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Standpunkte

Ergebnis negativ, Forschung positiv

Um Karriere zu machen, müssen Wissenschaftler veröffentlichen – am besten Aufsehenerregendes in wichtigen Magazinen. Doch nicht immer erbringt ihre Forschung die gewünschten Resultate. Um auch damit punkten zu können und wissenschaftlichem Fehlverhalten einen weiteren Anreiz zu nehmen, empfiehlt der Wissenschaftsrat die Publizierbarkeit negativer Ergebnisse.

Fürs Abschreiben gibt’s keinen Doktortitel. Diese bittere Erfahrung haben in den vergangenen Jahren viele prominente Politiker gemacht – und waren damit der Stein des Anstoßes für eine intensive Debatte. Spätestens seit dem Fall des Ex-Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg im Jahr 2011 reißt die Diskussion um gute wissenschaftliche Praxis nicht ab. Die Gedanken und Ergebnisse anderer zu kopieren und sich selbst mit diesen Federn zu schmücken, ist schließlich unvereinbar mit wissenschaftlicher Integrität.

Zuletzt hat der Wissenschaftsrat eine Idee zur Diskussion gestellt. In seinen „Empfehlungen zur wissenschaftlichen Integrität“ will er eine weitere potenzielle Wurzel dieses Übels angehen: Er empfiehlt, die Publizierbarkeit von negativen Ergebnissen zu verbessern – also von solchen Ergebnissen, bei denen sich trotz korrekter Untersuchung eine Hypothese nicht bestätigen ließ. „Wir waren der Meinung, es sei an der Zeit für einen positiven Dreh“, sagt Manfred Prenzel, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats. „Also nicht primär über Sanktionen von Fehlverhalten nachzudenken, sondern stattdessen die Frage zu stellen: Wie lässt sich Integrität als Kultur in der Wissenschaft stärken? Und welche systemischen Hindernisse bestehen, die bislang in der Debatte nicht beleuchtet wurden?“

Bislang landen negative Ergebnisse vor allem in der Schublade des jeweiligen Forschers, nicht aber in renommierten Magazinen. Publiziert wird nur, was Aufsehen erregt. Der Wissenschaftsrat fürchtet, dass mit solch schwierigen Rahmenbedingungen leicht Anreize für wissenschaftliches Fehlverhalten gesetzt werden. Zum Beispiel, weil Forscher nur noch nach der Bestätigung ihrer Hypothese suchen oder in Versuchung geraten, unpassende Ergebnisse wegzulassen oder zu beschönigen.

Prenzel sieht nicht nur die Wissenschaftler selbst in der Pflicht, integer zu handeln. „Wissenschaftler besitzen eine hohe Autonomie, das erhöht die Verantwortung für die Ergebnisse“, sagt er. Aber neben den Wissenschaftlern selbst müssten auch die Fachverbände, die Forschungsförderer, die Herausgeber von Zeitschriften und die Leiter von wissenschaftlichen Einrichtungen darauf achten, ob sie unter Umständen Anreize setzen, die wissenschaftliche Integrität gefährden können. Prenzel sagt: „In den Lebenswissenschaften ist die Diskussion darüber schon weit gekommen. Alle Disziplinen und Akteure der Wissenschaft müssen sich weiter mit diesen Fragen auseinandersetzen. Ich bin optimistisch, dass sich etwas ändern wird.“

Die Online-Redaktion der Helmholtz-Gemeinschaft hat fünf Wissenschaftler um Ihre Meinung dazu gebeten:

Maria von Korff Schmising ist Junior-Professorin für Pflanzengenetik an der Uni Düsseldorf.

Grundsätzlich finde ich den Vorschlag, negative Ergebnisse zu publizieren, sehr gut. Als Wissenschaftler kann ich viel Zeit und Geld sparen, wenn ich negative Ergebnisse für die Planung der eigenen Experimente berücksichtigen kann. Allerdings sind natürlich nur solche negativen Ergebnisse interessant und sollten publiziert werden, die auf einer guten Hypothese, sauberen Experimenten und der richtigen Interpretation der Ergebnisse beruhen. Leider lassen sich negative Ergebnisse meist nicht in sehr guten Zeitschriften publizieren, so dass ich als Wissenschaftler mit begrenzter Zeit diese immer zunächst der Publikation von positiven Ergebnissen widmen würde. So fürchte ich, dass eine Empfehlung allein nicht das Publikationsverhalten ändern wird. Auch hochrangige Journale müssten zum Beispiel eine bestimmte Anzahl von Artikeln für solche Ergebnisse frei halten.
Siegfried Hunklinger ist emeritierter Professor am Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg. Er war bis 2011 Ombudsmann für die Wissenschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Auf Wissenschaftlern lastet heute ein immenser Druck, Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Als ich meine Karriere begann, waren zwei Veröffentlichungen im Jahr üblich. Heute sind es 20. Ich halte nichts davon, diese Entwicklung weiter anzutreiben, indem man auch negative Forschungsergebnisse veröffentlicht. Experimente in der Physik funktionieren in 80 Prozent der Fälle nicht. Wenn man die negativen Ergebnisse veröffentlicht, würde man die Flut von Publikationen nur noch vergrößern. Man müsste viel Arbeit in etwas stecken, das Wissenschaftlern nur bedingt und der Öffentlichkeit überhaupt nichts nutzt, denn in den meisten Fällen hat man einfach einen Fehler gemacht. Ich glaube auch nicht, dass sich die Zahl der Fälschungen dadurch verringern lässt. Es gibt heute mehr Fälschungen, weil auch mehr veröffentlicht wird, aber Betrüger gab es schon immer: Wissenschaftler sind keine besseren Menschen als andere. Nach einiger Zeit fällt der Betrug von selbst auf, weil andere Teams die Ergebnisse nicht reproduzieren können. Natürlich ist der Wahrheitsgehalt in der Physik leichter zu überprüfen als beispielsweise in den Sozialwissenschaften, da die Natur auf gestellte Fragen eindeutige Antworten gibt.

Thomas D. Kühne ist Professor für Theoretisch Chemie an der Universität Paderborn und Gründer des „Journal of Unsolved Questions“

Negative Ergebnisse zu veröffentlichen hat aus meiner Sicht mehrere Vorteile. Zum einen können sich daraus neue interessante Fragen und gute Wissenschaft ergeben. Das habe ich selbst bei einem meiner Studenten erlebt. In seiner Diplomarbeit konnte er seine Hypothese nicht belegen. Er stieß dabei aber auf eine Idee, über die er dann erfolgreich promoviert hat. Zum anderen kann der Druck, nur positive Ergebnisse zu publizieren, sicherlich dazu verleiten, negative Ergebnisse positiv erscheinen zu lassen. Gerade bei quantitativen Untersuchungen, bei denen eine gewisse statistische Unsicherheit immanent ist, ist die Barriere für Fälschungen vielleicht besonders niedrig. Einem solchen wissenschaftlich unredlichen Verhalten muss die Wissenschafts-Community bei allen nur möglichen Gelegenheiten gegensteuern. Die Möglichkeit, negative Ergebnisse zu veröffentlichen wie beispielsweise in dem von mir mitinitiierten Journal of Unsolved Questions, könnte einen Teil dazu beitragen. Ich würde es zudem begrüßen, wenn Forschungsdaten an einem zentralen Ort gesammelt würden, auf den alle Wissenschaftler zugreifen können. Damit ließen sich Ergebnisse, positive wie negative, schneller überprüfen – und wichtiger, andere Forscher könnten davon profitieren, indem sie zu etwas Neuem inspiriert werden.

Bent Brachvogel ist Leiter der Experimentellen Neonatologie an der Uniklinik in Köln. Er ist Herausgeber des „Journal of Negative Results in Biomedicine”

Man könnte sich und anderen viel Arbeit ersparen, wenn man negative Ergebnisse veröffentlicht. Oft wird ein fehlgeschlagenes Experiment von anderen Forschern wiederholt,  weil sie nicht wissen, dass es nicht funktioniert. Wäre das anders, ließen sich beträchtliche Ressourcen sinnvoller einsetzen. Es reicht allerdings nicht, nur eine Plattform für negative Ergebnisse zur Verfügung zu stellen. Wissenschaftler brauchen überdies einen Anreiz für diese Veröffentlichungen. Denn die Ergebnisse für einen Artikel aufzubereiten kostet sie viel Zeit. Auch wenn es sich um negative Ergebnisse handelt, müssen sie prüfen, warum ein Experiment fehlgeschlagen ist. Niemand tut das, wenn er nichts davon hat. Darum werden negative Ergebnisse auch heute schon veröffentlicht, wenn man damit zum Beispiel eine bereits existierende Hypothese widerlegen kann. Vielleicht würde es helfen, wenn etablierte Magazine mit hohem Impact-Faktor eine Rubrik für solche Ergebnisse einführen – und wenn Magazine, die sich für negative Ergebnisse einsetzen, einen entsprechenden Impact-Faktor erhalten. Dies scheitert jedoch bisher an der zu geringen Zahl an eingereichten hochwertigen Arbeiten.

Ulrich Dirnagl leitet das Centrum für Schlaganfallforschung Berlin und ist klinischer Koordinator des Berliner Standortes des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen in der Helmholtz-Gemeinschaft

Der Begriff „negatives Ergebnis“ ist an sich schon irreführend, denn Daten und Ergebnisse sind von sich aus neutral. „Negativ“ bedeutet nur, dass die Daten die vorgegebene Hypothese unter den Studienbedingungen nicht bestätigen konnten. Genauer gesagt: ein bestimmtes statistisches Signifikanzniveau verfehlt wurde. Bei vielen Untersuchungen gerade im Grundlagenforschungsbereich ist jedoch aufgrund von geringen Fallzahlen (häufig weniger als 10 pro Gruppe) die statistische Power sehr niedrig. Das führt dazu, dass einerseits viele falsche positive Studienergebnisse erzielt werden, aber gleichzeitig Hypothesen, auch wenn sie richtig sind, möglicherweise nicht bestätigt werden können. Aufgrund der gängigen Publikationspraxis, nur ‚positive Studien‘ zu veröffentlichen, sieht man aber nur einen kleinen Teil des Gesamtbildes aller in einem Feld vorliegenden Ergebnisse. Oft wird argumentiert, dass negative Aussagen wertlos sind, zum Beispiel: „Dieses Medikament hilft nicht gegen Alzheimer“. Gut gemachte Studien erbringen aber Information, egal ob sie eine Hypothese bestätigen oder nicht. Zum Beispiel indem sie wichtige Nebenwirkungen finden, oder den effektiven Dosisbereich oder Patientengruppen einengen und damit neue Studien ermöglichen. Auch können andere Wissenschaftler auf diesen Informationen aufbauen oder sparen sich vielleicht sogar einen Versuch. Wenn man nur nach positiven Ergebnissen sucht oder diese selektiv veröffentlicht, ist das keine echte, ergebnisoffene Forschung, sondern Rosinenpickerei. Vielleicht ist in der Medizin die Versuchung hierzu besonders groß, weil man dort derzeit nur mit ‚positiven Ergebnissen‘ Aufsehen erregen kann, zum Beispiel: „Unsere Ergebnisse könnten die Grundlage für die Heilung der Alzheimer’schen Erkrankung sein‘. In der Forschung sollte es aber um Erkenntnisgewinn gehen, nicht um eine bestimmte Art von Ergebnis.

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