Festplatten und Bändern konserviert sind. Damit gehört die Einrichtung zum exklusiven Zirkel von zwölf Zentren weltweit, die Beschleunigerdaten für die wissenschaftliche Analyse bereitstellen. Achim Streit freut sich über das Privileg - und die damit verbundenen Chancen: "In der Sammlung könnten noch manche Nobelpreise schlummern."
Überhaupt ist es erstaunlich, was sich alles aus den Tiefen des Karlsruher Zentrums herausholen lässt: Da gibt es mikroskopische Bilder aus der Systembiologie, auf denen die embryonale Entwicklung von Zebrafischen zu sehen ist, dort lagern Satellitendaten über die globale Staubbelastung für die Klimaforschung neben Informationen über Materialeigenschaften neuer Werkstoffe und ein paar Schritte weiter findet man sprachwissenschaftliche Ergebnisse, etwa aus der europäischen Dialektforschung.
Auch die Energiezukunft Deutschlands ist ein Thema in dem Karlsruher Zentrum. Hier werden demnächst die Informationen von bundesweit verteilten Messpunkten zusammenlaufen. Sie geben Auskunft über die Stromqualität, zum Beispiel über die Änderungen der Stromfrequenz im Laufe des Tages. Achim Streit: "Die Frequenz ist eine kritische Größe, denn bereits kleine Schwankungen können zu großen Problemen führen." Um das zu verhindern, muss das Stromnetz weiter ausgebaut werden, etwa durch zusätzliche Umspannwerke. Doch wie viele davon braucht man entlang der geplanten Trassen für regenerative Energien? Und welchen Anforderungen müssen die Generatoren der Kraftwerke genügen? Antworten auf solche konkreten Fragen werden demnächst auch aus Karlsruhe kommen.
Achim Streit spricht gern über Energie und vielleicht hat das nicht nur mit den paar Semestern Elektrotechnik zu tun, die er nebenher studierte. Um die optimale Nutzung der natürlichen Energie Windkraft geht es auch bei seinem langjährigen Hobby, dem Modellflug. Streit hat etliche Pokale und Meistertitel gesammelt und war bis vor einigen Monaten sogar Teammanager der deutschen Nationalmannschaft. Wenn er davon erzählt, weiß er um die Vorbehalte seiner Gesprächspartner: Mit einer Fernbedienung wedeln, den Kopf im Nacken halten und dabei ein bisschen auf und ab gehen - das soll Sport sein? "Aber ja", sagt Achim Streit dann, "die Flieger haben eine Spannweite von anderthalb Metern und werden immer wieder rund 60 Meter hochgeworfen - das erfordert viel Kraft."
Die braucht der junge Vater allerdings auch für seine viereinhalbjährige Tochter. Er legt Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance - nicht nur, um selbst Zeit für Frau und Kind zu haben, sondern um auch seinen Mitarbeitern mit gutem Beispiel voranzugehen. "Ich habe es mir abgewöhnt, E-Mails spätabends zu beantworten und Abgabetermine lege ich grundsätzlich auf Freitag - das hilft gegen die Versuchung, bis Sonntagabend am Projekt zu feilen." Gutes Management, davon ist Achim Streit überzeugt, fängt beim eigenen Leben an.
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